Heilige Diemut, Reklusin von Wessobrunn, + 29.3.1130 - Fest: 30. März

(Symbolbild Allerheiligen)

       

Es führen viele Wege in den Himmel. Jeder Mensch hat seinen eigenen Weg, auf dem er die ewige Heimat erreichen muss. Auch heute, wo alles „genormt“ wird, von den Maschinen, über die Wohnungen, bis zu den Zeitungsinseraten und Gurken, gibt es keine allgemein verbindliche Norm für das Streben nach Heiligkeit. Ein jeder von uns trägt seine ihm eigentümlichen Anlagen in sich und es ist ihm von Gott die Aufgabe gestellt, gerade mit diesen seinen besonderen Anlagen sein Lebensziel zu erreichen. Soviel Menschen, soviel Arten der Vollkommenheit, soviel Wege zu Gott. Was für ein bunter Gottesgarten ist doch das Heiligenbuch unserer Kirche! Da ist nichts Eintöniges, nichts Einförmiges. Ein unabsehbares Meer von wogenden Blüten in den verschiedensten Farben, mit den mannigfaltigsten Formen, mit den abwechslungsreichsten Düften. Die Gnade zerstört die Menschennatur nicht, sondern baut auf ihr auf und veredelt sie. Auch der Heilige behält seine persönliche Eigenart. Ein heiliger Franz von Sales ist anders als Hieronymus, ein Bruder Konrad ist kein Augustinus und ein Kaiser Heinrich hat wenig Gemeinsames mit einem Säulensteher Simeon. Es gibt keinen allgemein gültigen Heiligentyp. Jeder Mensch wird das Heiligkeitsideal in anderer Weise zum Ausdruck bringen, und jede Zeit gestaltet dieses Ideal wieder auf ihre Art. Uns Heutigen schwebt ein anderes Bild der Vollkommenheit vor als den Christen des 3. Oder 13. Jahrhunderts. Liegt nicht gerade in dieser Vielfalt ein besonderer Reiz?

 

Eine uns heute seltsam vorkommende Art des Strebens nach Heiligkeit und Gottverbundenheit ist der in alter Zeit herrschende Brauch des Inklusentums. Um der Welt im höchsten Grad zu entsagen, ließen sich Männer und Frauen auf Lebenszeit in eine enge Zelle einschließen oder einmauern. Man nannte solche Klausner und Klausnerinnen, die zuerst im 3. Jahrhundert in Ägypten auftraten und dann im 6. – 7. Jahrhundert immer zahlreicher wurden, Inklusen oder Reklusen (Eingeschlossene). Auch in Deutschland fand der Brauch der Einmauerung Eingang und erreichte im 10. – 12. Jahrhundert seinen Höhepunkt. Die Reklusen lebten meist als Oblaten nach der Ordensregel des heiligen Benedikt. Nach vorausgegangener Probezeit und mehreren Prüfungen wurden sie mit dem feierlichen Segen des Bischofs in die Zelle geführt und dann die Tür hinter ihnen versiegelt oder vermauert. Nur bei Erkrankung wurde die Tür wieder geöffnet. Die Beschäftigung dieser Eingeschlossenen war fleißiges Lesen der Heiligen Schrift, Psalmengebete und Handarbeit. Die Zellen waren an Brücken, Stadttoren, meist aber an Kirchen angebaut, so dass die Inklusen durch ein Fensterchen in der Mauer den Gottesdienst verfolgen konnten. Zu den bekanntesten Reklusen unseres Heimatlandes gehört die heilige(selige) Diemut von Wessobrunn.

