Als Karl der Große nach harten und langwierigen Kämpfen die Macht der heidnischen Sachsen gebrochen hatte, war es seine Hauptsorge, durch Errichtung von Bistümern dem eingeführten Christentum dauernden Bestand zu geben, und ein Kloster als Pflanzstätte für tüchtige Missionare zu gründen. Während er zu Herstelle an der Weser im Jahr 797 sein Winterquartier hielt, teilte er den versammelten Bischöfen und Grafen seinen Plan mit, auf seiner königlichen Villa Huxori, dem heutigen Höxter, eine Abtei zu Ehren des heiligen Erzmärtyrers Stephan zu erbauen, um Gott für seine Siege in dieser Gegend zu danken. Die unermesslichen Reichsgeschäfte und der Wankelmut der Sachsen ließen vor der Hand den Plan nicht zur Ausführung kommen, indes bereitete der umsichtige Kaiser das edle Werk vor, indem er viele vornehme Sachsen in die fränkischen Klöster, insbesondere nach dem Kloster Corbie in der Picardie, verpflanzte, um sie nach tüchtiger Vorbildung als Missionare im eigenen Vaterland zu verwenden.
Damals stand dem Kloster Corbie der berühmte Abt Adelhard vor, ein Enkel Karl Martells, mit Karl dem Großen nicht nur leiblich, sondern auch geistesverwandt, ein Mann voll Frömmigkeit und Würde, voll Weisheit und Tatkraft, von Karl hochgeehrt und in den wichtigsten Reichsangelegenheiten zu Rate gezogen. Schon mit zwanzig Jahren hatte Adelhard die Welt verlassen, um sein Leben und seine Kräfte ganz Gott zu weihen, und seine vorzüglichen Geistes- und Herzenseigenschaften erhoben ihn zum Abt von Corbie. Auf den Wunsch des Kaisers verwaltete er eine Zeitlang das lombardische Reich, kehrte aber bald in sein geliebtes Kloster zurück.
Adelhards glühender Seeleneifer wünschte nichts mehr, als den neubekehrten Sachsen die Wohltaten eines Klosters zu gewähren und besprach sich öfters mit den im Kloster ausgebildeten Sachsen. Mit Begeisterung gingen diese auf den Vorschlag ein und einer von ihnen, namens Theodrat, sprach: „Ich weiß auf den Gütern meines Vaters einen passenden, einsamen, mit einer Quelle versehenen Ort, und will es bewirken, dass er zu der Stiftung überlassen werde.“ Theodrat wurde in seine Heimat geschickt, stieß aber auf unerwartete Schwierigkeiten. Adelhard ging in Regierungsangelegenheiten nach Italien. So verzögerte sich das Werk. Nach Karls Tod kehrte Adelhard nach Corbie zurück, geriet aber unschuldiger Weise in den Verdacht der Verräterei, wurde seiner Abtswürde entsetzt und auf die Insel Noirmoutier verbannt.
Nach dem Befehl des Kaisers Ludwig fand in Corbie eine neue Abtswahl statt, und man wählte einen Zögling und innigen Verehrer Adelhards, der seinen Namen und seinen Geist trug und sein geplantes Werk auszuführen gedachte. Walo, ein Bruder des älteren Adelhard, wünschte sehnlichst, die beabsichtigte Stiftung in Sachsen ins Werk zu setzen. Deshalb reiste der Abt im Jahr 815 nach Paderborn, wo der Kaiser gerade einen Reichstag hielt, um dessen Genehmigung und Hilfe zu erbitten. Gern gab der Kaiser im Einverständnis mit dem Bischof Hathumar von Paderborn und den versammelten Großen seine Einwilligung. Sofort begann Adelhard das Werk, und die Verwandten Theodrats schenkten ihm einen Platz auf ihren Besitzungen im Sollinger Wald, Hethi genannt, wo schon einige fromme Einsiedler gewohnt hatten und wo jetzt das braunschweigische Jagdschloss Neustadt liegt. Hier baute Adelhard im Jahr 816 ein kleines Kloster und ernannte Adelbert zum Vorsteher. Er selbst kehrte nach Corbie zurück und sandte von dort mehrere ausgezeichnete Benediktinermönche in die neue Stiftung. Jetzt wurde mit großer Mühe die öde Heide urbar gemacht, eine Schule eröffnet und die christliche Lehre nach allen Seiten hin verbreitet. Viele vornehme Sachsen traten in das Kloster ein und die Zahl der Mönche nahm bedeutend zu.
