Heiliger Thomas Morus, Lordkanzler von England, Martyrer, + 6.7.1535 – Fest: 22. Juni

 

Unter den heiligen Blutzeugen, denen die Tyrannei des königlichen Wüstlings Heinrich VIII. die Martyrerkrone bot, glänzen wie ein hellleuchtendes Doppelgestirn Bischof Fisher und Kanzler More. Groß als Gelehrter und als Kanzler des Reiches, nicht minder groß als frommer und standhafter Bekenner und Martyrer des katholischen Glaubens, wird der heilige Thomas Morus stets eine der herrlichsten Zierden seiner Heimat bleiben.

 

Thomas Morus war ein Londoner Kind, sein Vater Richter am königlichen Gerichtshof. Seine Erziehung war streng und echt katholisch. Rasch durchlief Thomas mit seinen außerordentlichen Talenten die gewöhnlichen Vorschulen. Noch zu jung für die Universität, kam er als Page zu dem einflussreichen Kardinal Morton, Erzbischof von Canterbury und Lordkanzler des Reiches, der sich einst zu seinen Gästen über die seltenen Fähigkeiten des Knaben äußerte: „Dieser Junge hier, der uns bei Tisch bedient, wird einst ein außerordentlicher Mann werden.“ Bald der Hochschule Oxford anvertraut, ergriff Thomas die klassischen Studien, hernach die philosophische, theologische und die Rechtswissenschaft. Seine Erfolge waren so vorzüglich, dass schon die Erstlingswerke seines Geistes ihm den höchsten Ruhm unter den sogenannten Humanisten von ganz Europa eintrugen. Echte Frömmigkeit und unerschütterlicher Glaube an Christus und seine Kirche bewahrten ihn vor dem beklagenswerten Schiffbruch so mancher begabter Männer jener Tage, die, geblendet von der Formenschönheit des alten Hellas (Griechenland), mit den Formen auch den heidnischen Geist in sich aufnahmen. Der sonst lebensfrohe Jüngling wusste Fasten und Wachen – schon um zwei Uhr pflegte er zu Gebet und Studium aufzustehen – Geißel und Bußhemd zu gebrauchen, um das Fleisch dem Geist dienstbar zu machen. Täglich hörte er die heilige Messe, wobei er oft am Altar diente oder als Sänger zur Feier des Gottesdienstes mitwirkte. Über seinen Beruf noch nicht klar, machte Thomas das Chorgebet und die geistlichen Übungen bei den Kartäusern mehrere Jahre mit, entschloss sich dann aber auf den entschiedenen Rat seines Beichtvaters als Rechtsgelehrter dem öffentlichen Leben sich zu widmen.

 

Erst sechsundzwanzig Jahre alt, wurde Thomas Morus schon von seinen Mitbürgern in das Unterhaus des Parlamentes gewählt. Hier trat er mit edlem Freimut und vollem Erfolg gegen eine ungerechte Geldforderung des Königs Heinrich VII. auf, der darüber erzürnt, eine Strafe gegen Thomas` Vater aussprach, da der junge Morus noch kein selbständiges Vermögen besaß. Da sein Vater nicht gleich zahlen konnte, wurde er in den Tower geworfen. Man bedeutete dem Sohn, eine demütige Abbitte würde den König zur Aufhebung der Strafe veranlassen. Der Gerechtigkeits- und Freiheitssinn des jungen Rechtsgelehrten ließ sich aber nicht bewegen, seine Verteidigung verfassungsmäßiger Rechte abzubitten. Das ist echt christlicher Geist und Mut. Wer für die Rechte des Volkes eintritt, dem sind auch die Rechte Gottes heilig und umgekehrt: Wer Gott gibt, was ihm gehört, der achtet auch die Rechte des Königs wie des Volkes.

 

Nach dem Besuch der Universitäten von Löwen und Paris erhielt Morus 1509 ein angesehenes Richteramt in London. Immer höher stieg der geniale Mann. Heinrich VIII. rief ihn immer häufiger an den Hof, erfreute sich seines geistvollen Rates in wissenschaftlichen Fragen, zog ihn in die Staatsgeschäfte hinein, übertrug ihm wichtige Gesandtschaften an auswärtige Höfe, häufte Amt auf Amt, bis er ihm schließlich 1529 das höchste im Staat, das Lordkanzleramt, aufzwang.

