Um die Mitte des 19. Jahrhunderts hatte die Kirche in deutschen Landen einen harten Kampf gegen den Liberalismus zu führen, der der Braut des Herrn ihre unantastbaren göttlichen Rechte bestreiten und entreißen wollte. In Österreich besonders waren die Staatsbeamten noch von dem verderblichen Geist aus der Zeit Josephs II. erfüllt. Ungestraft durften die liberalen Blätter das Heiligste beschimpfen und die schändlichsten Verleumdungen gegen die Kirche ausstreuen. Wie aber immer Gott in Zeiten der Gefahr fromme und tatkräftige Menschen erweckt, so erstand der Kirche auch damals in dem Bischof Rudigier von Linz ein heldenmütiger Verteidiger. Er war einer der großen Bekennerbischöfe, wie sie in jenen stürmischen Zeiten in Deutschland und Österreich den Ruhm des Hauses Gottes bildeten, die Gefängnis und Verbannung nicht scheuten, wenn es galt, Wahrheit und Recht zu schützen.
Die Vorsehung hatte ihren Erwählten durch die verschiedensten Stellungen hindurch für sein wichtigstes Amt bestens vorbereitet. Im lieblichen Montafoner Tal in Vorarlberg, im Dorf Partenen, hat Franz Joseph als achtes Kind einer braven Bauernfamilie am 7. April 1811 seinen Erdenlauf begonnen. Dem willigen, fügsamen und liebreichen Kind war als erste Himmelsgabe eine wahrhaft bewundernswert fromme Mutter gegeben, die der weiteren Gnadenauszeichnung, den vorzüglichen Geistes- und Herzensanlagen, die rechte Entwicklung zu weisen verstand. Wie leuchteten des Kleinen Gesicht und Augen, wenn ihm die Mutter über die Haare streichelte und freundlich versicherte: „Das Fränzl ist doch das allerbrävste!“ Der dankbare Sohn sprach einmal als Bischof tiefbewegt, an der Schwelle seines Vaterhauses stehend, den Wunsch aus: „Wollte Gott, dass in jedem Haus soviel gebetet würde wie hier. Meine fromme Mutter hat mit uns Kindern fast täglich vor- und nachmittags einen heiligen Psalter gebetet.“ Obwohl der kleine Franz in der Elementarschule außerordentliche Talente zeigte, wollte er doch merkwürdigerweise nicht recht ans Studieren heran. Erst auf dringendes Zureden des älteren Bruders Joseph, der bereits Priester geworden war, ließ er sich von diesem in die Anfangsgründe alles höheren Wissens einführen, wobei er auch nicht versäumte, den Anfang aller Weisheit: Gottesfurcht und Frömmigkeit nach dem Beispiel des „gelehrten und frommen“ Bruders zu lernen und zu pflegen. Auch am Gymnasium hielt der treffliche Fortgang im Studium gleichen Schritt mit dem der Tugend. Nach seinen eigenen Aufzeichnungen betete Franz, der Student, täglich die Tagzeiten zur unbefleckten Gottesmutter und zum heiligen Aloysius, wozu noch eine dritte Andacht als Mitglied der Skapulierbruderschaft kam. So sicherte er sich den Gnadenbeistand von oben. Schon damals war Rudigier ein Todfeind aller Unwahrhaftigkeit und Unanständigkeit.
