Der heilige Kuthbert, einer der vorzüglichen Prediger der angelsächsischen (altenglischen) Kirche, hat das Glück, etwa 40 Jahre nach seinem Hinscheiden, in dem berühmtesten Lehrer jener Zeit, dem seligen Beda, einen zuverlässigen Lebensbeschreiber gefunden zu haben.
Aus Irland stammend, trat Kuthbert 651 in die Abtei Melrose ein, wo er sich durch strengste Beobachtung der Mönchsregel auszeichnete. Nur vorübergehend weilte er in Ripon, das durch den heiligen Wilfrid bekannt ist, und wo auch der heilige Willibrord sich aufhielt. Eine Zeitlang lebte Kuthbert als Einsiedler in der schottischen Grafschaft Atholl. Auf dem Gipfel eines Hügels beim Dorf Dull erbaute er eine Zelle und entlockte dem Boden durch sein Gebet eine Quelle. Sein Leben war ein sehr strenges. Unter anderem pflegte er in eiskaltem Wasser stehend den ganzen Psalter zu beten. Er nahm sich aber auch des Volkes an, das er durch eifrige Predigt zum Glauben und zur Bekehrung zu bringen suchte. Ganz besonders gerne ging er in das abgelegene Gebirge, wo die Leute aus Mangel an Unterricht ganz in Unwissenheit geblieben waren. Klar und kräftig war seine Redeweise. Die Leute strömten heilsdurstig überall herzu, sodass sein Missionserfolg ein segensreicher wurde.
Inzwischen war St. Kuthbert zum Prior von Melrose gewählt worden. Das neue Amt verwaltete er, sagt Beda, wie es einem Heiligen geziemte, und leuchtete dem ganzen Konvent als glänzendes Muster eines wahren Ordensmannes vor. Einmal wurde er gewürdigt, unter der Gestalt eines Pilgers einen Engel zu bewirten. Dieser aber ließ bei seinem gastlichen Schützling drei Brote zurück, „wie sie diese Welt nicht anfertigen kann; denn an blendend weißer Farbe übertrafen sie die Lilien, an Wohlgeruch die Rosen, an Süße den Honig.“ Die Missionsreisen dehnte er bei den Südpikten bis in die Gegend von Galloway aus. Tausenden wurde er Freund und Berater in Gewissensangelegenheiten.
Damals war großer Streit über die Zeit der Osterfeier. Als eine Konferenz in Whitby sich für den römischen Gebrauch entschied, wofür besonders der heilige Wilfrid eintrat, gegenüber den keltischen Gebräuchen, wie sie in den Columbaklöstern Herkommen waren, eröffnete sich für Kuthbert ein weiteres Feld der Tätigkeit. Der Abt von Melrose, Eata, bekannte sich zur römischen Übung. Als er an die Spitze des Klosters von Lindisfarne gestellt wurde und dessen Verwaltung seinem treuen Prior Kuthbert überließ, war es für diesen eine Herzenssache, den römischen Ritus in Lindisfarne durchzuführen. Den Widerstand nur weniger Mönche überwand er durch die „sanfte Macht seiner Geduld und tägliche Befolgung der römischen Gebräuche“. Indessen zog es den Heiligen, nachdem er seiner Aufgabe im Kloster gerecht geworden war, wiederum in die Einsamkeit. Mit den Regeln des Einsiedlerlebens, dessen Übung damals auch einer Zeitsitte entsprach, hatte sich ja Kuthbert, wie Beda bemerkt, gründlich bekannt gemacht. Sein tieffrommer Sinn, sein kindlich reines, gläubiges Wesen machte ihn überdies zum liebenden Freund der Natur, der reichen Schöpfung des allgütigen Vaters im Himmel. Die Natur hinwiederum, die seit dem Sündenfall dem Menschen fremd, widerstrebend und feindlich entgegentritt, zeigte sich dem Diener Gottes gegenüber in ihrer ursprünglichen Hilfsbereitschaft und Untertänigkeit. Im Paradies hatte Gott den Menschen zum Herrn der Erde gemacht. Sie war so eingerichtet, dass sie ihm nur Angenehmes und Gutes brachte. Er musste sich nicht erst durch List und Gewalt gegen die wilden Tiere wehren; sie waren ihm willig gehorsam und zu Diensten. Weil aber der Mensch Gott selber den Gehorsam kündigte, hat er nun zur Buße einen ständigen Kampf zu führen gegen die feindlichen Gewalten der Natur, gegen Hitze und Kälte, gegen Wasser und Feuer im Ungewitter, gegen mancherlei Krankheiten, gegen schädliche Tiere und Pflanzen. Wenn aber einzelne Menschen in der Überwindung ihrer eigenen sündhaften Natur es zu hoher Vollendung brachten, so hat ihnen Gott zuweilen wieder einen Teil der Herrschaft über die Natur zurückgegeben. Auch der heilige Kuthbert ist einer dieser Auserwählten gewesen.
