Der heilige Bonifatius, dessen die Kirche heute gedenkt, ist nicht zu verwechseln mit dem anderen Bonifatius, dem Apostel der Deutschen. Sodann ist von dem heutigen Bonifatius zu berichten, dass er zu den „Drei Gestrengen Herren“ gehört. Was soll das heißen?
Schau, wenn sich um diese Jahreszeit die Sonne wieder kräftiger durchdringt, so lösen sich unter ihren wärmenden Strahlen hoch im Norden mächtige Blöcke vom ewigen Eis, di als sogenannte Eisberge hinaus ins Meer fahren und für Europa noch einmal kurz vor dem Sommer gerade zu der Zeit Nachtfröste bringen, da in der Natur weitgehend die Blüte eingesetzt hat, und wenn darüber der Frost kommt, so kann es um die Ernte geschehen sein.
Die Maifröste sind daher sehr gefährlich und sehr gefürchtet. Gewöhnlich treten sie am 12., 13. und 14. Mai auf, und weil die Bauern im Mittelalter die Wetterregeln nach den Heiligen benannten, erhielten die drei Heiligen, deren Fest auf die erwähnten Tage fällt, den Namen die „Drei Gestrengen Herren“. Auch heißen sie wohl die „Eisheiligen“. Das ist natürlich nicht so zu verstehen, dass man den drei Heiligen die Schuld an den Nachtfrösten gab, im Gegenteil, man rief vielmehr ihre Fürbitte dagegen an, aber die unguten Namen sind nun einmal an ihnen hängengeblieben.
Die „Drei Gestrengen Herren“ sind der heilige Pankratius, von dem vorgestern erzählt wurde, ferner der heilige Servatius, ein ehemaliger Bischof von Maastricht im heutigen Holland, und drittens der heilige Bonifatius, der die Dreierreihe der Eisheiligen schließt. Von morgen ab ist daher mit Nachtfrost kaum noch zu rechnen. Von morgen ab kann man auch Bohnen legen und Tomatensetzlinge ins Freie pflanzen.
Vom heiligen Bonifatius heißt es, dass er anfänglich ein ausschweifendes Leben geführt habe. Was ist denn das, ein ausschweifendes Leben? Leute, die ein ausschweifendes Leben führen, brauchen an sich keine bösartigen Menschen zu sein, es sind im Gegenteil nicht selten gutmütige und gutherzige Frauen und Männer, aber es fehlt ihnen die Willensstärke. Leicht verfallen sie dem Trunk und der Sittenlosigkeit, und weil sie an ihrem schwachen Willen keinen Halt haben, fallen sie immer tiefer diesseits und möglicherweise auch jenseits vom Tod in den Abgrund hinab. Es sind bedauernswerte Menschen.
Bonifatius führte also anfänglich ein ausschweifendes Leben. Er hat zu viel getrunken, Glücksspiele hat er getrieben, und auch sonst war er nicht vorbildlich. Dazu wollte es das Unglück, dass er in seiner Stellung als Güterverwalter der Fürstin Aglae zu Rom eine Herrin über sich hatte, die keinen Strich besser war als er selbst. Allerdings muss man den beiden zugutehalten, dass sie es als Heiden nicht besser wussten, und auch das muss zu ihrem Lob gesagt werden, dass sie sich überaus mildtätig gegenüber den Armen und Notleidenden benahmen. Diese gute Eigenschaft mag ihnen wohl die Gnade der Bekehrung verschafft haben, denn der liebe Gott lässt keine gute Tat unbelohnt.
Die Bekehrung der beiden begann damit, dass die Fürstin Aglae zufällig von der Wunderkraft der Martyrerreliquien hörte. In Rom wurden die Christen damals nicht verfolgt, wohl aber in Kleinasien. Deshalb schickte Aglae ihren Güterverwalter dorthin, damit er ihr Reliquien beschaffe. Bonifatius reiste ab, gelangte nach Tarsus und kam gerade recht, um Zeuge eines richterlichen Verfahrens gegen zwanzig Christen zu sein, die gleich darauf heldenmütig für den Glauben mit schweren Martern gequält wurden. Da schlug für Bonifatius die Gnadenstunde, und Gott zahlte ihm hundertfältig heim, was er den Armen Gutes getan hatte. Das Beispiel der Martyrer überzeugte ihn von der Wahrheit des christlichen Glaubens, und durch die Hilfe von oben gestärkt, brachte der bisher willensschwache Mann die Kraft auf, sich ebenfalls als Christ zu bekennen und sich den Helden bei zugesellen, mit denen er den Todesstreich empfing am 14. Mai 290. Auch die Fürstin Aglae bekehrte sich und führte bis ins hohe Alter ein vorbildliches Leben. Da hatte also den beiden das Wohltun reichliche Zinsen gebracht.