Für die Charakterstärke des jungen Studenten spricht eine Mitteilung, die der spätere Bischof selber einmal machte. Im letzten Studienjahr musste er täglich sieben Unterrichtsstunden an Studierende geben, so dass er zu seinem eigenen Studium nur die Nachtstunden verwenden konnte. Aus Dankbarkeit für den guten Erfolg eines solchen Nachhilfeunterrichtes bei einem adeligen Studenten bot ihm dessen Mutter eine ausgiebige Hilfe an, wenn Rudigier in Wien Medizin studieren wollte. Doch sein Entschluss Priester zu werden, war unabänderlich gefasst. Wie heilig ernst es ihm bei der Vorbereitung darauf im Priesterseminar zu Brixen war, zeigt eine Niederschrift von seiner Hand bei Empfang der niederen Weihen 1833, die zum Schluss besagt: „O Gott, ich danke dir für die Gnade, deren du mich heute durch die Aufnahme in den Dienst der von deinem Sohn, unserem Heiland Jesus Christus, gestifteten Kirche teilhaftig gemacht hast. Ich verspreche dir durch die gewissenhafteste Treue in jedem Dienst, den mir deine Statthalter auf Erden anweisen werden, dieser so großen Wohltat mich mehr und mehr würdig zu machen. Guter Gott, du hast das Wollen gegeben, gib auch das Vollbringen! Darum bitte ich dich im Namen deines Sohnes Jesus Christus!“
Franz Rudigier wurde, was er mit solcher Willensenergie wollte. 1835 erhielt er die Priesterweihe. Drei Jahre stand er in der Seelsorge zu Vandanz und Bürs, als ihn sein Bischof nach Wien ins Frintaneum rief, eine höhere geistliche Bildungsanstalt, in der fähige Geistliche sich auf die Erwerbung des Doktorgrades vorbereiteten. Nun stand der bescheidene Sohn des Montafoner Tales in der glanzvollen Residenzstadt und damit vor dem Betreten der Stufenleiter höherer Würden. Die Hand des Herrn hat ihn dorthin geführt. Bald finden wir Rudigier wieder in Brixen als Theologieprofessor, von wo er wieder als Hofkaplan und Spiritualdirektor nach Wien ins Frintaneum berufen wurde. Im Studienjahr 1848 wollte der achtzigjährige Fürstbischof Bernhard Galura seinen lieben Rudigier, der auch den Reformmännern in Wien ein Dorn im Auge war, wieder in seiner Nähe haben. Über die Propstei von Innichen in Tirol, einer angesehenen Stelle voll anstrengender Seelsorgearbeit, nahm er ihn 1850 ins Domkapitel auf und übertrug ihm die Regentie des Priesterseminars in Brixen. Aber schon nach zwei Jahren erfolgte die Erhebung Rudigiers auf den bischöflichen Stuhl von Linz. Die Tage, in die seine Ernennung fiel, waren nach seinem eigenen Geständnis die härtesten seines Lebens. In Tränen aufgelöst traf ihn einmal ein Seminardiener am Betschemel. Er entschloss sich zur Annahme der bischöflichen Würde nur, weil er sich der Überzeugung ergeben musste, dass es Gottes Wille sei, der ihn rief. Beim Eintritt in seine Diözese sprach er die den apostolischen Mann kennzeichnenden Worte: „Ich betrete nun meine Diözese. Kurz vorher auf dem Strengberg wäre bald durch Scheuwerden eines Pferdes der Wagen gestürzt und hätte mich vielleicht getötet. Ich hätte gewünscht, dass er mich zermalmte, wenn ich wüsste, dass ich kein guter Bischof würde.“
Franz Joseph Rudigier ist nicht nur ein guter Hirte seines Volkes geworden, er wurde ein ausgezeichneter, ein heiligmäßiger Bischof, ein heldenmütiger Mann an Tugend und Tatkraft. Voll des festesten lebendigen Glaubens, war er auch von makellosem Charakter. Er vereinigte in wunderbarer Weise eine engelgleiche Milde mit unbeugsamer Standhaftigkeit. Liebe und Güte gegen alle machten ihn selbst liebenswürdig. Jedes Kind, der ärmste Taglöhner und die geringste Frau aus dem Volk hatten Zutritt zu seiner Tür. Ebenso großartig wie verborgen war seine ausgedehnte Wohltätigkeit. Schon der Regens Rudigier hatte öfters zum Entsetzen des Seminardieners die kaum gefüllten Wäscheladen zum Teil oder gänzlich ausgeleert. Von den bischöflichen Einkünften wurden drei Viertel für religiöse, gemeinnützige und wohltätige Zwecke aufgewendet. Oft nahte er sich dem Thron des Kaisers, um sich für Verurteilte, Bedrängte und Hilfsbedürftige zu verwenden. Manchen verarmten Bürgern der Stadt ist er ein Retter geworden. Seine Herzensgüte war allgewinnend.