 

Auch auf der Höhe seines Glückes verharrte der Heilige in heiliger Gottesfurcht und Demut. Wenn er seinen Stuhl als Richter bestieg, kniete er erst angesichts der Anwesenden vor seinem greisen Vater nieder, der damals Senior der englischen Richter war, und ließ sich seinen Segen geben. Einst traf der Herzog von Norfolk den Lordkanzler, bekleidet mit dem Chorhemd, unter den übrigen Sängern seiner Pfarrkirche. Als jener verwundert meinte, dies vertrüge sich nicht mit der Würde seiner Stellung, gab Thomas Morus die schöne Antwort: „Der König, mein und Euer Herr, kann nicht dadurch entehrt werden, dass ich meinem und seinem Herrn, unserem göttlichen Erlöser, diene.“

 

Morus sah bei der Übernahme des Kanzleramtes klar die Gefahren dieser Erhebung. Mit wachsendem Kummer durchschaute er die verderbliche Strömung. In die Heinrich VIII. durch seine Leidenschaft zu Anna Boleyn gekommen war. An Mahnungen und Bitten ließ es der Heilige nicht fehlen. Als dann aber der charakterlose Cromwell 1531 in den Geheimen Rat des Königs kam, war es klar, dass nun die Tage der Verfolgung für die treuen Katholiken bevorstünden. Dennoch wich der Kanzler um keines Haares Breite von seiner Pflicht ab und suchte den König von seinem unglücklichen Gedanken der Ehescheidung abzubringen. Doch unaufhaltsam ging es auf der abschüssigen Bahn weiter. Den heuchlerischen Gewissensbedenken des Königs über die Ungültigkeit seiner Ehe mit Katharina von Aragonien konnte der Papst nicht entsprechen. Da fasste Heinrich den Plan, sich selbst zum Oberhaupt der Kirche zu machen, um die Ehe lösen zu können. Das „zarte Gewissen“ und das „reine Evangelium“ mussten hier wie anderswo als Deckmantel gemeiner Leidenschaft dienen. Für einen gläubigen, charaktervollen Mann war da kein Platz mehr im Rat des Königs. Morus legte am 16. Mai 1532 sein Kanzleramt nieder, nachdem er es schon seit einem Jahr nur mehr gezwungener Weise weitergeführt hatte. Jede Einmischung in die politischen Angelegenheiten sorgfältig vermeidend, lebte Morus still und zurückgezogen im Kreis seiner Familie, schriftstellerischen Arbeiten, ernsten Studien und den Übungen der Frömmigkeit ergeben. Von dem herrlichen Familienleben in Chelsea, wo er mit seinen Kindern und zuletzt mit den Familien seiner Kinder in wundervoller Eintracht und Liebe beisammen lebte, redete man ohnehin wie von einem wahren Wunder, einem Paradies auf Erden, wie Erasmus begeistert berichtet.

 

Freilich konnte Morus, dessen Urteil in der ganzen Welt hoch in Ehren stand, nicht unbehelligt bleiben. Seinen Feinden, vorab dem König lag bis zuletzt alles daran, die Billigung dieses weisen und frommen Mannes für ihre schändlichen Pläne zu erreichen. Anna Boleyn hasste ihn und den ihm geistesverwandten Bischof Fisher tödlich. Im April 1534 vorgeladen, den Erbfolgeeid zu leisten, der auch die Anerkennung der Gültigkeit der Verbindung Heinrichs mit Anna Boleyn enthielt, weigerte sich More. Er wanderte in den Tower. Die größte Versuchung für die Standhaftigkeit des edlen Mannes war die Liebe zu den Seinigen, die in eine sehr bedrängte Lage kamen. Darauf bauend, ließen seine Gegner auch den brieflichen und persönlichen Verkehr zu. Seiner geliebten Tochter Margareta schrieb Morus vom Kerker aus: „Stände ich mit der Gnade Gottes in dieser Sache nicht schon längst auf festen Füßen, so hätte dein tränenfeuchter Brief, liebste Tochter, mich nicht wenig erschüttert und gewiss viel eher zum Fall gebracht, als alles andere, was ich hier Furchtbares und Schreckliches höre . . . Einen unglaublichen Schmerz, einen größeren als die Ankündigung meines Todes – denn meine Todesfurcht schwindet, Gott sei Dank, vor der Furcht vor der Hölle, vor der Hoffnung ewiger Wonne und bei der Betrachtung des Leidens Christi von Tag zu Tag immer mehr – bereitet mir die Nachricht, dass mein Schwiegersohn und du, meine liebste Tochter, dass mein teuerstes Weib und meine lieben Kinder und unschuldigen Freunde um meinetwillen in großer Gefahr schweben.“ Als einmal diese Tochter und noch mehr seine Gattin ungestüm in ihn drangen, sich ihnen zu erhalten, fragte er sie: „Wie lange glaubst du wohl, liebe Alice, dass ich noch leben könnte?“ „Ganze zwanzig Jahre, wenn es Gott gefällt,“ erwiderte sie. Darauf gab er die eines christlichen Helden würdige Antwort: „Dafür sollte ich die Ewigkeit hingeben? Was du ein schlechter Kaufmann bist, liebe Frau! Hättest du mir wenigstens einige tausend Jahre versprochen, so wäre es doch ein Angebot gewesen. Aber auch sie, was wären sie im Vergleich zur Ewigkeit?“ Von diesem übernatürlichen Glauben getragen, schlug der starkmütige Martyrer alle Angriffe, mochte sie die Liebe oder der Hass ihm stellen, siegreich ab. Aber sie waren schwer, diese Angriffe, schier unerträglich schwer. Ununterbrochenes Gebet, Betrachtung des Leidens Christi und Bußübungen neben den Kerkerleiden, die zuletzt grausam wurden, waren seine Waffen. Er schrieb während der Haft zwei schöne Abhandlungen über den „Trost in Trübsal“ und über das Leiden Christi, bis man ihm jedes Schreibzeug wegnahm.

