Seliger Heinrich von Zwiefalten, Prior in Ochsenhausen, + 4.11.1262 - Fest: 4. November

       

Ein vergessener Seliger

 

Unser Schwabenland hat manche Heiligen, manche Seligen, die offen verehrt in unseren Kirchen und auf unseren Bildstöcklein stehen. Es hat aber auch solche, die vergessen sind. Kein Altar steht für sie, kein Grab ist ihnen geweiht, kein Hausaltar weiß mehr von ihrer Größe. Wenn dann irgendeiner Zeit findet, in verblichenen Chroniken zu lesen, findet er die goldstrahlende Glorie wie ein neuentdecktes Wunder.

 

Vom Jahr 1238 bis 1262 lebte und wirkte in dem ehemaligen Benediktinerkloster Ochsenhausen der 5. Prior, „der selige Heinrich von Zwiefaltach“. Seine Lebensbeschreibung ist so reich an wunderbaren Ereignissen, dass wir verstehen, warum ihm die Chronik den Namen „der Selige“ gab. Seinen Namen finden wir denn auch in jeder ausführlichen Legende aufgeführt am 4. November. Auch waren in den über hundert Jahren (jetzt schon über 200 Jahre - 1803), seit Aufhebung des Klosters, viele Pfarrherren und Vikare in Ochsenhausen, die sich bemühten, von dem Grab dieses großen Menschen Spuren zu finden, aber umsonst. Die vielen großen Umbauten, seitdem aus dem kleinen Priorat des Stiftes eine mächtige Abtei geworden war, vielleicht auch die Kriege, haben verwischt, was dort einst hochgeehrt war.

 

Der selige Heinrich wurde auf dem Stammschloss Zwiefaltach geboren. Er war ein Mann unserer Abstammung, unseres Schwabenblutes, raschen, zornmütigen und schnell wieder versöhnten Charakters. Reicher Eltern Kind, ein Schlossjunker, fern aller schwierigen körperlichen Arbeit, ein Leichtlerner, ein Lernbegeisterter, einer der durch die Schulaufgaben flog wie ein Schmetterling durch Blumen, dem die Schule Genuss und Freude war. Der Eltern Stolz, der Mitschüler Vorbild. „Seine seltenen Geistesgaben, die ein schöner Körperbau ungemein erhöhte, und sein unermüdlicher Fleiß berechtigten zu den kühnsten Erwartungen“, steht zu lesen in einer Chronik. Schöne Menschen haben einen leichteren Lebensweg, ihr Anblick schon macht ihnen alle Herzen gewogen, denn des Menschen Auge ist für Schönheit reich empfänglich eingestellt. Aber Schönheit ist ein zweischneidiges Schwert und unser Heinrich fiel durch dieses Schwert.

 

Lob und Ehre und Schmeichelei überall und Reichtum als Zugabe: dieses Leben war herrlich. Er begann, es zu genießen, er fand Freude an Festen, er ermüdete dadurch im Studium, er holte Ehre von der Jagd, vom Ritterspiel. Überschwänglich erst im Lerneifer, war er jetzt überschwänglich im Leichtsinn. Den einst auf den Sohn so stolzen Eltern brach der mehr und mehr in die Tiefe sinkende Sohn das Herz.

 

Aber Heinrich war zu sehr umgarnt von falschen Freunden und gleißenden Vergnügungen, als dass ihn der Tod der Teuersten herausreißen konnte zur Umkehr. Nur toller und wilder lärmten seine Feste, nur noch häufiger zog er die adelige, bürgerliche und vagabundierende Jugend auf sein Schloss in den Rausch aller Genüsse, „selbst auf ganz gemeine Tanzplätze“, schreibt der Chronist.

 

Aber Gottes Wege erforscht kein Menschenhirn. Seine Stunde schlägt, wann er will.

