Gottseliger Hermann der Lahme, Benediktiner, Gelehrter in Reichenau, + 24.9.1054 – Gedenktag: 24. September

 

Die alten schwäbischen Grafen von Vehringen in Hohenzollern stammen von dem Grafen vom Bussen ab. Wolfrad (Wolverad) II. von Altshausen, ein Vehringer, ist der Vater des frommen Hermann, seine Mutter war Hiltrude, wie es heißt, eine Gräfin von Thierstein im Kanton Solothurn. Unter den 15 Kindern war Hermann, geboren am 18. Juli 1013, das hilfloseste und schwächste, an allen Gliedern lahm, daher sein Name „Contractus“, der Gelähmte. Er schien zum unglücklichsten Geschöpf bestimmt zu sein. In diesem Zustand wendete er sich einmal vertrauensvoll und unter Tränen an die mächtige Himmelskönigin mit den Worten: „Hilf, o Mutter, dem Hermann, hilf dem zweifach armen Hermann.“ Die mildeste der Frauen stellte ihm, so wird erzählt, darauf die Wahl frei, ob er lieber einen gesunden Leib und einen schwachen Kopf oder einen gesunden Geist und einen kranken Leib haben wolle. Wohl wissend, dass die Gaben der Seele mehr als die Gaben des Leibes zu schätzen sind, erwählte der selige Hermann einen gesunden Geist und einen kranken Leib. Sein Körper blieb bis zu seinem Hingang derart bresthaft, dass er sich nie ohne fremde Hilfe bewegen konnte und größtenteils sitzend sein Leben hinbringen musste, und wenn er etwas las oder schrieb, dies nur in beschwerlicher, gekrümmter Haltung zu tun vermochte. Allein er erlernte mit Leichtigkeit die schwierigsten Wissenschaften.

 

Hermanns Eltern brachten den Knaben in die Klosterschule von St. Gallen. Später kam er ins Kloster auf der Reichenau, der lieblichen Insel des schwäbischen Meeres. Das alte und hochangesehene Benediktinerstift war eine Pflanzschule gelehrter Bildung, die erste Akademie Süddeutschlands, eine Erziehungsstätte für Mönche geworden. Die dortige Maler- und Sängerschule eröffnete eine neue Kunstrichtung. Der gelehrteste und bedeutendste Mann von Reichenau aber wurde neben Walafried Strabo unser Hermann, der Lahme. Er besaß vorzügliche Kenntnisse in allen Zweigen menschlichen Wissens. Er schrieb eine Chronik, die zu den besten und wertvollsten Geschichtsquellen Deutschlands gehört. Sie erstreckt sich von der Geburt Christi an bis zu Hermanns Todesjahr. Sie ist ein Denkmal außerordentlicher Belesenheit und sorgfältiger Genauigkeit und bildet eine hervorragende Quelle der nachfolgenden Geschichtsschreiber. Hermann war in der lateinischen und griechischen, arabischen und hebräischen Sprache sehr kundig und betrieb Geometrie und Astronomie. Er verfertigte astronomische Instrumente von seltener Kunst. Die Mitwelt feierte ihn als ihren ersten Redner, Philosophen, Dichter und Musiker. In der Musik hat Hermann Bahnbrechendes geleistet und eine selbstständige Schule gegründet. Von ihm soll die herrliche Antiphon: „Alma Redemptoris Mater“ (Mutter des Erlösers, Gnadenbeseligte) stammen. Auch die Antiphonen: „Salve Regina“ (Gegrüßet seist du, Königin), „Ave Regina coelorum“ (Gruß dir, o Himmelskönigin) und „Veni sancte spiritus“ (Komm, Heil`ger Geist) werden ihm von einigen zugeschrieben.

 