 

Den Suprematseid über die höchste kirchliche Gewalt des Königs verweigerte Morus natürlich ebenfalls und immer wieder gegen alle noch so schlauen Versuche. Log man ihm sogar vor, Bischof Fisher hätte auch geschworen. Am 1. Juli vor Gericht geladen und des Hochverrats angeklagt, bekannte er: „Ich bitte den allmächtigen Gott inständigst, er wolle mich bei meiner rechtgläubigen Überzeugung bestärken, dass ich ihr bis in den Tod treu bleibe.“ Der langen, verwirrenden Anklagerede setzte Morus, der erste Rechtsgelehrte Englands, eine meisterhafte Verteidigung entgegen und wies einen falschen Zeugen glänzend ab. Doch die eingeschüchterten Geschworenen sprachen das „Schuldig“. Der Lordkanzler Audley sprang erfreut auf, um das Todesurteil zu verkünden. Thomas Morus, der keinen Augenblick seine Ruhe verlor, unterbrach ihn: „Mylord, als ich den Stuhl einnahm, den Ihr jetzt innehabt, war es Brauch, vor dem Urteilsspruch den Gefangenen zu fragen, ob er noch etwas vorbringen könne, auf Grund dessen das Urteil nicht gefällt werden dürfte.“ Beschämt stellte der Kanzler diese Frage. Offen erklärte nun More, dass der Parlamentsbeschluss den Gesetzen Gottes und der Kirche wie selbst auch dem Grundgesetz des englischen Staates widerstreite, das der Kirche die Freiheit zuspreche. Das ungerechte Urteil wurde gefällt. Der Hass hatte es diktiert. More aber schloss die empörende Verhandlung mit den herrlichen Worten der Liebe: „Ich hoffe in Wahrheit und mit meinem ganzen Herzen, dass wir alle, obschon Sie meine Richter waren und mich verurteilten, dereinst freudig im Himmel wieder vereinigt werden zu nimmer endendem Glück. Gott sei mit Euch und mit meinem Herrn und König und gebe ihm treue Räte!“

 

Am 6. Juli 1535 trat Morus den Gang zur Richtstätte an, „mit bleichem, abgezehrtem Antlitz, mit langem, grauem Bart, ein rotes Kreuz in der Hand, oftmals die Augen gegen Himmel hebend“. Eine Frau bot ihm unterwegs einen Becher Wein an. Den Trunk ablehnend, sprach er: „Christus trank bei seinem Leiden nicht Wein, sondern Galle und Essig.“ Auf dem Schafott angekommen, sprach der Martyrer, da ihm eine längere Rede untersagt war, nur die wenigen Worte an das zahlreiche Volk: „Brüder, ich nehme euch zu Zeugen, dass ich im Glauben der heiligen katholischen Kirche und als treuer Diener Gottes und des Königs sterbe.“ Dann betete er kniend das Miserere. Als der Scharfrichter, tief bewegt, ihn um Verzeihung bitten wollte, küsste ihn der Heilige mit dem Wort: „Du wirst mir heute die größte Wohltat erweisen, die ein Sterblicher seinem Mitbruder erweisen kann. Sei guten Mutes und fürchte dich nicht, deines Amtes zu walten. Aber mein Hals ist recht kurz. Nimm dich deshalb zusammen, dass du nicht daneben schlägst und deinem Namen schadest.“ Er verband sich selbst die Augen und legte das Haupt auf den Block. Schon fasste der Scharfrichter das Beil, da machte More noch ein Zeichen, zu warten, strich den Bart zur Seite und sprach: „Der wenigstens hat keinen Hochverrat verübt.“ Der ihm eigene Humor, dieser treue Spiegel seiner vollkommenen Seelenruhe, hatte den edlen Mann auch im Kerker nie verlassen. Nun war der Sieg erstritten. Thomas Morus zählte erst 55 Jahre.