 

In gedankenlosem Übermut tanzte Heinrich bei Musik, Wein und Gesang in üppigen Kleidern und reichem Schmuck in lärmender, genusssüchtiger Gesellschaft, die Nacht durch bis zur Dämmerfrühe in den Hallen seines Heimatschlosses. Die erhitzte Tänzerin fliegt mit ihm durch den Saal, lachend und jauchzend. Plötzlich lässt der schöngewachsene Herrensohn sie stehen, seine Arme lassen ihren noch im Tanz sich wiegenden Körper los, erschrocken starrt er hin zum Eingang des Saales und beginnt zu zittern. Seine Tänzerin folgt seinen Blicken, sie sieht nichts Besonderes, - nur den Tumult übernächtig tanzender Menschen. Was hat der Ritter?

 

Mitten durch Lärm und Wirrwarr von Tönen und Farben zieht langsam – ein Schemen und doch wahrhaftig wahr – schweiß- und bluttriefend der Herr Jesus mit dem Kreuz auf der Schulter, müde hebt er das heilige Antlitz und schaut Heinrich ernst und traurig an. Heinrich starrt, seine Augen werden feucht, dann hebt er sein schönes, stolzes Haupt hoch, schaut seine Partnerin an und sagt: „Gute Nacht, nun gehe ich ins Kloster!“

 

Hell lacht die Schöne heraus, jubelnd stimmen die Genossen ein:

 

„Der Heinrich, das ist sein feinster Spaß, er geht ins Kloster! Ha – ha - !“

 

Weiter tobt und rast der Tanz. Er wird schon wieder kommen, der Heinrich; lustig und übermütig, in der Mönchskutte vielleicht – ha – ha – Heinrich geht ins Kloster! –

 

Einen Mantel hat der Ritter sich umgeworfen im Gang. Nimmer denkt er daran, sein Lustkleid abzulegen, - er hat den Herrn gesehen, er muss ihm nach; - der Herr hat ihn gerufen mit seinem Blick, er muss ihm folgen.

 

Ein weiter Weg von Zwiefaltach bis Ochsenhausen, viele Stunden, durch viele Wälder. Heinrich kennt sie von seinen Jagden, aber nun reitet er nicht mehr bequem hoch zu Ross, nun stampft er im kalten, nüchternen Morgengrauen dem Osten zu, - ins Kloster.

 

Ein Tag geht fast hin, bis der müde Wanderer an der Pforte des damals noch kleinen, schmalen Klösterleins steht. Aber frisch ist sein Auge, er weiß, was er will, und er meldet sich dem Prior. Prior Arnoldus, ein früherer Mönch von Sankt Blasien, maß den Herrensohn von oben bis unten: „So schnell öffnet unser Ordensstifter Benediktus seine stillen Pforten nicht; der Herrensohn von Zwiefaltach hat keinen ehrenvollen Ruf für ein Mönchleben.“

 

Heinrich aber beugt Haupt und Knie und bittet: „Dem geringsten Bruder stellt mich als noch geringeren bei, nur jagt mich nicht mehr hinaus in die Welt!“

 

Was Prior und Weltkind weiter beredeten, ist in Gottes Büchern eingetragen. Guten Willens waren beide und darum wurde ihr Tun zum Segen.

 

„Über alle Erwartungen bestand der Ordenskandidat jede Probe“, heißt es. Ferner: „der Eintritt wurde ihm sehr erschwert, denn sein Ruf war an die Pforte vorausgeeilt; aber der rühmliche Bußeifer seines Probejahres verließ ihn die ganze Zeit seines Lebens nie. Wie streng und unerbittlich er gegen sich war, umso schonender und liebreicher war er gegenüber seinen Brüdern und gegenüber allen, die in nähere Berührung mit ihm kamen“, schreibt die Chronik weiter. Zurück zum Gebet und zum Studium, das waren die Wege, auf denen er immer inniger zu Gott kam. Wir wissen, dass er um 1200 geboren ist und dass er schon im Jahr 1238 nach Ableben des Priors Arnold vom Abt Heinrich I. von Sankt Blasien zu dessen Nachfolger ernannt wurde.

