Heiliger Johannes Colobos, Einsiedler in Ägypten, + 17.10. vor 450 – Fest: 17. Oktober

 

Johannes, mit dem Beinamen Colobos, der Zwerg oder der Kurze, wegen seiner kleinen Leibesgestalt, behauptet einen ausgezeichneten Rang unter den alten Vätern der ägyptischen Wüste. Mit einem seiner Brüder zog er sich in die Wüste Skete zurück, wo er unter der Leitung eines heiligen Einsiedlers aus allen Kräften nach Vollkommenheit strebte. Um den Sieg über sich selbst zu erringen, übte er besonders die Abtötung und die Demut, die die Grundfeste des geistlichen Lebens sind. Sein Führer auf der neuen Lebensbahn hieß ihn zuerst den Stab, den er in seiner Hand trug, in ein trockenes Erdreich pflanzen, und ihn alle Tage begießen, bis er Früchte trägt. Der Schüler war gehorsam mit kindlicher Herzenseinfalt, obgleich der Bach ziemlich weit entfernt war, der ihm Wasser geben konnte. Nachdem er nun – so wird erzählt – drei Jahre lang, ohne irgendeine Gegenrede, das ihm Befohlene getan hatte, fasste der Stab Wurzeln, und brachte Frucht hervor, die der greise Einsiedler pflückte und in die Kirche brachte. Er sprach zu den Brüdern: „Nehmt und esst die Frucht des Gehorsams!“ Man liest bei Sulpizius Severus, dass Postumianus, als er im Jahr 402 in Ägypten war, den Baum grünend gesehen hat.

 

Der heilige Johannes pflegte denjenigen, der, wenn er von bösen Gedanken angefallen wird, durch glühendes Gebet sich zu Gott erhebt, um der Gefahr zu entgehen, mit einem Menschen zu vergleichen, der ein wildes Tier auf sich zukommen sieht, und schnell auf einen Baum steigt, um ihm auszuweichen. Kaum hatte er die neue Lebensweise angefangen, als er schon solche Wonne in der Beschauung fand, dass er zu seinem Bruder sagte: „Ganz ohne Zerstreuung möchte ich leben, und nicht mehr als die Engel an das Irdische denken, um Gott ununterbrochen zu dienen und seinen Namen zu preisen.“ Nachdem er dies gesagt hatte, warf er seinen Mantel von sich, und entwich in die Wüste. Nach Verlauf einer Woche kehrte er jedoch wieder zurück, und klopfte an die Zelle seines Bruders. Der fragte ihn nach seinem Namen, worauf er antwortete: „Er sei sein Bruder Johannes.“ „Das kann nicht sein,“ entgegnete der Eingeschlossene, „denn mein Bruder Johannes ist ein Engel geworden, und lebt nicht mehr unter den Menschen.“ Der Heilige bat ihn um Verzeihung seines Irrtums, erkannte, dass der Mensch auf Erden jene Vollkommenheit nicht erreichen kann, die er sich gedacht hat, dass die Beschauung mit der Hände Arbeit abwechseln muss, und dass dieses Leben zur Buße und zur Prüfung bestimmt sei. Man hörte ihn auch oft sagen: „Wenn ein Feldherr eine Stadt einnehmen will, fängt er die Belagerung damit an, dass er ihr das Wasser und die Zufuhr der Lebensmittel abschneidet. Ebenso müssen wir, wenn wir unsere Leidenschaften bezähmen und unseren Hausfeind schwächen wollen, das Fleisch durch die Mäßigkeit, durch das Fasten und die anderen Übungen der Abtötung züchtigen.“

 

