Magdalena Postel ist eine der Heiligen des Jubeljahres 1925. Am 24. Mai hat sie Papst Pius XI. dem kirchlichen Katalog der Heiligen einverleibt. Ein sehnlichster Wunsch der Schwestern der christlichen Schulen von der Barmherzigkeit ist damit in Erfüllung gegangen.
Schon in frühester Jugend hat sich Julie Postel, eines frommen Seilers Kind, geboren am 28. November 1756 in Barfleur, einer kleinen Hafenstadt der Normandie, den Namen einer „Heiligen“ verdient. Alle, die sie kannten, waren voll Verwunderung ob der Frühreife ihres Urteils und des erhabenen Ernstes ihres Tugendstrebens. Durch ihre große Verachtung der Welt und ihrer Güter, ihre beharrliche Selbstverleugnung und eine ganz verzehrende Gottesliebe war sie in ihrem langen Leben allen ein leuchtendes Vorbild. Rückhaltloses Vertrauen und vollkommene Hingabe an Gott und seinen heiligen Willen war der Grundzug ihres Wesens. Ihr beständiges Gebet lautete: „Was verlangst du von mir? Alles will ich dir geben, alles leiden, alles opfern aus Liebe zu dir.“ Bei dieser Geistesverfassung ist es begreiflich, dass Julie Magdalena Postel zu erhabener Heiligkeit emporstieg.
Welch ein Eifer für Gottes heiliges Gesetz schon im Kinderherzen! Während eines heftigen Gewitters erbebten alle Hausgenossen Juliens, nur sie, die fünfjährige Kleine, jauchzte vor Freude und klatschte in die Hände. Erstaunt beredete sie darüber die Mutter. „O, wenn es donnert und blitzt, wird niemand es wagen, Gott zu beleidigen,“ versetzte das Kind. „Ich wollte, es donnerte immer!“ – Kaum sieben Jahre alt, warf sich Julie mit dem Kruzifix in der Hand zwischen zwei sich bekämpfende Soldaten. Furchtlos und unerschrocken setzte sie sich der Lebensgefahr aus, nur um die Beleidigung Gottes zu verhüten. Ihr Mut entwaffnete und versöhnte die Streitenden.
Auch das gütige, mitleidige Herz verriet sich schon im Kind. Es verschenkte sein Frühstück, Schuhe und Kleider an arme Kinder, eilte bettelnd von Tür zu Tür und brachte dann freudestrahlend die milden Spenden zu ihren Armen und Kranken. In Kirche und Schule folgte Julie dem Religionsunterricht mit Aufmerksamkeit und größtem Verständnis, das weit ihren Jahren vorauseilte. Auch bei diesem begnadeten Gottesliebling bestätigt sich die vielfache Erfahrung, die man bei den Heiligen häufig zu machen Gelegenheit hat, die reichen übernatürlichen Gnaden können auf große natürliche Gaben des Geistes und Herzens aufbauen. Der Vergleich mit ihrer Landsmännin, der kleinen Theresia vom Kinde Jesu, liegt nahe. So zog der Herr auch unsere „kleine Heilige“ täglich näher zu sich. Im zarten Alter von neun Jahren erschien sie bereits reif genug, auf den Ruf des göttlichen Brautwerbers mit der Ablegung des Gelübdes der Keuschheit zu antworten. Wahrhaftig! Jene Frau hat klug gesprochen, die der Mutter Juliens, der die Frömmigkeit ihrer Ältesten zu übertrieben schien, die Mahnung zurief: „Das Kind gehört Gott und nicht dir!“
Julie Postel gehörte Gott. Ihre Erzieherinnen, die Benediktinerinnen zu Valognes, glaubten fest an ihren Klosterberuf. Und doch! Sie begann in ihrer Heimat die Tätigkeit als Lehrerin. Sie war sich schon damals klar, dass Gott sie zu einem strengen Leben der Armut und Selbstverleugnung bestimmt habe, wie es ihr in jenem Kloster zu üben nicht möglich gewesen wäre. Der Erfolg arbeitete mit ihr. Vielmehr Gott, dem allein ihr Mühen galt. Dreihundert Kinder unterstellten sich schließlich ihrer alle bezaubernden Güte und Geschicklichkeit. Glaubensstarke Christen, pflichttreue Mütter wollte sie erziehen. „So viel Gutes wollte sie tun, als nur möglich, aber so verborgen als möglich.“ Die Armen, Trost- und Hilfsbedürftigen fühlten es gar wohl. So war ihr Leben ein mühevolles Opferleben. Das war aber ihrem Verlangen, ein vollkommenes Opfer der Liebe zu werden, noch nicht genug. Sie unterzog sich überaus harten Bußübungen. Ohne Unterbrechung war ihr Fasten. Nur einmal am Tag nahm sie etwas Suppe und trockenes Brot zur Stärkung zu sich. Mehr als sechzig Jahre blieb sie dieser Übung treu, eine Tat, in ihrer Dauer und in unserer Zeit heroisch groß, würdig den Büßergestalten der Wüste an die Seite gestellt zu werden.