Einst betrat der hochselige Bischof fast zur selben Zeit mit einem Mann vom Land die Karmelitenkirche in Linz, die er gerne besuchte. Das Segenslied erklang eben vom Chor herunter. Der Bauer, ein Freund des Gesanges, setzte sich in einen Stuhl und hub kräftig an mitzusingen. Zugleich vernahm er aber auch vom Stuhl hinter ihm her eine schöne, volltönende Männerstimme. Sie klang mit der seinigen so herrlich zusammen, dass er der Versuchung nicht widerstehen konnte, umzusehen, wer denn der mächtige Sänger hinter ihm sei. Wie erschrak er aber, als er in diesem den Bischof erkannte! Für den Augenblick war es mit dem Singen zu Ende; er konnte keinen Laut mehr hervorbringen. Doch der Bischof klopfte ihm leise auf die Schulter mit der freundlichen Aufmunterung: „Singen Sie nur!“ Ermutigt erhob das Bäuerlein wieder seine Stimme, und so haben Bischof und Bauer zur gegenseitigen Erbauung das Lied in harmonischem Zusammenklang zu Ende gesungen.
Bischof und Volk, der eine in nie ermüdender Hirtensorge, das andere in dankbarer, innigster Kindesliebe, waren durch mehr als dreißig Jahre in unzerstörbarer Harmonie miteinander verbunden. Der ehrwürdige Bischof predigte und lehrte in unübertrefflichen Hirtenbriefen sein Volk, voll der Gottesfurcht, daher selbst ohne jede Menschenfurcht; er sang und betete mit seinem Volk und für sein Volk mit Kraft und Opfergeist, in Waltung seines erhabenen Amtes Glaube und Sitte zu schützen.
Rudigiers Frömmigkeit, Glaubensmut, wie nicht weniger seine geistige Größe erglänzt in dem gewaltigen Entschluss, der lieben Mutter Gottes, zu Ehren der Verkündigung des Dogmas ihrer Unbefleckten Empfängnis, in Linz einen neuen Dom zu bauen. Nachdem er das Vorhaben mit dem Kaiser Franz Joseph persönlich besprochen und die Billigung des frommen Monarchen erhalten hatte, kündigte er den Dombau mit den schönen Worten an: „Wie Johannes Maria in sein Haus aufnahm – beneidenswert -, so bauen wir ein Haus, das jeder das seinige nennen kann und nehmen in dasselbe die Hochgebenedeite, Makellose auf. Lasset uns den Dom so bauen, dass auch die bisher getrennten Brüder in ihm Raum finden!“ Das monumentale Bauwerk, an dem mehrere Generationen schaffen sollten, wie unsere Vorfahren an ihren Riesenbauten, entstand nur aus freiwilligen Beiträgen. Der hohe Bauherr und große Wohltäter des Domes erlebte noch den Ausbau des Hochchores und pries sich glücklich, die Votivkapelle einweihen zu können. Nun ruht, was sterblich an diesem großen Mann war, in der Gruft unter dieser Kapelle, in der er täglich mit dem Volk den Rosenkranz zu beten pflegte.