Einige Begebenheiten, die wir hier anführen wollen, werden zeigen, wie sehr er alle Gelegenheiten irgendeiner Sünde zu vermeiden suchte. Als er eines Tages bei der Arbeit an seinen Matten betete, stieß auf dem Weg von Skete ein Fuhrmann auf ihn, der ihn mit Schmähungen überschüttete. Der Diener Gottes ließ sogleich seine Arbeit liegen, und entfloh aus Furcht, von seiner Gemütsruhe etwas zu verlieren. Ein anderes Mal, da er Getreide auf dem Feld schnitt, entfernte er sich, sobald er vernahm, dass zwei der Schnitter miteinander stritten. Als er eines Tages in die Kirche von Skete ging, hörte er, dass zwei Personen miteinander stritten. Auf der Stelle kehrte er wieder in seine Zelle zurück, sammelte aber, ehe er hineinging, seine Gedanken, reinigte sozusagen seine Ohren, und führte den Frieden wieder in seine Seele zurück, was er im Umgang mit Gott dringend brauchte. Diese Wachsamkeit erwarb ihm eine ungewöhnliche Milde, Demut und Geduld, die durch nichts mehr getrübt werden konnten. Als einst jemand zu ihm sagte, er habe ein giftiges Herz, antwortete er: „Das ist wahr, und viel wahrer als du meinst.“

 

Um die Notwendigkeit der Selbstbesiegung anschaulich darzustellen, erzählte er oft folgendes Beispiel: Als einst ein junger Mann einen berühmten Philosophen um die Aufnahme unter die Zahl seiner Schüler bat, sagte er ihm: „“Gehe zuerst in die Steinbrüche und trage drei Jahre lang Steine an den Fluss mit den zu den Bergwerken verurteilten Verbrechern.“ Der junge Mann tat es und kam nach der bestimmten Zeit wieder zurück. Der Weise sagte ihm dann, er soll noch drei Jahre zubringen, unter Erduldung jeglicher Art Unbilden und Beschimpfungen, ohne auch nur ein Wort zu erwidern, und er soll denjenigen sogar Geld geben, die ihn auf das schmählichste misshandeln würden. Der junge Mann gehorchte wieder, und da er sich nach dieser Prüfungszeit wieder einfand, sagte ihm der Wese, er möge nun nach Athen gehen, um sich in die Schulen der Philosophen aufnehmen zu lassen. Am Tor dieser Stadt fand er einen Greis, der es sich zum Vergnügen machte, mit den Vorübergehenden seinen Scherz zu treiben. Weit entfernt gegen ihn zu zürnen oder sich zu rechtfertigen, lächelte er ihm zu, sich glücklich preisend, auf die empfindlichste Weise verhöhnt zu werden. Da ihn der Greis um den Grund dieses Benehmens fragte, gab er zur Antwort: „Drei Jahre lang habe ich denen Geld gegeben, die mich, wie du behandelt haben, und wie sollte ich nun nicht lachen, dass es mich jetzt nichts kostet, von dir verspottet zu werden?“ „Geh hin,“ erwiderte hierauf der Greis, „gehe hin in die Schule der Philosophen, du verdienst darin aufgenommen zu werden.“ Nach dieser Erzählung setzte der Heilige bei: „Siehe, dies ist die Tür des Himmels. Alle treuen Diener Gottes sind da eingegangen durch die Leiden und Demütigungen, die sie mit Sanftmut und Geduld ertragen haben.“

 

Er schätzte niemanden höher, als diejenigen, die eifrig an der Bekehrung der anderen arbeiteten, und gab hierüber folgende Lehre: „Man kann kein Haus bauen, wenn man am Dach anfangen und am Fundament enden will. Streben wir daher zuerst das Herz unserer Brüder zu gewinnen, ehe wir ihnen versuchen nützlich zu werden.“ Oft wiederholte er den Spruch: „Die Sicherheit eines Mönchs besteht darin, dass er allezeit in seiner Zelle verbleibt, beständig über sich selbst wacht, und nie die Gegenwart Gottes aus den Augen verliert.“ Niemals hörte man ihn von Neuigkeiten oder weltlichen Dingen reden. Einige sagten ihm, um ihn zu prüfen: „Wir müssen Gott für den reichlichen Regen danken, der dieses Jahr gefallen ist, die Palmbäume haben viele Blätter getrieben, und unsere Brüder werden nun leicht Matten und Körbe zu machen haben.“ Er begnügte sich aber mit der schönen Antwort: „Ebenso grünen die Herzen der Diener Gottes wieder, wenn der Heilige Geist seinen Tau auf sie fallen lässt. Sie erneuern sich, und treiben gleichsam Blätter in der Furcht des Herrn.“ Diese Antwort bewirkte, dass man sich nicht mehr mit ihm zu unterhalten suchte. Sein Geist war immer durch heilige Beschauung in Gott vertieft, und mehr als einmal vergaß er dabei, die angefangene Arbeit auf die gehörige Weise zu vollenden.

