Heilige Amalberga, Jungfrau von Temsche, + 10.7.772 – Fest: 10. Juli

 

Amalberga, die jüngere, ist um dieselbe Zeit geboren, in der die ältere Amalberga starb, etwa um das Jahr 690. Sie entspross einem hochadeligen Geschlecht in Flandern, das mit den Karolingern in Verwandtschaft stand. Christian und Eva werden ihre Eltern genannt, denen nach zuverlässigen Urkunden das heutige Temsche, ein Marktflecken zwischen Antwerpen und Dendermonde gelegen, das Gut Mater (Materen) bei Qudenarde und das weit entfernte Landgut Rodingen im Ardennenwald gehörten. Hier im stillen Rodingen, umgeben von der ernsten Schönheit der Natur, von Wald und Bergen, fern von der Unruhe und dem eitlen Treiben der Welt, da war es, wo die künftige Braut des Herrn heranwuchs zugleich mit ihrem Bruder Rodin, der auch als „Seliger“ verehrt wird.

 

Als das Kind in die Jahre kam, dass es Unterricht erhalten sollte, traf es sich, dass der heilige Willibrord auf einer Reise bei Amaliens Eltern Herberge nahm und sie veranlasste, die vielversprechende Tochter in das Kloster Münster-Bilsen zur Ausbildung zu schicken. Dieses Kloster bei der Stadt Bilsen an der Demer in Belgisch-Limburg war von der heiligen Landrada, vielleicht einer Enkelin Pippins des Älteren, gegründet worden, die dortmals noch als Äbtissin mit Weisheit waltete. Unter dem Wehen heiligen Friedens und stetiger Gottesliebe wuchs Amalberga zu einer herrlichen Jungfrau heran, gleich bewundernswert ob ihrer hohen Geistesbildung wie wegen ihrer körperlichen Schönheit. Ihr Ruf zog den berühmten Kriegsmann Karl Martell, den Sohn Pippins des Mittleren, an, so dass er angelegentlichst um ihre Hand warb. Allein der Jungfrau war bereits eine andere Liebe aufgegangen.

 