 

Es ist nicht viel, was uns von dieser Seligen bekannt ist. Wir wissen weder den genauen Tag ihrer Geburt noch den ihres Todes. Die Gelehrten spannen auf Grund verschiedener Nachrichten in zeitgenössischen Büchern die Lebenszeit der Seligen in die Jahre 1057-1130. Demütig, wie es schon ihr Name sagt, ging Diemut durchs Leben. Dass man noch nach 950 Jahren von ihr sprechen, ja dass ihr Name in das goldene Buch der Seligen aufgenommen würde, ein solcher Gedanke wäre der stillen, bescheidenen Klausnerin wohl mehr als vermessen erschienen. Schon in frühen Mädchenjahren muss Diemut nach Wessobrunn gekommen sein, um dort als Oblatin des Benediktinerordens zu leben. Es kam damals nicht allzu selten vor, dass fromme Frauen sich in der Nähe von Klöstern niederließen, die Regel der Ordensleute befolgten, und zum Dank für den geistlichen Trost, den das Kloster ihnen spendete, den Mönchen mancherlei Arbeiten abnahmen, für die Frauenhände geeigneter sind, wie das Anfertigen von kirchlichen Gewändern, das Ziehen von Wachskerzen, das Backen der Hostien. Diemut fand in einem solchen Leben keine volle Befriedigung, es drängte sie, auch die letzten Bande zu zerreißen, die sie noch an die Welt anknüpften, um ganz losgeschält von allem Irdischen, ungeteilt und ungestört Gott zu dienen. So ließ sie sich neben der Klosterkirche eine winzige Zelle bauen, die durch ein Fensterlein den Ausblick auf den Hochaltar gestattete. In dieser engen Zelle verblieb Diemut jahrzehntelang bis zu ihrem Ende und verharrte in völliger Trennung von der Welt. Menschen von heute tun solch ein Opferleben gern mit einem hochmütigen Achselzucken ab! „Mittelalterliche Übertreibung! Falschgeleitete Frömmigkeit! Entarteter Welthass!“ Es wird uns, die wir so unlösbar mit der Welt verkettet sind und ohne gesellschaftlichen Verkehr und ohne Ausflüge und Reisen nicht glauben leben zu können, sehr schwer, das Leben einer solchen Klausnerin, die sich aus freien Stücken zu lebenslänglicher Gefangenschaft verurteilt, zu verstehen oder es gar als ein nachahmenswertes Ideal anzusehen. Doch wenn die selige Diemut noch reden könnte, würde sie wohl zu uns sagen: „Bleibt nur in der Welt und tragt als begeisterte Apostel eure Gottesliebe und eure Glaubensbegeisterung in sie hinein! Niemand verlangt, dass ihr mein Beispiel nachahmen sollt – obwohl es ganz gewiss nichts schaden könnte, dass ihr wenigstens dann und wann euch in die Abgeschiedenheit einer Zelle zurückziehen würdet, um auf die Stimme Gottes in euch zu lauschen. Aber tut auch mein Klausnerleben nicht mit einer leichten Handbewegung ab! Habt Achtung vor der Heldenkraft, die es braucht, um ein ganzes Leben lang dem ersten Entschluss treu zu bleiben! Habt Achtung vor der Gottesliebe, die ein solches Opfer ersann und ertrug!“

 

