Zu Anfang des 5. Jahrhunderts lebte in Rom Eutropius, ein reicher und angesehener Mann, der unter der Regierung des Kaisers Leo Oberster des römischen Kriegsheeres war, und mit Theodora seiner Gemahlin drei Söhne hatte, die sich unter allen Jünglingen ihres Zeitalters durch hohe Gelehrsamkeit auszeichneten. Besonders hatte sich Johannes, der jüngste von ihnen, durch seinen anhaltenden Fleiß eine solche wissenschaftliche Bildung erworben, dass er schon in seinem zwölften Jahr mehrere Sprachen beherrschte, und in philosophischen Gegenständen die dunkelsten Stellen zu erklären wusste. Die göttliche Vorsehung fügte es, dass Johannes vom Streben nach eitlen, menschlichen Kenntnissen zur Wissenschaft des Heils geführt wurde; denn er begegnete eines Tages einem Klostermann, der von einer Wallfahrt nach Jerusalem zurückkam, und dessen arme Kleidung, stille Geduld und Frömmigkeit den Jüngling so sehr rührte, dass er ihn begierig fragte, wer er sei und durch welche Wissenschaft er sich eine so gänzliche Verachtung alles Irdischen und eine solche Heiterkeit des Gemütes erworben habe? Der Mönch belehrte ihn nun über den Zweck des klösterlichen Lebens und über die seligen Früchte, die den Geist, losgerissen von allem Irdischen, in der Einsamkeit erquicken, und Johannes wurde durch diese Schilderung so sehr begeistert, dass er den heiligen Mann fußfällig bat, ihn mit in sein Kloster zu nehmen. Weil er aber voraussah, welche Hindernisse er von Seite seiner Eltern zu bekämpfen haben würde, entfloh er heimlich und kam glücklich mit seinem Begleiter im Kloster an, wo er auch nach einer strengen Prüfung unter die Ordensbrüder eingereiht wurde.
Zum Staunen seines Obern übertraf Johannes bald alle Ordensmänner an Demut und Abtötung, und er vertiefte sich so in den Betrachtungen göttlicher Wahrheiten, dass er oft mehrere Wochen hindurch keine andere Nahrung genoss, als das himmlische Brot im allerheiligsten Altarsakrament. Dabei wurde auch seine Tugend durch die schwersten Versuchungen geprüft; besonders quälte ihn eine Sehnsucht nach seinen Eltern so sehr, dass der vorher blühende Jüngling ganz ausgezehrt, jetzt einem Toten ähnlich war. Er erhielt deswegen die Erlaubnis, in sein väterliches Haus zurückzukehren, und um dort nicht erkannt zu werden, verhüllte er sich in die Kleidung eines Bettlers, und bat seine Eltern um einen finsteren Winkel außerhalb des Hauses, worin er ein äußerst abgetötetes Leben führte, und mit bewunderungswürdiger Geduld den Spott und die Misshandlungen der Dienerschaft seines Vaters ertrug. Die Nahrung, die ihm täglich Eutropius aus Mitleid reichen ließ, verteilte er unter die Armen, und so lebte er drei Jahre lang, ohne sich seinen Eltern zu erkennen zu geben, bis ihm durch eine Erscheinung die Stunde seines Todes geoffenbart wurde. Da ließ er seine Mutter zu sich bitten, eröffnete ihr, dass er ihr Sohn sei, und bat sie, ihn nach seinem Tod ebenso arm, wie er gelebt hatte, in jenem Winkel zu begraben, worauf er sogleich seinen Geist aufgab.
Unter Wehklagen und Tränen küsste die Mutter den Leichnam des Heiligen und bedeckte ihn mit einem kostbaren Sterbekleid. Sie wurde aber sogleich von einer heftigen Krankheit befallen, von der sie nur dadurch geheilt wurde, dass sie den Leichnam wieder mit seiner vorigen Bettlerkleidung umgeben ließ. Von dieser Stunde an entsagten die Eltern des heiligen Johannes allen Erdengütern, verteilten ihre Reichtümer unter die Armen, und nachdem sie über dem Grab des Heiligen ein herrliches Gotteshaus erbaut hatten, weihten sie sich dem Dienst Gottes und starben im Ruf der Frömmigkeit.