Schon von zartester Kindheit an war sie in besonders gnadenvoller Weise von Gott geführt worden. Ihm gehörte ihr ganzes Denken und Lieben von seinen ersten Anfängen an. Da war es nicht zu verwundern, dass sie sich, vor die lebenswichtige Frage der Standeswahl gestellt, endgültig dahin entschied, dem göttlichen Bräutigam auch ungeteilt im ehelosen, jungfräulichen Stand für immer anzugehören. Ein wirklich heroischer Entschluss bei einem Mädchen in der Lage und Stellung der heiligen Amalberga. Einen glänzenden gesellschaftlichen Rang brachte sie dadurch zum Opfer. Ein schwerer, gefährlicher Kampf war erst zu führen, um diese kostbare Perle sich zu sichern. Karl, der sich im Krieg ob seiner gewaltigen Schläge gegen Friesen und Sachsen den Namen „der Hammer“ verdiente, war nicht der Mann, sich so leicht von einer Jungfrau besiegen zu lassen. Ein rauer Kriegsheld, hatte er nicht Überwindungskraft genug, seine eigene Leidenschaft männlich zu besiegen. Dass ihn auch die Scheu vor dem Heiligen nicht zurückhielt, wo es die Erreichung seiner Absichten galt, weist die Geschichte aus. Abgewiesen mit seinen Bewerbungen, war er willens Gewalt zu brauchen. Der Bruder Amalbergens, Rodin, erhielt Kenntnis von der Gefahr und rettete die gefährdete Jungfrau nach Mater, der väterlichen Besitzung. Allein ihre Sicherheit war nur eine kurze. Eines Tages ereilte sie die Schreckensnachricht, Fürst Karl stehe mit seinen bewaffneten Begleitern vor den Toren. Wohin sollte das schwache Mädchen vor dem Furchtbaren flüchten?  Es eilte zu dem, der es berufen hatte, die Jungfrauschaft ihm zu weihen, der ja auch allmächtig ist, die Seinen zu schützen, zu dem schon die Jungfrauen der ersten christlichen Zeit nicht umsonst um Hilfe gegen die Tyrannen gefleht hatten. Amalie floh in die Hauskapelle. Der zügellose Mann drang ins Heiligtum nach. Die verfolgte Braut des Herrn, vor dem Altar hingeworfen, umfasst mit ihren Armen die heilige Stätte, auf dass niemand imstande sei, sie davon loszureißen. Aus angsterfülltem Herzen steigt der flehentliche Hilferuf auf zum Schirmer der Unschuld. Karl versuchte es zuerst mit schmeichelnden Worten, mit Versprechungen, mit Schilderungen der Freuden, die er seiner Braut bereiten wollte, und der Ehren, die sie an seiner Seite genießen sollte. Doch die Jungfrau, die in der Stille mit der heiligen Agnes beten mochte: „Dem bin ich vermählt, dem die Engel dienen, dessen Schönheit Sonne und Mond bewundern; ihm allein bewahre ich die Treue, ihm weihe ich mich ganz und ausschließlich“, sie gab gar keine Antwort, sie schaute nicht einmal auf zu ihm. Vergängliche Schönheit, die Gott ihr verliehen, soll nicht Gelegenheit bieten, die leidenschaftliche Sinnenlust des Bewerbers noch mehr zu entflammen. Dieser, gereizt durch den abweisenden Widerstand, erfasste ihren Arm, um sie mit Gewalt emporzuziehen. Vergeblich! Wie angeheftet an den Boden, wie von höherer Kraft gestärkt scheint die Jungfrau, so dass auch dieses Mannes eiserne Kraft zuschanden wird. Ähnliches erzählen die Martyrerakten von der heiligen Lucia. Der Knecht der Leidenschaft kann seinen Zorn nicht mehr bemeistern. Im trotzigen Ringen bricht er der unbezwingbaren Jungfrau den Arm. Nun aber hielt er beschämt inne und verließ den Ort seines Frevels. Amalberga, die starke Frau, hat im Streit um ihre Jungfräulichkeit auch noch das Verdienst des Martyriums hinzuerworben. Noch immer umklammert sie den Altar und betete mit der heiligen Agnes: „Ich rufe zu dir, allmächtiger, anbetungswürdiger Vater; denn durch deinen heiligen Sohn bin ich den Drohungen des gottesräuberischen Tyrannen entgangen und siehe, ich komme zu dir, den ich geliebt, den ich gesucht, den ich immer gewünscht habe.“ Und er kam, der göttliche Bräutigam; zum untrüglichen Zeichen seines Wohlgefallens an ihrer Treue gegen ihn heilte er ihr den Arm. Unversehrt erhebt sie sich.

 

Von jetzt an, nach so heißem Kampf, lebte die heilige Amalberga unbehelligt auf ihrem Gut in Temsche als gottverlobte Jungfrau. Man hätte erwarten können, dass sie wieder in ihr geliebtes Bilsen oder in eine andere Friedensstätte zurückgeeilt wäre. Aber war es die Sorge, dem Kloster, dem sie sich einverleibt hätte, vielleicht Belästigungen und Missgunst seitens ihres mächtigen Bewerbers zu bereiten, der die erlittene Niederlage dem Kloster hätte entgelten lassen können, oder war es die Erkenntnis, dass Gott sie zu einer anderen Lebensweise bestimmt habe, oder was immer für ein anderer Grund sie bewog in der Welt zu bleiben, ihre Wahl entsprach sicher der Eingebung und dem Willen Gottes, dem sie sich ja zu vollkommenem Gehorsam verpflichtet hatte. Es ist gewiss auch Gottes Wille, dass reine Seelen, die um Christi willen die Ehelosigkeit wählen, in der Welt verbleiben, um hier seine Werkzeuge zum Segen der Menschheit zu sein, wie es andere im Kloster sein sollen. Wenn die Ordensleute durch das Beispiel der freiwilligen Armut und lebenslänglichen Keuschheit einen mächtigen Eindruck auf die Welt hervorzubringen und ihr durch die Tat beweisen, dass es möglich ist, ein sittenreines Leben zu führen und den Genüssen der Erde zu entsagen, werden dann nicht jene, die mitten in der Welt das gleiche Beispiel geben, auch die gleiche Wirkung erzielen und somit auch die gleiche Lebensaufgabe haben? Gar viele Weltmenschen sehen und lernen nie Klöster kennen. Andere wieder, durch gehässige Darstellungen irregeleitet, haben eine ganz verkehrte Ansicht darüber und große Vorurteile. Ihnen sollen solch reine, von inniger Liebe zu Jesus erfüllte Seelen durch Beispiel und Samaritertätigkeit apostolische Dienste leisten. Diese Aufgabe hatte die heilige Amalberga für sich erwählt und übte sie in vollkommenster Weise. Reicher irdischer Besitz, der ihr von den Eltern zufiel, gab ihr hierzu die ausgiebige Möglichkeit. Die Zeit, in der das Christentum noch auf seinem Missionszug durch die fränkisch-deutschen Länder sich befand, hatte ihre mannigfaltigsten Bedürfnisse.