 

Wenn wir rechnen, dass seine Leichtsinnszeit mit dem 25. Jahr endete, so war er nach 12-13 Jahren schon zum ersten Leiter des Klosters herangereift. (Damals war Ochsenhausen noch nicht Abtei.) Beweis genug der großen Achtung, die Heinrich genoss. In Demut bat er um Befreiung von dieser Wahl, „denn ich halte jeden meiner Mitbrüder dazu für würdiger als mich“.

 

„In liebevoller Tugend riss er alle durch sein Beispiel der Güte und Frömmigkeit zur Nachahmung hin, so dass mündliche Aufforderungen zum Guten selten not waren.“

 

„Gott gab diesen willigen Mönchen auch bald Zeugnis, dass sie in dem, den sie wie einen Vater liebten, einen Heiligen zu ehren hatten“, also steht es in der Chronik. Wunderbare Gebetserhörungen in verschiedenen Nöten des Klosters und seiner Umgebung setzten immer wieder die Mönche und die Laien in ehrfurchtsvolles Staunen. Manche davon sind aufgezeichnet, viele nicht. Die kostbare Bücherei des Klosters ist, wie mancher große Schatz der Frömmigkeit, der Wissenschaft und der Kunst, verschleudert worden in der bösen Säkularisation. Das kleine, im Viereck des heutigen Kreuzgartens gebaute Klösterlein, dessen eine Seite die Kirche war, wurde eines nachts schwer gefährdet, da Feuer in dem Kirchlein ausgebrochen war. Feuer in der damaligen Zeit war ein fast unbesiegbarer Feind. Wenig Wasser, wenig Löscher, keine bequemen Hilfsmittel, viel Holz, lebhafte Luftbewegung auf der freien Höhe.

 

„Der fromme Prior warf sich am Fuß des Altars sein Angesicht, - und auf sein Gebet verschwand mit einem Mal alle Gefahr.“

 

Dass die Menschen mit ihren Nöten zu dem Seligen pilgerten, sehen wir aus der Erzählung: „Er half einem von Geburt ganz verkrüppelten Knaben augenblicklich auf die Beine und heilte eine schon ziemlich bejahrte Person, die sich mit Nähen kümmerlich genährt hatte, von einer unheilbaren Augenkrankheit.“

 

Er soll auch mit den armen Seelen seiner vorangegangenen Mitmenschen in ständiger Fühlung gewesen sein in Gebet und Hilfe, und seine Umgebung habe oft die Wirkung seines herzlichen Mitleidens mit ihnen geheimnisvoll erfahren.

 

Der Heilige brachte durch diese auffallenden göttlichen Gnadenerweise seinem Kloster viele Wohltäter und Stifter. Für unsere Zeit ist es sehr lehrreich zu wissen, zu was er diese Gaben vor allem verwendete. Er half seinem Mitmenschen, wo er Not sah, und „er wendete die milden Gaben dazu an, seine Bibliothek mit nützlichen Büchern und erbaulichen Schriften zu bereichern und die Kirche und das Klosters mit schönen, heiligen Gemälden zu schmücken“. Frömmigkeit war ihm also nicht bloß ruhige Beschauung, sondern Handeln im Geist Jesu.

 

Er starb im Ruf der Heiligkeit am 4. November 1262. In vier lateinische Verse fassten seine Zeitgenossen sein Leben kurz und treffend.

 

Berühmt hat er Zwiefaltach gemacht

Durch ein gutes Leben in Christus,

Welches er hingegeben seinen Brüdern:

Hier lebte ich als Mönch und Prior,

Den brennenden Tempel löschte ich,

Blinde, Lahme, von Dämonen Gequälte,

Die Schatten in den Flammen

Habe ich zum Heil geführt.

Von Elise Miller

Katholisches Sonntagsblatt

Bistumsblatt der Diözese Rottenburg

88. Jahrgang, Nummer 39, S. 655

Stuttgart, 26. September 1937

 

Kloster Zwiefalten