Eine mühereiche Tätigkeit entfaltete Bischof Franz Joseph als Abgeordneter im österreichischen Landtag. Hier besonders war es auch, neben den Hirtenbriefen, wo er mit außerordentlicher Beredsamkeit und Schlagfertigkeit, mit heiliger Begeisterung und unwiderstehlicher Folgerichtigkeit, ruhig und aufrecht inmitten von Angriffen und Beleidigungen, die Rechte der Kirche und Schule verteidigte gegen einen kirchenfeindlichen Liberalismus, der eine gänzliche Umgestaltung der kirchlichen Verhältnisse erstrebte. Wer seine gediegenen Reden hörte, bei denen er sich der gewähltesten und vorsichtigsten Ausdrucksweise bediente, musste staunen über die herrlichen Gaben, die ihm offenbar durch besondere Gnade des Heiligen Geistes verliehen waren. Oft genug freilich teilte der treue Hüter von Recht und Wahrheit das Los aller hervorragenden Männer. Er wurde in seinen Bestrebungen verkannt, in seinem Wort absichtlich missverstanden, in seinen Absichten missdeutet, er wurde verhöhnt und in gehässigster Art beleidigt. Solche Kränkungen empfand der herzensgute Mann ja tief; aber unbeugsam blieb sein Geist. Ohne zürnendes, böses Wort, ohne es nur merken zu lassen, trug der Edelmütige die Qual im Gemüt über allen erlittenen Schimpf. Im September 1868 schrieb der mannhafte Oberhirte einen Hirtenbrief über die Entchristlichung der Schule durch die Trennung von der Kirche, über die Unerlaubtheit und Unsittlichkeit der Zivilehe u.ä. Der Hirtenbrief wurde konfisziert, der Bischof in den Anklagestand versetzt und wegen „Verbrechens der Störung der öffentlichen Ruhe“ vor Gericht gefordert. Der Bischof wollte sich nur vor einem berechtigten Gericht verantworten. Da geschah das Äußerste. Mit roher Gewalt wurde er über die Schwelle seiner Wohnung gezerrt und vor die Schranken des Gerichtes geschleppt. Der Held des lautersten Patriotismus und der erprobtesten Kaisertreue wurde „im Namen des Kaisers“ zu vierzehntägigem Gefängnis verurteilt. Der Kaiser erließ ihm sofort die Strafe. Das Band der Liebe aber, das ihn an die Diözese knüpfte, wurde dadurch nur noch stärker und inniger. Sinnig legten die Gläubigen auf seinen Sarg zahlreiche Palmzweige, das Sinnbild des Martyriums.
Wie diese vielen Seelenleiden, so ertrug der gottselige Bischof jahrelang ungemein schmerzliche körperliche Leiden mit wahrhaft heroischer Geduld. Wie sein Leben war auch sein Sterben das eines Heiligen. Ergreifend und allen Anwesenden unvergesslich war der Anblick: der Bischof auf dem Sterbelager, das Antlitz ein Bild der ruhigsten Ergebung und Hingabe an Gott, im aufwärts gerichteten Auge felsenfestes Vertrauen, die Rechte über dem Evangelium ausgebreitet, so mit ruhig fester Stimme das tridentinische Glaubensbekenntnis noch einmal ablegend. Dann sprach der Sterbende unter anderem: „In diesem Glauben will ich sterben . . . Meinen Gruß dem Volk, und wenn ich ihm nicht mehr schreiben kann, bitte ich ihm zu sagen, dass ich es liebe bis zum Sterben und dass ich ihm für seine Liebe danke. Es soll feststehen im Glauben . . . Nun vertraue ich auf Gottes Barmherzigkeit, auf die Geduld unseres Erlösers und die Fürbitte der makellosen Jungfrau Maria.“ Mit Einleitung des Seligsprechungsprozesses im Jahr 1905 ist der Diener Gottes für „ehrwürdig“ erklärt.
„Was die sittliche Fäulnis der Zeit kennzeichnet, ist die klägliche Willensschwäche für das Gute und Wahre. Es ist kein Mut da, sich offen für das Recht zu erklären, es ist nicht mehr ein Mann ein Wort, das Ja nicht mehr Ja, das Nein nicht mehr Nein; und so feige die Menschen in ihren Worten sind, so feige sind sie in ihren Werken. Es ist keine Tatkraft da, um für die erkannte Wahrheit und Gerechtigkeit einzustehen, zu wirken und zu leiden. Soll es besser werden in der Welt, muss unser Wille erstarken.“ (Hirtenbrief Rudigiers)