 

Amalberga ließ aus ihrem Vermögen in Temsche eine Kirche erbauen und der seligsten Jungfrau Maria weihen. Die uralte Inschrift, die noch heute sich an der Pfarrkirche in Temsche befindet, ist der sprechende Beweis hierfür, abgesehen von anderen geschichtlichen Quellen. Gegenüber den Armen war sie „wunderbar freigebig“, wie der heilige Bischof Radbod von Utrecht berichtet; „sie liebte statt der weltlichen Gesellschaften die Armen Christi“. Für sich aber „zog sie vor“, wie wir in der gleichen Quelle lesen, „mit den Edelsteinen der Tugenden sich zu schmücken statt mit kostbaren Kleidern; sie beschloss, den Augen der Menschen sich in geringer und selbst verächtlicher Erscheinung zu zeigen, um vor den Augen Gottes desto wertvoller und tadelloser zu sein. Sie bediente sich nicht des Goldes und der Perlen, da sie wusste, dass auch ihr Bräutigam Christus sich deren auf Erden nicht bediente; sie liebte nicht den Purpur und feine Stoffe, da ihr nicht unbekannt war, wie viele um dieser Dinge willen ins Verderben stürzen. Statt vieler Besuche, statt häufigen Verkehres mit den Menschen, den sie gänzlich verschmähte, verweilte sie unablässig im Tempel des Herrn, an seinen heiligen Altären wachend und betend“. Das Gebet war ihr das Mittel, ihre jungfräuliche Reinheit makellos zu bewahren, es war das ihr mögliche und nicht unwirksame Mittel, am Aufbau des Reiches Christi mitzuarbeiten. Auch durch die Tat beteiligte sie sich hieran, indem sie den Jungfrauen von Temsche, die sie um sich scharten, die überirdische Weisheit, die sie in der Schule des Gebetes und der Heiligen erlernte, mitteilte und sie zu Zeugen ihrer Liebeswerke und ihrer heldenmütigen Tugend- und Bußübungen machte.

 

Die treue Dienerin des Herrn erreichte ein Alter von zweiundachtzig Jahren. Die verlässlichsten Schriftsteller geben das Jahr 772 als Todesjahr an. Der 10. Juli wird ihr Sterbetag sein, da die Kirche diesen Tag von jeher als ihren Geburtstag für den Himmel beging. Alle Denkmäler, die von der heiligen Jungfrau Amalberga sprechen, bezeugen, dass ihre Verehrung, wenigstens in Belgien, immer hoch in Blüte war. Besonders bestand unter der Bevölkerung von Ostflandern ein wahrer Wettstreit in ihrer Verehrung, wie denn auch eine Menge wunderbarer Tatsachen glaubwürdig berichtet werden, die uns Beweis sind von dem Vertrauen des Volkes auf die fürbittende Macht dieser „wunderbaren Jungfrau“ (hl. Radbod).

 

„Als der Sohn Gottes auf die Erde kam, hat er sich sogleich eine neue Familie gegründet, damit er, der im Himmel von Engeln angebetet wurde, auch auf Erden seine Engel (die Jungfrauen) habe.“ (Hl. Hieronymus an Eustochium)