Die heilige Gertraud war eine Tochter des Herzogs und Major-Domus – Haushofmeisters – der austrasischen Könige Pipin und der frommen Itta und wurde im Jahr 626 zu Nivelle geboren. Sie erhielt von ihren Eltern, besonders aber durch die Sorgfalt ihrer gottseligen Mutter, eine wahrhaft heilige Erziehung und strebte von zarter Jugend an mit Verachtung alles Irdischen nach Vollkommenheit in den christlichen Tugenden. Ihre einzige Freude war die Einsamkeit und der Umgang mit Gott durch Gebet und Betrachtung himmlischer Wahrheiten. Im elften Jahr ihres jugendlichen Alters weihte sie sich schon als eine reine Jungfrau dem Dienst Gottes. Diesem Gelübde hielt sie auch bis zu ihrem Tod die Treue, obwohl sie den schwersten Versuchungen ausgesetzt wurde. Eines Tages gab ihr Vater dem König Dagobert und den Mächtigen des Reiches ein glänzendes Gastmahl in seinem Palast, unter denen sich auch der Sohn eines austrasischen Herzogs befand, der über die Schönheit und hohen Tugenden der fürstlichen Jungfrau so in Liebe entbrannte, dass er den König und ihren Vater um ihre Hand bat. Dagobert gab freudig seine Einwilligung zu einer solchen Verbindung und erhielt auch von Pipin das Jawort. Sogleich berief er die Mutter mit der Tochter zu sich und erklärte Gertraud als Braut des vornehmen Jünglings, dessen Ansehen, Adel und Reichtümer er zugleich unter den größten Lobsprüchen erhob. Da sprach mit hoher Schamröte die Jungfrau zu dem Regenten: „Mein Herr und König! Ich trage kein Verlangen nach einem Gemahl, der Gold und Würden und Ämter besitzt, denn längst bin ich die Braut meines armen Jesus, dem ich mich von Kindheit an geweiht habe.“ Der König ließ von seinem Begehren ab und bewunderte die Starkmut der zarten Tochter, aber der liebende Jüngling verließ mit einem Herzen voll Ärger und Unwillen den Palast.
Nach dem Tod ihres Vaters Pipin begab sich Gertraud mit ihrer Mutter in das Nonnenkloster, das sie auf den Rat des heiligen Bischofs Ammandus zu Nivelle erbaut hatte und beide nahmen den heiligen Schleier. Angezogen von ihrem heiligen Leben, meldeten sich bald mehrere Jungfrauen aus den angesehensten Familien und baten um Aufnahme. Bald erhielt dieses Kloster den Ruf als einer Wohnung der Frömmigkeit und Tugend. Bis zum Tod ihrer Mutter führte die heilige Gertraud die Oberaufsicht über ihre Genossenschaft. Dann aber wählte sie Wilfetrudis zur Äbtissin und widmete sich neben dem Dienst für die Kranken und Armen vollkommen dem Gebet und der Betrachtung. Sie wusste beinahe die Heiligen Schriften ganz auswendig und erklärte vom Heiligen Geist erfüllt die dunkelsten Stellen in ihnen. Ihr strenges Fasten und die asketischen Übungen, mit denen sie ihr Fleisch kreuzigte, setzten alle ihre Mitschwestern in Erstaunen. Sie wandelte wie ein Engel Gottes unter den Menschen. Von ununterbrochenen Nachtwachen und asketischen Übungen erschöpft, unterlag ihr schwacher Körper einer tödlichen Krankheit und sie starb im 33. Jahr ihres Lebens voll Sehnsucht nach dem Himmel am 17. März 659.
Zur gleichen Stunde, als sie verschied, betete Modesta, eine Jugendfreundin der heiligen Gertraud, Äbtissin des Nonnenklosters zu Avende, vor dem Altar der hochgebenedeiten Gottesmutter. Auf einmal erblickte sie zu ihrer Rechten eine Erscheinung. Vor Schrecken wollte sie entfliehen, aber noch einen Blick warf sie hin, und sie sah ihre geliebte Freundin in ihrer klösterlichen Kleidung, die mit sanfter Stimme ihr zurief: „Ich selbst bin es, Modesta, die du in ihrem Leben so innig geliebt hast!“ Mehrere an ihrem Grab geschehene Wunder bestätigten die Heiligkeit der Dienerin Gottes. Die Äbtissin Agnes, die Nachfolgerin der frommen Wilfetrudis, erbaute ihr zu Ehren eine Kirche, wohin aus allen Provinzen die Gläubigen wallfahrteten. Dort riefen sie die Heilige in ihren Nöten um ihre Fürbitte bei Gott an.