Wie schimmerte und funkelte die Maiensonne über die weite Fläche des Sees! Im Garten der Benediktinerabtei auf der Reichen Aue standen die Bäume voll schneeweißer Blüten, zart und lieblich, wie Kinder geschmückt zum Fest der Mutter, strahlend in Unschuld und Reine. All die kleinen Blumenköpflein reckten und woben sich mit dem hellgrünen Grasboden zu einem kostbaren Teppich für die Königin des Maien. Wie der Widerschein der Maienfreude leuchtete es heute auf in den ernsten Gesichtern der lustwandelnden Mönche. Einer nur saß oben in seiner Zelle, ganz allein mit seinen Gedanken, und sah hinaus durchs hohe Fenster in den lachenden Lenz, Hermann der Gelähmte. Die Maienlust ergriff auch ihn. Wie eine jubilierende Lerche stieg sein Geist zum Schöpfer empor. Ein Lied möchte er singen von Kindesliebe und Himmelssehnsucht. Aber war es ihm nicht, als ob die jungfräuliche Mutter des Herrn, die geistliche Rose, die Lilie des Tales, herniederstiege und nun hinschreite über die Fluren, sie segnend? Nur für sie können sie so köstlich blühen. Doch ruht nicht noch freudiger und erhebender ihr Blick auf dem armen, lahmen Menschenkind und dringt so wohltuend und mild ein in seine Seele? Seinetwegen ja kommt sie, die hohe Frau, die Trösterin der Betrübten, nicht der duftenden Blumen wegen. Und Geist und Herz des Edlen, so herrlich schön im gebrochenen Körper, tun sich auf und die Lippen öffnen sich und grüßen stammelnd die Gnadenvolle: „Sei gegrüßt, Königin, Mutter der Barmherzigkeit, des Lebens Trost und Süßigkeit, unsere Hoffnung sei gegrüßt!“ – Wie kommt er sich doch so arm, so klein und niedrig vor gegenüber der himmlischen Schönheit! Wie lastet auf ihn so hart die Erde und ihre Mühsal! Da schluchzt er laut auf: „Zu dir schreien wir elende Kinder Evas! Zu dir seufzen wir, trauernd und weinend in diesem Tal der Tränen!“ Aber drückt ihn auch menschliche Ohnmacht und Hilflosigkeit nieder, sie ist ja die mächtige, die gütige Jungfrau. Und weiter ruft er flehend: „Eia nun, du unsere Fürsprecherin, wende deine barmherzigen Augen zu uns. Und nach diesem Elend zeige uns Jesus, die gebenedeite Frucht deines Leibes!“ Ach ja! Jesus zeige uns, das einzige Verlangen des Herzens! Welch ein Glück, ihn zu schauen! Und noch tiefer senkt der „Zusammengezogene“, der Gekrümmte sein Haupt und betrachtet weltentrückt die Herrlichkeit Gottes. – So mag Hermann zum ersten Mal sein Salve Regina gesungen haben!

 

Die genannten Hymnen haben Aufnahme gefunden in den kirchlichen Gottesdienst und werden seither auf der ganzen Welt gebetet und gesungen. Sie gehören zum Schönsten und Besten der katholischen Dichtung. Hermann stellte seine reichen Talente und Gaben ganz und einzig in den Dienst Gottes und seiner Heiligen. Der Ehre des Allerheiligsten, dem Ruhm der Kirche weihte und widmete er seine Kräfte. Niemals strebte er irdischen Gewinn und menschliches Lob an. Der Ruf eines der ersten Gelehrten seiner Zeit machte ihn nicht stolz. Seine Schüler, die den Meister zahlreich umgaben, fesselte er nicht bloß durch sein Wissen, sondern mehr durch sein edles, liebevolles Gemüt. Hermann der Lahme galt als ein Weltwunder. Überall tritt uns bei ihm die reine Wahrheitsliebe entgegen. Die Geschichtsschreibung war ihm, nach den Worten eines Gelehrten, ein priesterliches Amt. Darum ermahnte er noch sterbend seinen Schüler Bertold: „Habe stets den Tod vor Augen! Nimm meine Bücher und setze sie fort.“

 

Des stets heiteren Kreuzträgers Seele verließ im Jahr 1054 am 24. September oder, wie andere meinen, am 19. Juli, auf seinem väterlichen Gut Alleshausen den gebrechlichen Leib, während er das „Salve Regina coelorum“ sang. Im Totenbuch von St. Gallen wurde Hermann der Lahme von alters her gefeiert. Das Benediktinische Kalendarium nennt ihn am 19. Juli „heilig“ und stellt ihn dar mit einer Krücke, umgeben von Büchern und astronomischen Instrumenten, seinen Blick erhebend zu Maria, dem Sitz der Weisheit, in deren Minnedienst er so schöne Lieder gesungen hat.

 

Was doch der menschliche Geist vermag, wenn die Kräfte des menschlichen Willens und der göttlichen Gnade einträchtig zusammenwirken! Der Geist meistert den gebrechlichen Leib, den lahmen und faulen. Für die katholische Aktivität auf allen Gebieten heißt die Parole: „Auf die Füße!“ „Ihr Erfolg muss sein,“ sagt Robert Mäder, „Die Stummen reden, die Lahmen gehen! . . . Das Leben ist Arbeit, nicht nur Arbeit der Hände und Füße, sondern vor allem auch Arbeit des Geistes, Arbeit des Herzens. Für das Ausruhen haben wir die Ewigkeit! Auf die Beine! An die Arbeit! Religiöse Arbeit, politische Arbeit, soziale Arbeit – aber immer katholische Arbeit! . . . Das Wort „Ich kann nicht“ muss abgeschafft werden! Auf jeden Fall müssen zwei andere Worte aus dem Wörterbuch der katholischen Bewegung gestrichen werden: Das „ich will nicht“ und das „ich mag nicht“ des Lahmen.“