Heiliger Viktor I., Papst und Bekenner, + um 198 – Fest: 28. Juli

 

Die später so blühende Kirche Nordafrikas hüllt im zweiten Jahrhundert noch dichtes Dunkel ein. Tiefes Schweigen liegt denn auch über der Wiege und dem Entwicklungsgang des heiligen Viktor, eines gebürtigen Afrikaners. Er tritt erst als Bischof von Rom (189-198/99) und Nachfolger des heiligen Papstes Eleutherius in die Geschichte ein. Sein reiches Wissen, sein erprobter Charakter, seine strenge Tugend und sein kirchlicher Eifer hatten ihm das Vertrauen von Volk und Klerus gewonnen und den Weg zur höchsten kirchlichen Würde bereitet.

 

In der rasenden See der hin und wieder wogenden äußeren Christenverfolgungen war für kurze Zeit Ebbe eingetreten. Erst kurz nach dem Tod Viktors sollte ihre Flutwelle von neuem durch die Kirche branden. Um so mehr nahmen innerkirchliche Kämpfe die Hirtensorge und Amtstätigkeit seines Pontifikates in Anspruch. Verschiedene Irrlehrer traten nämlich auf und säten Unkraut unter den Weizen der Kirche. Selbst dort, wo Christi Stellvertreter über die Reinheit der kirchlichen Lehre wachte, in Rom, suchten sie in die Herde Christi einzubrechen und Verwüstung anzurichten. So der Gnostiker Florinus, in seiner Jugend ein vielversprechender Schüler des heiligen Polykarp, später ein abtrünniger Priester der römischen Kirche. Den festen Boden der kirchlichen Überlieferungslehre verlassend, verstieg er sich zur gotteslästerlichen Lehre: Gott selbst sei der Urheber des Bösen. Die giftige Frucht seiner Falschlehre sollte nur zu bald im Kreis der eigenen Anhänger reifen. Sie gaben sich, wie der Geschichtsschreiber Philastrius beichtet, selbst bei ihren religiösen Zusammenkünften den schädlichsten geschlechtlichen Ausschweifungen hin. Ein nicht weniger hartnäckiger Häretiker war der Gerber Theodot von Byzanz. Er verleugnete, wie berichtet wird, in der Verfolgung den Glauben. Von den Christen als Abtrünniger gemieden, verließ er die Heimat und ging nach Rom. Hier suchte er seine Verleugnung Christi damit zu beschönigen, dass er nur einen „bloßen Menschen“ verleugnet habe. Statt in Buße seinen Glaubensverrat und sein schweres Ärgernis gutzumachen, schritt er in seiner Unbußfertigkeit zur vollendeten Häresie: er leugnete die Gottheit Christi. Solchen Irrlehren gegenüber erwies sich Rom, wie immer, als der feste Hort des Glaubens. Florinus wurde von Papst Viktor aus dem Klerus, ebenso Theodot aus der kirchlichen Gemeinschaft ausgeschlossen. Ihre Falschlehren aber zerschellten bald am Felsen Petri, wenn auch ihr unruhiges Gewoge noch länger an der Bildfläche der Kirche nachwirkte.

 

Tiefer wühlte der sogenannte Osterstreit die Gemüter in der Kirche auf. Ja er führte vorübergehend zum ersten Riss (Schisma) zwischen der abendländischen und einem Teil der morgenländischen Kirche. Der Streit betraf keine Glaubenslehre, sondern nur eine gottesdienstliche Übung der Kirche. Während nämlich die abendländische und der größere Teil der morgenländischen Christenheit den Ostertag stets am gleichen Wochentag, d.i. am Sonntag nach dem 14. Nisan beging, ohne Rücksicht auf den Monatstag, feierten umgekehrt die Kirchen Kleinasiens Ostern stets am gleichen Monatstag ohne Rücksicht auf den Wochentag. So konnte es vorkommen, dass der eine Teil der Christenheit bereits das Osterhalleluja jubelte, während der andere Teil in Buß- und Trauerstimmung noch das Miserere sang. Wie schon sein Vorgänger Papst Anicet fünfzig Jahre zuvor, so wollte nun auch Viktor eine einheitliche Osterfeier in der Kirche nach Maßgabe des römischen Brauches durchsetzen. Er veranlasste zu diesem Zweck wie in Rom so bis in den tiefsten Osten hinein Synoden und schloss die Synodalbeschlüsse, die einliefen, den übrigen Kirchen zur Kenntnisnahme zu. Insbesondere aber suchte er den Widerstand der kleinasiatischen Kirchen zu brechen. Doch vergeblich. Sie versteiften sich auf die angeblich vom Apostel Johannes überkommene Sitte und das vorbildliche und bindende Beispiel Christi selbst, der sich an die jüdische Gepflogenheit der Paschafeier gehalten habe. Ihr Haupt und Führer, der durch sein Alter, seine Erfahrung und seine Heiligkeit hochangesehene Bischof Polykrates von Ephesus, glaubte dem Oberhaupt der Kirche sogar das Apostelwort entgegenhalten zu sollen: Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen. Viktor blieb fest. Er richtete in verschärfter Tonart noch ein zweites und drittes Schreiben an die widerstrebenden Kirchen und brach sogar die Gemeinschaft mit ihnen ab. Diese erscheint freilich bald wiederhergestellt. Den Streit selbst aber entschied für immer 130 Jahre später das Allgemeine Konzil von Nicäa 325 zugunsten der römischen Sitte.

 

Der Heilige mochte im vergeblichen Kampf zu weit gegangen sein. Einige seiner eigenen Parteigänger, insbesondere der heilige Irenäus von Lyon, machten ihm darüber freimütigen Vorhalt. Gleichwohl werfen die Vorgänge ein mehrfaches günstiges Licht auf seine vorbildliche Amtsführung. Sie zeugen vor allem von einer ungewöhnlichen Tatkraft, mit der er sein verantwortliches Vorsteheramt in der Kirche führte. Sie bezeugen ferner den rastlosen Eifer, mit dem er der kirchlichen Einheit auch über den engeren Glaubensbereich hinaus zum Sieg verhelfen wollte. Ist doch die gemeinsame Feier der Hauptfeste nicht bloß ein schmückender Kranz um die Kirche, sondern mehr noch ein sichtbares Band der geistigen Lebensgemeinschaft aller Gläubigen und Kirchen untereinander. Nicht zuletzt aber bekundet dieses Vorgehen sein volles Bewusstsein von der Vorrangstellung Roms über alle Kirchen des Erdkreises, die in der Tatsachensprache jener Synoden in den entlegensten Sprengeln der morgenländischen Kirche eine beredte Anerkennung fand. Der tote Buchstabe der Briefe und Rundschreiben des Heiligen, derer schon die Geschichtsschreibung der alten Kirche in Ehren gedenkt, ist im Lauf der folgenden Jahrhunderte verloren gegangen. Sein Geist aber ist lebendig geblieben dort, wo die göttliche Vorsehung den Zügel der kirchlichen Oberleitung in Menschenhand gelegt hat.

 

Für jeden Gläubigen, der ein Vorsteheramt in der Kirche, und wäre es auch nur im engen Kreis eines kirchlichen Vereins, zu bekleiden hat, ist der heilige Viktor ein leuchtendes Vorbild fester Tatkraft und heiligen Eifers geworden. Sind doch dies gleichsam zwei Amtscharismen, zwei überwindende Kräfte, die ihn aus mancherlei Schwierigkeiten, die sich ihm entgegenstellten, als „Viktor“, d.i. als Sieger, hervorgehen lassen werden.