In Lindisfarne, der „Heiligen Insel“ an der Ostküste von Nordengland, schließt sich noch eine Gruppe von sieben kleineren Inseln an. Auf einer von ihnen ließ sich St. Kuthbert nieder. Acht Jahre lang führte er das strenge Leben eines Einsiedlers. Die sehnlichst gewünschte Ruhe freilich konnte er nur in beschränktem Maße genießen. Nicht nur pflegten die Mönche von Lindisfarne ihn an einigen Festen des Jahres zu besuchen, aus ganz England und Schottland strömten Pilger zu ihm, um sein Gebet und seinen Rat in schwierigen Angelegenheiten einzuholen. Auch ließ ihn sein überaus großer Eifer in Verkündigung des göttlichen Wortes nicht ruhen. Einmal war er mit einem Knaben auf der Wanderschaft, um zu predigen. Sie waren beide müde und hungrig und noch weit weg vom Ziel ihrer Reise. Der Knabe klagte, dass sie nichts bei sich hätten und nichts zu bekommen sei. Der gottvertrauende Diener Gottes aber ermunterte ihn: „Mein Kind, du musst stets an Gott glauben und Hoffnung haben; denn es verhungert niemand, der Gott treu dient.“ Dann schaute er in die Höhe und sprach: „Siehst du diesen Adler? Selbst durch ihn kann uns Gott Nahrung senden.“ Während sie so redeten, führte sie der Weg an einem Fluss hin. Da sahen sie den Adler auf einem nahen Felsen sitzen. „Laufe schnell hin, befahl Kuthbert dem Knaben, und siehe, was uns Gott durch diesen Boten gesandt hat, und bringe es!“ Der Knabe brachte einen großen Fisch herbei, den der Raubvogel im Fluss erbeutet hatte. „Aber, mein Sohn, empfing Kuthbert den Knaben, warum hast du dem Boten nicht auch seinen Teil gegeben? Geschwind schneide die Hälfte ab und bringe sie dem Adler zum Lohn seines Dienstes.“ So geschah es; den übrigen Teil des Fisches nahmen sie mit sich und bereiteten ihn zu.
Der fromme Einsiedler säte bei seiner Klause ein Stück Boden mit Getreide an, um davon für sich den nötigen Unterhalt zu gewinnen. Als aber die Saat aufging, kamen Vögel und fraßen die junge Frucht ab. Da schalt sie der Heilige: „Warum nehmt ihr, was ihr nicht gesät habt? Seid ihr dessen bedürftiger als ich? Wenn ihr jedoch von Gott die Erlaubnis bekommen habt, so tut, was er zugestanden hat; wenn aber nicht, so entfernt euch und verletzt nicht weiter fremdes Eigentum!“ Da flog die ganze Schar der Vögel davon und berührte von der Zeit an niemals mehr die Saaten. – Sogar die leblose Kreatur stellte sich in den Dienst des großen Heiligen. Das wilde Meer schwemmte einen Balken an, gerade in der Größe, wie ihn Kuthbert brauchte, und an den Ort, wo er baute. Ein großer Stein, den seine Gehilfen zu vieren nicht bewältigen konnten, wurde von Kuthberts Hand leicht in die Mauer eingefügt.
Des großen Mannes Heiligkeit, Weisheit und Wunderkraft war in aller Munde. Sollte er, dem das Reich der vernunftlosen Schöpfung gehorcht, nicht vorzüglich befähigt sein, auch die Übernatur, das Reich der Geister und unsterblichen Seelen zu regieren? Die Synode von Twyford, die im Jahr 684 unter dem Vorsitz des Erzbischofs Theodor von Canterbury und in Gegenwart des Königs Egfried abgehalten wurde, wählte Kuthbert einstimmig zum Bischof von Hexham. Er willigte aber nur ein, als man seinem Wunsch entsprach, Lindisfarne, wo er als Mönch gelebt hatte, zum Bischofssitz zu erheben. Sein Sprengel reichte von Meer zu Meer. So mussten auch seine Vatersorgen sich weiten. Keines seiner Kinder wurde vergessen. So bildete einen Gegenstand besonderer Aufmerksamkeit die Leitung der Frauenklöster. Er erschien selber in den Klöstern, den Nonnen Unterricht im geistlichen Leben zu geben. Im Kloster zu Whitby verwaltete die heilige Elfleda (Elfreda, Todestag 716, Fest 8. Februar), eine Nichte des Königs Oswald, das Amt der Äbtissin. Aus tiefer Liebe zu dem heiligen König und Stifter des Klosters stand Kuthbert der Leiterin mit sorglichem Rat zur Seite.
Als St. Kuthbert fühlte, dass seine Erdentage sich dem Ende zuneigten, bezog er seine Einsiedelei bei Lindisfarne wieder. Die letzten Worte, die er an seinem Sterbetag, dem 19. März 687, noch an seine Brüder richtete, sind ein Erweis seines menschenfreundlichen, liebenden Herzens und seiner Glaubenstreue. Elf Jahre nach seinem Tod, am 20. März 698, wurde der Leichnam wieder erhoben und, nach dem Bericht Bedas, ganz unversehrt gefunden. Die Verehrung, die St. Kuthbert in der northumbrischen und keltischen Kirche fortan genoss, war eine überaus große. König Alfred rief ihn an auf der Flucht vor den Dänen und erhielt in einem Gesicht die Zusage, er werde siegen und sein Volk befreien. König Kanut pilgerte barfuß zu Kuthberts Schrein, Wilhelm der Eroberer brachte dem Heiligen Weihegeschenke an seinem Grab dar. Mit „St. Kuthberts Fahne“ haben die Anglo-Normannen ihre glänzendsten Siege erfochten. An den heiligen Bischof erinnert noch heute der herrliche Kodex des britischen Museums in London, der seinen Namen trägt, und der zu den kostbarsten Kleinodien altkeltischer Kunst gezählt wird.
Die letzten Worte des heiligen Kuthbert an seine Brüder:
„Lebt in Frieden miteinander und bewahrt das himmlische Geschenk der Bruderliebe. Wandelt in Eintracht mit anderen Dienern Christi! Verachtet keinen Gläubigen, der eure Gastfreundschaft in Anspruch nimmt. Mit Freude nehmt ihn auf, beherbergt ihn, in Liebe entlasst ihn. Haltet fern jene stolze Gesinnung, die die Meinung erzeugt, ihr wäret besser als eure Mitbrüder im Glauben; aber keine Gemeinschaft pflegt mit denjenigen, die vom katholischen Glauben abirren.“