Treu der Ordensregel des heiligen Benedikt lebte Diemut nach dem Wahlspruch des Heiligen: „Bete und arbeite!“ Die Nächte widmete sie dem Gebet und Psalmengesang, die Tage wurden mit Arbeit gefüllt, und zwar mit Schreibarbeit. Die Feder war das Werkzeug, mit dem sich Diemut ihr irdisches Brot und den ewigen Lohn des Himmels verdiente. Sie füllte ihre Zeit aus mit dem Abschreiben von frommen und gelehrten Büchern. Das war eine Arbeit, die vor der Erfindung der Buchdruckerkunst zu den verdienstvollsten Beschäftigungen zählte. Wir, die wir alle Schränke voller Bücher haben und für wenig Geld unsere literarischen Wünsche stillen können, vermögen uns kaum mehr in die Zeit hineinzudenken, wo noch keine Buchdruckmaschinen ratterten, denen Tausende und Millionen von Büchern in wenigen Tagen entfallen. Welche Umständlichkeit, welche Anstrengung, alle Bücher mühsam mit der Hand schreiben zu müssen! Wir Computermenschen von heute können uns nur schwer ein Bild von der großen körperlichen Anstrengung der Buchabschreiber von einst machen. Mit Recht klagt ein Mönch des 11. Jahrhunderts: „Das glaubt und achtet niemand, was für eine Pein das Schreiben ist. Es schreiben zwar nur drei Finger, aber am Ende des Tages ist der ganze Leib abgearbeitet.“ Mancher Stoßseufzer am Rande oder am Ende alter Handschriften zeugt davon, wie beschwerlich das Schreiben war. „Ach got, wie fro ich was (war), do des Buches ein ende was!“ Die mittelalterlichen Bücher konnten nicht in leichtem, lässigem Zug dahingeschrieben werden, wie etwa heute das Protokollbuch eines Vereins. Jeder einzelne Buchstabe musste mühsam hingemalt werden. Die Anfangsbuchstaben der Kapitel wurden vielfach kunstvoll in verschiedenen Farben gemalt und zu ganzen Bilddarstellungen ausgestattet. Es kann nicht verwundern, dass man die Arbeit des Bücherabschreibens für besonders wichtig und von Gott gesegnet ansah. In frommen Legenden kommt dieser Glaube wiederholt schön zum Ausdruck. So wird von dem Schottenmönch Marian, einem rastlosen und überaus geschickten Schönschreiber erzählt, dass ihm eines Abends der Bruder die Kerze zu bringen versäumt hatte. Da leuchteten drei Finger der linken Hand gleich ebenso vielen Kerzen, so dass der Mönch ohne Unterbrechung seine Arbeit fortsetzen konnte. Von der Schwester Gertrud von Rheinfelden wird berichtet, dass ihre Hand beim Schreiben von einem wunderbaren Licht umflossen war. Als das Grab des Prämonstratenser-Mönches Richard in Wedinghausen 20 Jahre nach seinem Tod geöffnet wurde, stellte es sich heraus, dass die rechte Hand noch so unversehrt war, als ob sie von einem lebenden Körper losgelöst worden wäre. Mögen das vielleicht auch nur sinnige Dichtungen sein, so spricht doch aus ihnen die hohe Achtung, die das Mittelalter vor dem Abschreiben der kirchlichen und gelehrten Bücher hatte. Die selige Diemut verbrachte ihr ganzes Leben im Dienst der Schreibkunst. Die Münchner Stadtbibliothek bewahrt 15 große Handschriften, die unzweifelhaft aus ihrer Feder stammen. Im ganzen dürften 45 Bücher unter der fleißigen Hand der frommen Klausnerin entstanden sein – eine Leistung, die ungeheuren Fleiß voraussetzt und umso mehr in Staunen versetzt, als Diemut zeitlebens schwächlich und kränklich war. Ihre Schrift weist eine zierliche, doch bei aller Feinheit kraftvolle Linienführung auf. Niemals zeigt sich ein Erschlaffen. Die letzte Seite verrät die gleiche peinliche Sorgfalt wie die erste. Man hat den Eindruck: hier war ein Mensch am Werk, der in seiner Arbeit einen heiligen Gottesdienst sah, den es nicht mehr verlangt, zurückzuschauen, nachdem er einmal die Hand an der Pflug gelegt hat. In treuester Erfüllung ihrer Aufgabe bis ins Kleinste hinein erkannte Diemut den Willen Gottes, und durch die lebenslange, selbstlose Hingabe an diesen Willen errang sie sich die Seligkeit und wurde ihr der Lohn zu eigen, den ein mittelalterlicher Mönch am Schluss eines mühsam geschriebenen Buches sich wünschte: „Möge dem Schreiber für die Feder das himmlische Reich beschert sein!“

 

Nicht durch Wunderwerke und Großtaten erwirbt man sich den Strahlenkranz der Heiligen, sondern durch nimmer ermüdende Verrichtung der alltäglichen, gottgewollten Berufspflicht. Diemut, die deutsche Klausnerin, mag uns darin Vorbild und Leuchte sein.