Ihr Liebe und Hingabe an die göttliche Vorsehung bewährten sich glänzend zur Zeit der großen französischen Revolution. Da schwebte die treukatholische Lehrerin fortwährend in Lebensgefahr. Ihre Frömmigkeit und ihre Lehrtätigkeit galten als Verbrechen am Vaterland. Trotzdem hielt sie furchtlos aus. Als ihr Seelenführer sie beschwor, sich doch in Sicherheit zu bringen, antwortete sie: „Ich werde hierbleiben; und wenn ich sterben soll, gut, so sterbe ich.“ Nur eins wäre ihr unmöglich gewesen, ohne den eucharistischen Heiland zu sein. Darum erbat sie sich die Vergünstigung, ihm in ihrem Haus eine Zufluchtsstätte bereiten zu dürfen. So arm diese war, der Glaubensgeist der starken Jungfrau war der Schmuck des kleinen Heiligtums. Ihre große Liebe hielt Tag und Nacht Wache und leistete stetige Abbitte für die furchtbaren Gräuel und Gotteslästerungen, die von dem blutgetränkten Land um Rache zum Himmel schrie. Kamen Häscher in ihr Haus, dann stellte sie sich unerschrocken und unbefangen vor die Tür der Wohnung des Herrn, im Vertrauen auf Gottes Vorsehung inständig bittend: „O Gott, behüte Deinen heiligen Tabernakel und dulde nicht, dass er entweiht wird, wenigstens nicht eher, als bis ich mein Blut bis zum letzten Tropfen vergossen habe.“ In heiliger Kühnheit rief sie den eindringenden Revolutionsmännern zu: „Meine Herren, suchen Sie nur!“ Und das in dem Augenblick, wo der Priester, der erst das heilige Opfer vollendete, noch vor dem Altar kniete und das eben benutzte Messgewand nur durch eine darüber geworfene Schürze verdeckt war.
Des Allerhöchsten Schutz wachte Unverkennbar über der liebestarken Tätigkeit der „priesterlichen Jungfrau“. Nie ist ein Unberufener in ihr Heiligtum eingedrungen. Selbst in den gefahrvollsten Zeiten ließen sich Priester finden, die in stiller Nachtstunde das heilige Opfer feierten und die Gestalten des heiligsten Sakramentes erneuerten. Jahre hindurch verbarg sie Priester oder verhalf ihnen zur Flucht, führte sie zu den Kranken und Sterbenden und holte ihnen selber die heiligen Hostien, wenn die Priester wegen der zu großen Gefahr sich nicht hinauswagen durften. Auch die Kinder bereitete die mutige, glaubensstarke Pfarrhelferin auf die erste heilige Kommunion vor und führte sie dann in weit entlegene Scheunen, wo der Priester seines Amtes walten konnte. Nicht einen Tag hat sie ihren Unterricht ausgesetzt. Aufgefordert, der neuen Verfassung gemäß die religiösen Unterweisungen aufzugeben, erklärte sie unumwunden: „Ich lehre, wie und was mir gut scheint.“ Freiheit wollten ja gerade die Revolutionsmänner bringen. Sie konnten ihr schließlich die Hochachtung nicht versagen. Gottes mächtige Hand ließ trotz der großen Zahl der Schülerinnen das heilige Geheimnis und ihre Hüterin nicht verletzt werden. Die tägliche Kommunion war ihr süßester Lohn. Die Heilige hatte nämlich auch die Erlaubnis im Notfall sich und anderen mittels einer silbernen Pinzette die heiligen Gestalten zu reichen. O selige Freude für die fromme Jungfrau, dass es ihr vergönnt war, gleich der Mutter des Herrn ihren Jesus auf den Armen zu tragen!
Nach ungefähr zehn Jahren legte sich der schreckliche Sturm. Nun war es abermals Fräulein Postel, die jetzt in Ermangelung der nötigen Priester öffentlich Religionsunterricht erteilte, die Schwachen anspornte und die Starken stützte. Die allgemeine Bewunderung folgte ihrer Tätigkeit. Eben um sich ihr zu entziehen und beginnender Eifersucht die Spitze abzubrechen, verließ die verdiente Katechetin ihre Vaterstadt, um einem Ruf der Stadtverwaltung von Cherbourg zu folgen, 1805. Die letzten Bande wollte sie zerreißen, die sie noch an Heimat und Vaterhaus knüpften. Zu noch größerer, umfassenderer Tätigkeit wurde sie berufen. Ein frommes sterbendes Kind verhieß der es betreuenden Lehrerin, sie würde, wenn auch unter unsäglichen Mühen, die Stifterin einer zahlreichen religiösen Genossenschaft werden. Das Kind hatte im Geist Gottes geredet; das bewiesen die folgenden Ereignisse.