Unterdessen hatte sich die Unschuld des alten Adelhard herausgestellt, und vom Kaiser hochgeehrt, kehrte er aus seiner Verbannung nach Corbie zurück. Hier vernahm er, dass sein Zögling seinen Lieblingsgedanken ausgeführt habe und reiste sofort nach Sachsen, um das Werk zu sehen. Da fand er seine Brüder in den ärmlichsten Verhältnissen, den Boden trotz allen Anstrengungen unfruchtbar, die Gegend rau und unwirtlich, und als ein furchtbares Unwetter mit Erdbeben im Jahr 819 das urbar gemachte Land verwüstete und die Quelle verdarb, wandte sich Adelhard mit seinem Bruder Walo an den Kaiser mit der Bitte, dass sie eine andere, fruchtbarere Gegend für das Kloster wählen dürften. Die Bitte wurde gewährt. Adelhard, Walo und mehrere andere Mönche durchspähten die Gegend und entdeckten in der Nähe der königlichen Villa Huxori (Höxter) einen Platz, der mit Alt-Corbie an der Somme viel Ähnlichkeit hatte. Diese Stelle wählten sie zur Anlage des neuen Klosters. Alle Brüder versammelten sich hier, errichteten ein Zelt zur Aufnahme der Heiligtümer, sangen Psalmen und beteten zu Gott, dass er zum Werk Glück und Segen verleihen wolle. Der Bischof Badurad von Paderborn weihte den Platz ein, pflanzte das Kreuz in den Boden und an dieser Stelle wurde der Grund zum Altar gelegt. Der Ort wurde, wie das Mutterkloster, Corbie genannt, woraus in plattdeutscher Mundart Corvey wurde, und den Erzmärtyrer Stephanus wählte man zum Patron (822). Später wurden die Reliquien des heiligen Vitus feierlich dorthin übertragen und sein Fest mit großem Glanz gefeiert.
Im Herbst desselben Jahres (822) verließen die Mönche ihre erste Ansiedlung im Solling und zogen mit ihrem geliebten Haupt, dem ehrwürdigen Greis Adelhard, in das neue Corvey. In feierlicher Prozession, Loblieder singend, wallten sie durch den finsteren Eichenwald dem schönen Wesertal zu, wo sich das Volk der Sachsen zum Empfang seiner Lehrer und Wohltäter versammelt hatte. Welche Gefühle mögen beim ersten heiligen Messopfer die Herzen der Mönche und Zuschauer erfüllt haben!
Das neue Kloster erhob sich bald unter der Leitung Adelhards, der sich die Disziplin und die Einrichtungen des Mutterklosters zum Vorbild nahm. Um die neue Stiftung zur schönsten Blüte zu entwickeln, sandte er seinen Bruder Walo, den jüngeren Adelhard und Varin an den Kaiser mit dem Ansuchen, er möge dem neuen Kloster in Sachsen die Rechte und Freiheiten der fränkischen Klöster verleihen. Der Kaiser, der sich gerade in Ingelheim aufhielt, erteilte im Jahr 823 das gewünschte Diplom, stattete das Kloster in königlicher Freigebigkeit mit umfassenden Privilegien aus, und vermehrte diese noch im folgenden Jahr. Schnell verbreitete sich der Ruhm der neuen Stiftung, von allen Seiten eilten die Sachsen herbei, um die ausgezeichneten Lehrer zu hören, ihrem Tugendbeispiel zu folgen und sie mit Geschenken zu überhäufen. Corvey wurde eine Pflanzschule der religiösen und sittlichen Bildung, der Kunst und Wissenschaft und des Segens für die weitesten Kreise.
Als Adelhard am 2. Januar 827 im 74. Lebensjahr starb, konnte er mit Genugtuung auf sein Werk blicken, dem Deutschland zum größten Dank verpflichtet ist.