Das heutige Kirchengebet sagt, dass Gott die heilige Johanna Franziska mit wunderbarer Geistesstärke durch alle Lebenspfade auf dem Weg der Vollkommenheit begnadete. Die erwähnten Lebenspfade aber waren so vielgestaltig, wie man sie sonst selten bei einem Menschen antrifft, denn Johanna Franziska war Kind, Jungfrau, Gattin, Mutter, Witwe und Ordensstifterin.
Johanna Franziska hat ihre Mutter nicht gekannt, denn sie war erst ein Jahr alt, als sie starb. Der Vater, ein Oberrichter in Frankreich, war ein guter Christ, der seine drei Kinder zu braven und frommen Menschen erzog und sie auch in eigener Person im Glauben unterrichtete. Einst war ein vornehmer Protestant im Haus des Oberrichters zu Gast, der im Gespräch mit dem Vater die wahre und wirkliche Gegenwart Jesu im Allerheiligsten Altarsakrament mit hitzigen Worten ableugnete. Da fiel ihm die zehnjährige Johanna Franziska unvermittelt in die Rede und sagte: „Sie irren sich, denn der liebe Heiland hat es doch gesagt, dass er unter den Gestalten von Brot und Wein gegenwärtig ist, und wer das nicht glaubt, der macht Christus zum Lügner.“ So sagte sie. Man muss in der Tat seine Freude haben an dem zehnjährigen Mädchen, das mit solchem Freimut für den lieben Heiland eintrat.
Als Johanna Franziska später in die Jungmädchenzeit hineinkam, erblühte sie wie eine Rose, und es kamen die Freier zuhauf, die sie als Gattin heimführen wollten. Lange hielt die junge Frau nach dem Rechten Ausschau, und als sie ihn gefunden hatte, verlobte sie sich mit ihm und war eine glückliche Braut. Doch da stellte es sich kurz vor der Hochzeit heraus, dass der Bräutigam, was er bisher verschwiegen hatte, nicht katholisch war. Sofort hob Johanna Franziska, mochte ihr das Herz auch anfänglich dabei bluten, die Verlobung auf, denn nie und nimmer wollte sie eine Mischehe eingehen.
Einige Zeit später begegnete Johanna Franziska einem anderen Bewerber, und diesmal war es der Rechte, ein durch und durch katholischer Mann, ein Baron mit großem Haus, in dem sich Johanna Franziska schnell als tüchtige Hausfrau bewährte. Auch eine gute Mutter war die Heilige. Sechs Kindern schenkte sie das Leben. Zwei davon starben früh, und die übrigen erzog Johanna Franziska zu Menschen, die nicht nur religiös waren, sondern auch mit dem Leben fertig wurden. Vor allem sorgte die Mutter dafür, dass die täglichen Gebete stets gemeinsam verrichtet wurden und dass die Kinder unter eigenem Verzicht lernten, den Armen gegenüber wohltätig zu sein. Soweit war also alles in Ordnung, bis dann das Leid kam, das keinem Menschen und am wenigsten den Heiligen erspart bleibt.
Auf einer Jagd wurde Johanna Franziskas Gatte versehentlich angeschossen und schwer verletzt. Neun Tage kämpfte der Verunglückte mit dem Tod und starb dann von der Gattin und den vier Kindern weg. Es war ein harter Schlag, und zeitlebens trug die Witwe nun mehr schwarze Kleider. Das eheliche Glück der beiden war zu groß gewesen, deshalb empfand die überlebende Gattin das Unglück umso schwerer, aber sie rang sich durch und lebte fortan nur mehr der Erziehung der Kinder. Johanna Franziska besaß eine starke Seele, die sich in Kreuz und Leid erst recht kräftigte, wie ein Baum, der umso tiefere Wurzeln schlägt, je mehr der Sturm ihn schüttelt.
Mit der Zeit wuchsen der Mutter die Kinder aus der Hand, und als alle gut versorgt waren, tat Johanna Franziska den letzten Schritt, der sie schnell und hoch auf den Gipfel der Heiligkeit führen sollte. In Vereinigung mit dem heiligen Franz von Sales gründete die gereifte Frau einen neuen Orden, den sogenannten Orden von der Heimsuchung Mariä. Wie nämlich die liebe Mutter Gottes ihre Verwandte Elisabeth heimgesucht und ihr gedient hatte, so sollten die Schwestern des neuen Ordens die Armen und Kranken heimsuchen und ihnen dienen und helfen. Als Johanna Franziska am 16. Dezember 1641 starb, zählte der Orden bereits fünfunddreißig Klöster, und auch heute besteht er noch, und sooft eine Schwester aus dem Orden den Armen und Kranken Gutes tut, ist das gleichsam eine Wiederholung der Heimsuchung Mariä.