Man kann die ganze Geschichte vom Anfang bis zum Ende durchblättern, einen Mann von Cottolengos Art findet man nicht ein zweites Mal. Er starb am 30. April 1842 und wurde von der Kirche 1934 heiliggesprochen.
Bis zum Alter von zweiundvierzig Jahren verlief Cottolengos Leben durchaus normal. Er besuchte die Schulen, empfing die heilige Priesterweihe, war Kaplan und so weiter, bis der eifrige Priester eines Tages auf den Gedanken kam, in der norditalienischen Arbeitergroßstadt Turin ein Krankenhaus für die Allerärmsten zu gründen, für die sonst niemand sorgte. Geld hatte Cottolengo zwar nicht, dafür besaß er ein umso größeres Gottvertrauen.
Ein halbzerfallenes Gebäude, das der Stifter das „Kleine Haus der Vorsehung“ nannte, wurde gemietet. Jemand schenkte vier Betten. Ein Arzt und ein Apotheker stellten kostenlos ihre Dienste zur Verfügung. Eine gute Seele übernahm die Pflege, und fertig war das Krankenhaus, das sich bereits am dritten Tag als zu klein erwies. Cottolengo mietete weitere Räumlichkeiten und konnte nach und nach fünfunddreißig Patienten aufnehmen. Weil aber keiner von den Kranken zahlungsfähig war und auch keinem etwas abverlangt wurde, blieb es nicht aus, dass der Gründer des Spitals in kürzester Zeit bis über die Ohren in Schulden steckte.
Wie eine Befreiung wirkte es darum auf Freund und Feind, als die staatliche Behörde eingriff und das Spital kurzerhand aufhob. Als man bei dieser Gelegenheit den Gründer spöttisch fragte, was er nun zu tun gedenke, antwortete Cottolengo nicht ohne Humor. In seiner Heimat sage man, der Kohl wachse besser, wenn er verpflanzt werde. Darum wolle auch er sein Krankenhaus anderswohin verpflanzen. Es sei doch klar, dass die Unterdrückung der Anstalt nur im Auftrag der Vorsehung erfolgt sei, denn das erste Spital sei gar zu eng gewesen. Weil aber die Zahl der bedürftigen Kranken ständig wachse, müsse das neue Haus, das er gründen werde, viel größer sein. Man werde sehen, und die Vorsehung werde schon sorgen.
So sprach und dachte Cottolengo, und ein halbes Jahr später hatte der unmögliche Mann in einer verrufenen Spelunke bereits wieder ein Krankenhaus eingerichtet. Und als man ihn erneut eindringlich vor dem Schuldenmachen warnte, lächelte er nur und meinte: „Das hier? Das ist erst der Anfang. Ihr werdet sehen, dass das Kleine Haus zu einer großen Stadt wird. Das alles macht die Vorsehung.“
Nein, dieser Cottolengo passte nicht in die Welt und ins Leben hinein.
Vorläufig gedieh das Spital allerdings nicht schlecht. Es ging mit ihm wie mit dem Kohl, wenn er verpflanzt wird. Nach einem Monat erfolgte eine erste Erweiterung des Betriebes, und vier Monate später eine zweite, und das Haus zählte schon hundert Betten. Kurz darauf wurde mit dem Bau eines neuen großen Spitals begonnen. Zeitlich unmittelbar anschließend entstand ein noch geräumigeres Krankenhaus für Frauen. Prunkbauten waren die Häuser keineswegs, aber wo nichts ist, bedeutet auch das Schlichteste einen Fortschritt.
In den folgenden Jahren baute Cottolengo die „Arche Noahs“, wie er die Gründung scherzweise nannte, immer weiter aus. Neben den Krankenpflegeanstalten entstanden Waisenhäuser, Heime für Behinderte, Fallsüchtige und Geisteskranke. In eigenen Schulen wurde Unterricht erteilt, und für alle Handwerke gab es Lehrstellen in eigenen Betrieben. Für die Betreuung der Patientinnen und Patienten, deren Zahl sprunghaft wuchs, gründete Cottolengo nach und nach vierzehn Ordensgemeinschaften. Das alles vollbrachte der außerordentliche Mann in knapp zehn Jahren, und als er starb, meinte er, das alles sei erst ein Anfang. Wenn er nach seinem Tod nichts mehr verpfuschen und verschustern könne, werde sich das „Kleine Haus der Vorsehung“ erst recht zu einem Segen für viele entwickeln.
Mit dieser Ansicht hatte Cottolengo recht behalten, denn was er schuf, hat ihn überdauert. Nur dass man anstatt der siebenhundert Pflegebedürftigen heute viele Hunderttausende zählt. Dabei hatte das gewaltige Caritaswerk nie feste Einkünfte. Es lebt einzig von Gaben und Spenden, die man nach dem Vorbild des Stifters im blinden Vertrauen auf Gottes Vorsehung nicht nur erwartet, sondern auch zur rechten Zeit stets erhält. Papst Pius IX. hat das „Kleine Haus“ zu Turin das „Haus des Wunders“ genannt.