 

Der heilige Johannes nannte die Demut und Zerknirschung die ersten und notwendigsten aller Tugenden. Er besaß sie auch im höchsten Grad. Seine Rede erglühte in heiligem Feuer, wenn er von Gott sprach. Ein Bruder besuchte ihn, um sich mit ihm von Gott einige Augenblicke zu unterhalten. Über das in ihrem Gespräch gefundene Vergnügen vergaßen sie aber so sehr die flüchtige Zeit, dass die Nacht darüber verging. Als der Tag anbrach, wollten sie sich trennen, allein nach einigen Schritten, die der Heilige gemacht hatte, um den Bruder zurückzugeleiten, lenkten sie die Rede auf den Himmel, und sie blieben beisammen bis zur Mittagszeit.

 

Der Heilige sah einst einen Bruder während der Unterredungen lachen, worüber er in Tränen sich ergießend, sagte: „Welche Ursache kann dieser Bruder haben zu lachen, während wir so viel zum Weinen haben?“

 

Eine junge Frau, namens Paesia, geriet in Armut, wurde nach und nach träge in ihren frommen Übungen, und überließ sich zuletzt den Ausschweifungen. Die Mönche von Skete ersuchten den heiligen Johannes, er möge an ihrer Bekehrung arbeiten. Er begab sich zu ihr, allein der Eintritt in ihr Haus wurde ihm verweigert. Nachdem er lange Zeit gewartet und der Frau gesagt hatte, sie wird seinen Einlass nicht zu bereuen haben, wurde ihm doch endlich sein Begehren gewährt. Als er sich in dem Haus befand, sagte er mit seiner gewöhnlichen Milde zur Schuldigen: „Welche Ursachen hast du, dich über Gott zu beklagen, ihn so zu verlassen, und dich in einen so bedauernswürdigen Abgrund zu stürzen?“ Diese Worte machten einen tiefen Eindruck auf die Frau, die, den Heiligen in Tränen erblickend, sagte: „Warum weinst du so bitterlich?“ „Wie“, antwortete der Heilige, „sollte ich wohl meine Tränen zurückhalten können, wenn ich sehe, dass der höllische Feind dein Herz besitzt?“ „Steht mir“, erwiderte die Frau, „die Tür zur Buße noch offen?“ Als ihr Johannes hierauf bemerkt hatte, dass die Schätze der göttlichen Barmherzigkeit unerschöpflich sind, sagte sie ihm, er möge sie hinführen, wo er will. Beide entfernten sich nun in tiefem Stillschweigen. Die Büßerin verließ, ohne irgendetwas zu bestimmen, ihr Haus, denn sie hatte der Welt für immer entsagt, und wollte an nichts anderes mehr als an ihr Heil denken. Sie brachte ihre übrigen Lebenstage in strengen Bußübungen zu, und starb einige Zeit später in der Wüste. Dem heiligen Johannes wurde geoffenbart, dass ihr glühender Bußeifer sie vor Gott gerechtfertigt hatte.

 

Als sich schließlich der Heilige dem Tod nahe fühlte, baten ihn seine Schüler, er möge ihnen einige Lehren hinterlassen, die geeignet wären, sie zur Vollkommenheit zu führen. Er sagte ihnen unter Seufzern: „Ich habe nie meinem Eigenwillen gefolgt. Ich habe andere nie etwas gelehrt, was ich nicht zuerst ausgeübt hätte.“ Er starb zu Anfang des fünften Jahrhunderts.