In Cherbourg trat Fräulein Postel an Cabart, einen Priester von großer Tugend, mit dem Plan heran, eine Kongregation zu stiften, die den Zweck haben sollte, der Jugend Liebe und Frömmigkeit und Arbeit einzuflößen und den Armen und Kranken beizustehen. Herr Cabart fragte, auf welche Einkäufe sie rechne, um ihr Ziel zu erreichen. „Auf die Arbeit meiner Hände“, war die Antwort der entschlossenen Gründerin. Mit der Aufmunterung des Bischofs von Coutances legte sie am 8. September 1807 mit drei Genossinnen die Ordensgelübde ab, wobei sie sich den Namen Maria Magdalena beilegte. Indem sie den Namen jener heiligen Frau, „die viel geliebt hat“, wählte, wollte sie ihre Liebe zu Jesus bekennen und ihr Verlangen äußern, ständige Sühne für die Sünden der Welt zu bieten. Schwer und zahlreich waren denn auch die Leiden und Prüfungen, denen sie und ihre „Töchter von der Barmherzigkeit“ ausgesetzt waren. Brot und Wasser bildete ihre Nahrung. Schließlich war sie sogar gezwungen mit ihren Schwestern obdachlos in der Gegend umherzuirren, ehe sie einen geeigneten Wirkungskreis finden konnte. Die Armut wurde immer drückender; der Tod hielt reiche Ernte unter ihren durch Arbeit und harte Bußübungen entkräfteten Töchtern. Viele, die sich berufen glaubten, schreckten vor der allzu großen Armut und Not zurück. Selbst fromme Wohltäter rieten zur Wiederauflösung der Gesellschaft. Auch ihr langjähriger Berater und Superior verlor den Mut angesichts der großen Not. Er wollte die Schwestern anderen Ordensgenossenschaften zuweisen oder heimschicken. Aber mit aller Entschiedenheit wies Mutter Magdalena dies Ansinnen zurück. Die Fortführung des Werkes erschien ihr als der Wille Gottes. Darum zählte sie auch in allen Trübsalen unerschütterlich auf seine Vorsehung. „Wohl habe diese tausendmal ihre hilfreiche Hand bis zum letzten Augenblick verborgen gehalten, aber sie habe noch niemals die Ihrigen im Stich gelassen.“
Die Gemeinde Tamerville hatte der kleinen Genossenschaft ein ehemaliges Kloster zur Wohnung überwiesen. Nun erbaute Mutter Magdalena lange Jahre diese Gemeinde durch ihr herrliches Beispiel der Frömmigkeit, Weisheit und Demut. Schon stand die Heilige im zweiundsechzigsten Lebensjahr. Trotzdem zögerte sie nicht, den Anordnungen einer öffentlichen Vorschrift gemäß sich einem Examen zu unterziehen, um so den Beweis ihrer Fähigkeit als Erzieherin zu bringen. Es gab kein Ende der Sorgen, Mühen und Prüfungen bis ins höchste Alter. Im Jahr 1832 erwarb Mutter Magdalena, ohne alle Geldmittel, einzig im Vertrauen auf die Vorsehung, die Ruinen der ehemaligen Benediktinerabtei Saint Sauveur-le Vicomte, d.i. „Zum heiligen Erlöser, dem Grafen-Herrn“, um hierher den Hauptsitz ihrer Kongregation zu verlegen. Man hatte bald die Freude, Kirche und Kloster im alten Glanz erstehen zu sehen. Da, bei einem furchtbaren Unwetter, barst der kaum fertiggestellte Turm mitten auseinander und legte im Sturz auch das anstoßende Bauwerk in Trümmer. Alles war entmutigt. Gott schien gegen die hohen Pläne zu sprechen. Nur die Stifterin verlor nicht die Ruhe und das sichere Vertrauen. „Sei gepriesen, o Gott,“ rief sie aus. „Du erniedrigst uns nur, um uns nachher wieder mehr zu erheben!“ Nicht ruhend, gelang es ihr, alle Hindernisse zu überwinden. „Gott will es,“ sprach sie im prophetischen Geist, „des bin ich sicher. Bis die Kirche ganz vollendet ist, wird es uns an dem nötigen Geld nicht mangeln. Ich werde allerdings die Vollendung nur vom Himmel aus mitansehen.“ An der Spitze der Schwestern räumte die nahezu vierundachtzigjährige Oberin selbst den Schutt mit auf, sortierte und putzte die noch brauchbaren Steine und wusste so durch die Kraft ihres Wortes und Beispiels die Vollendung des Unternehmens zu sichern. Wenn es gilt Gottes Tempel aufzubauen, ob den materiellen mit Steinen oder den geistigen mit den Seelen der Gerechten, da triumphiert ein lebendiger Glaube und treu ergebene Hingabe an die göttliche Vorsehung über die Schwäche des Alters und Geschlechtes, auch über unüberwindlich scheinende Hindernisse.