 

O hehre Wahrheit unseres Glaubens! Sie zu verteidigen, opfert der Papst ein ganzes Königreich, der große Staatsmann aber Frau und Kind und Leben!

 

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Thomas Morus ist mein Lieblingsheiliger

 

Von Georg de Haller, aus „Rotary“, New York 1956

 

Als Jurist bin ich stolz darauf, dass es einen Mann meines Berufes unter den Heiliggesprochenen gibt: Thomas Morus. Er ist mein Lieblingsheiliger.

 

Thomas Morus war eine so menschliche Gestalt, dass er der Freund und Nachbar eines jeden von uns hätte sein können. Er studierte die Rechtswissenschaften und war dann am Gericht tätig. Jeden Abend trug er wie irgendein anderer Büroarbeiter seine Mappe mit Gerichtsakten nach Hause und freute sich auf das Daheim, wo Frau und Kinder ihn erwarteten.

 

Ich habe Ehrfurcht vor dem hl. Simeon auf seiner Säule und dem hl. Antonius in seiner Höhle, ich respektiere die mystischen Gesichte eines Johannes vom Kreuz und beuge mich vor der Andacht der kleinen Theresia und der engelhaften Reinheit eines Aloysius. Aber ich kann mir keinen dieser Heiligen vorstellen, wie er vor meinem Kamin mit mir plaudern würde. Thomas Morus aber kann ich mir vorstellen, wie er sich über meinen Zaun beugt, hereinkommt, um ein Glas Wein mit mir zu trinken, oder mich zu seiner Weihnachtsgans zu sich einlädt.

 

Morus` Beruf hatte nichts mit Heldentum zu tun. Aber als es darauf ankam, bewies Thomas seinen Heldenmut; er zog ihn gleichsam so selbstverständlich an wie du und ich unsere Regenmäntel, wenn es regnet. Und weil er voraussah, dass König Heinrich VIII. ihn eines Tages verhaften würde, erfand er einen kleinen Scherz, um Frau und Kinder auf diesen Schock vorzubereiten. Er ließ zuweilen einen Freund kommen, der an die Tür pochte, das Haus betrat und ihn „im Namen des Königs“ für verhaftet erklärte. Morus hoffte, seine Familie würde dann gefasster sein, wenn der gefürchtete Augenblick eines Tages wirklich eintreten würde.

 

Morus schritt sachlich und nüchtern zu seinem Martyrium. Er starb nicht in der Verzückung einer religiösen Erhebung wie so viele der alten Martyrer. Er war der Lordkanzler von England. Als das Parlament ein Gesetz annahm, das König Heinrich VIII. an Stelle des Papstes, des Stellvertreters Christi, zum Oberhaupt der englischen Kirche erklärte, berief sich der Jurist Morus auf die Grundsätze des Rechts. Für ihn war dieses Gesetz rechtswidrig, ein Eindringen der weltlichen Gewalt in das Gebiet des Religiösen. Ruhig gab er dem König das Großsiegel von England zurück und verzichtete auf sein hohes Amt.

 

Gefasst und mit einem gewissen Humor gab er dieses Ereignis nur durch eine kleine Geste bekannt. Als Lordkanzler saß er während der hl. Messe getrennt von seiner Familie in einem offiziellen Betstuhl, von seinen Beamten umgeben. Am Ende des Gottesdienstes pflegte ein Beamter zu Morus` Frau zu gehen und zu sagen: „Der Lord hat seinen Platz verlassen.“ Nun, als soeben zurückgetretener Lordkanzler, ging er selbst zum Stuhl seiner Frau und sagte ruhig: „Der Lord hat seinen Platz verlassen.“

 

Morus schritt den Pfad des Martyriums genau so selbstverständlich, wie er zuvor Arm in Arm mit dem König im Garten seines Hauses an der Themse spazieren gegangen war.