Aber vielleicht war in Gottes Augen noch größer und rühmenswerter ein Akt vollendeter Demut, der Sieg über den Eigenwillen. Mehr als dreißig Jahre hatte sich Mutter Maria Magdalena mit ihren Töchtern durch die Beobachtung der von ihr selbst entworfenen Regel geheiligt. Da hielt es die bischöfliche Behörde für gut, die vom Heiligen Stuhl approbierte Regel der Schulbrüder vom heiligen Johannes de la Salle auf ihre Genossenschaft zu übertragen. Ohne zu zaudern und sich zu bedenken, ging die zweiundachtzigjährige Greisin – und wie hängen doch die alten Leute an ihren liebgewonnenen Anschauungen – auf den Vorschlag ein. „Ja, das ist der Wille Gottes,“ sagte sie freudig und brachte im Gehorsam alles zum Opfer, was ihr durch lange Übung teuer war. Freudestrahlend beteuerte sie immer wieder am Tag der Gelübdeablegung nach jenen neuen Konstitutionen: „Das war es, was der liebe Gott von uns verlangte.“
So hat die heilige Maria Magdalena Postel in heldenmütiger Ausdauer „den höchsten Gipfel der christlichen Vollkommenheit“ sich erstritten, wie Pius X. im Seligsprechungsbreve hervorhebt. Der erleuchtete Papst vergleicht sie nach ihrem erfolgreichen Wirken auf dem Gebiet der Schule mit dem heiligen Johann B. de la Salle, wegen ihres frommen heiligen Lebens aber mit der heiligen Theresia der Großen. Gott der Herr belohnte seine treue Dienerin mit den herrlichsten Gnaden und Gunstbezeigungen. In wunderbaren Verzückungen, von himmlischem Licht umflossen, wurde sie oft über alles Irdische erhoben. Groß war ihre Macht über die Herzen der Menschen. Gott enthüllte ihr die verborgenen Dinge. Als endlich der Herr von der Neunzigjährigen das Opfer des Lebens, das sie so oft schon angeboten hatte, annahm, da erstrahlte hoher Seelenfriede und reinste Herzensfreude auf ihrem Angesicht. „O, wie glücklich bin ich,“ rief sie zu wiederholten Malen aus. Von Sehnsucht nach Gott verzehrt, starb sie am 16. Juli 1846.
Die Heilige hat einmal geäußert, Gott will es, dass ihre Genossenschaft sich ausbreite. Als König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen die sammelnde Schwester Plazida in Berlin mit Wohlwollen behandelte und die Erbauung der Kirche „Zum heiligen Erlöser“ durch eine gütige Spende unterstützte, ermunterte Mutter Magdalena ihre Töchter voll Dankbarkeit: „Sucht unserem Nachbarvolk Gutes zu tun!“ Dieser Segen der Heiligen brachte seine Frucht. In den Jahren 1855-1858 hatten sich vier brave Lehrerinnen des katholischen Eichsfeldes zusammengefunden, um gemeinsam alle ihre Kräfte für die Erziehung und Ausbildung der weiblichen Jugend in ihrer Heimat einzusetzen. Der rühmlichst bekannte, gottselige bischöfliche Kommissar Dr. Konrad Zehrt und Bischof Konrad Martin von Paderborn unterstützten sie in ihrem Vorhaben. So beschlossen sie der Genossenschaft der Schwestern der christlichen Schulen von der Barmherzigkeit beizutreten und sie nach Deutschland zu verpflanzen. Im Jahr 1862 wurde das Mutterhaus zu Heiligenstadt eröffnet. Mehrere deutsche Schwestern waren vom Heilig-Erlöser-Kloster herübergekommen, um die vier Lehrerinnen ins Ordensleben einzuführen. Ihre Mitglieder konnten die auch sie treffende Verbannung glücklich überstehen. Seit der Wiedereinführung der guten Schulschwestern, 1887, sind ihre Häuser auf mehr als vierzig gewachsen. Die christlichen Erzieherinnen wissen den Wahlspruch und die Mahnung der Mutter Maria Magdalena in die Tat umzusetzen:
„So viel Gutes tun als möglich, aber so verborgen als möglich.“ „… Wir haben uns Gott geschenkt, so übergeben wir uns ihm auch ganz. Er ist ein eifersüchtiger Gott. Er will kein halbes Herz, er will es ganz und gar. Er will den Baum und auch die Frucht.“