 

Als er die steilen Stufen des Schafotts erreicht hatte, sagte er zu seinem Wächter, er möge ihn sicher hinaufbringen, „und was mein Herunterkommen angeht, so lasst mich selbst dafür sorgen.“ Als er den Kopf über den Block beugte, um die Axt des Scharfrichters zu erwarten, und feststellte, dass sein langer Bart auf dem Holzklotz lag, streifte er in beiseite und sagte ruhig: „Mein Bart hat Ihre Majestät nie beleidigt.“

 

Paulus als römischer Bürger legte Wert darauf, der Kreuzigung zu entgehen und den Tod durch das Schwert zu erleiden. Petrus bestand darauf, mit dem Kopf nach unten gekreuzigt zu werden. Thomas Morus aber machte nur einen kleinen Scherz bei seiner Hinrichtung.

 

Als Jurist bin ich stolz darauf, wie Morus sein eigener Rechtsberater war, als es um Leben und Tod ging. Der König hatte eine „königliche Kommission“ zusammentreten lassen, einen eigens für diesen Zweck gebildeten Gerichtshof. Die Kommission bestand aus dem neuen Lordkanzler Audley, dem neuen Erzbischof von Canterbury, Cranmer, einem Kriecher, der die europäischen Universitäten bestochen hatte, damit sie des Königs Ehescheidung billigten; dem Herzog von Norfolk, der durch den Abt von Westminster vertreten wurde, und Thomas Cromwell, dem wirklichen Urheber der englischen Reformation und Großvater Oliver Cromwells.

 

Die Hauptanklage lautete, Morus habe dem König das Recht bestritten, Oberhaupt der Kirche von England zu sein. In der Anklageschrift hieß es: „Obwohl wir gegen Euch weder ein Wort noch eine Tat als Beweis haben, haben wir Euer Schweigen, ein offensichtliches Zeichen der Bosheit Eures Herzens.“ Das wies Morus lächelnd mit dem alten Rechtsgrundsatz „Schweigen heißt zustimmen“ zurück und fügte dann ernster hinzu, man habe noch nie gehört, dass ein Mann von einem irdischen Gericht wegen seiner geheimen Gedanken verurteilt worden sei, wenn sonst kein Beweis von Verleumdung, Aufruhr oder Aufwiegelung gegen seinen Fürsten vorgelegen habe.

 

Nachdem das erwartete Urteil gefällt war, begann Lordkanzler Audley in seiner Übereile, dem tyrannischen König zu dienen, es sofort zu verlesen. Der Gefangene aber machte ihn auf einen Verfahrensfehler aufmerksam: „Wie ich feststellte, als ich selbst noch im Gericht saß, ist es immer Sitte in diesem Reich gewesen, dass der Gefangene zuerst gefragt wird, ob er etwas gegen das Urteil einzuwenden habe.“ Beschämt und verlegen war der Richter gezwungen, dem Gefangenen diese übliche Gunst, die man selbst dem schlimmsten Verbrecher einräumte, zu gewähren.

 

In juristischer Sprache gab Morus hierauf seine Gründe bekannt, warum das Urteil nicht ausgesprochen werden dürfe: „Meine Verurteilung beruht auf einem Akt des Parlaments, der direkt den Gesetzen Gottes widerspricht. Kein weltlicher Fürst kann sich durch irgendein Gesetz anmaßen, die Regierung der hl. Kirche Gottes auf sich zu übertragen, die durch den Mund unseres Erlösers selbst, als Er persönlich auf Erden weilte, dem hl. Petrus und seinen Nachfolgern übertragen wurde.“ Hierauf führte er im Einzelnen aus, dass die Suprematsakte gegen alle Gesetze Englands, beginnend von der Magna Charta, verstoße und auch des Königs eigenen Krönungseid verletze. Als das Gericht ihn unterbrach und auf die vielen Bischöfe und Mitglieder des Ober- und Unterhauses hinwies, die die Suprematsakte angenommen hatten, antwortete er sanft: „Ich rechne es niemandem an, dass er diesen Eid schwor, noch urteile ich über einen anderen Menschen. Was mich betrifft, so lehnt sich jedoch, offen gesagt, mein Gewissen dagegen auf, so dass ich diese Akte nicht annehmen kann, ohne meine Seele der Gefahr der ewigen Verdammnis auszusetzen.“

 

Hierauf vergab er in feierlicher Stimmung denjenigen, die ihn verurteilten. „Ich werde beten, dass wir uns, obwohl Eure Lordschaften auf Erden die Richter gewesen sind, die mich verurteilten, im Himmel fröhlich wiedersehen.“ Und selbst hier noch beendete er seine Rede humorvoll und sagte, er hoffe, Gott werde den König bewahren und beschützen und „ihm einen guten Berater senden“.

 

Ich weiß nicht, welche Wunder Thomas Morus in seinem Heiligsprechungsprozess zugeschrieben wurden. Für mich ist es Wunder genug, dass ein Heiligenschein und eine Aktenmappe zusammenpassen.