„Freunde in der Not gehen sieben auf ein Lot“ – sagt ein altes und wahres Sprichwort. In guten Tagen finden sich Freunde genug bei reich besetzter Tafel ein, aber in der Bedrängnis ziehen sie sich zurück und wollen von dem Unglücklichen nichts mehr wissen, dem sie so oft Treue geschworen haben. Aber es gibt – Gott sei Dank! – noch immer rühmliche Ausnahmen unter edlen Christen, die, treu wie Gold, den Freund in Not und Elend nicht verlassen. Zu diesen hochherzigen, freundestreuen Menschen gehört der heilige Magnerich.
Um die Mitte des sechsten Jahrhunderts zierte den bischöflichen Stuhl zu Trier der heilige Nicetius, der durch seine hohe Gelehrsamkeit, durch Herstellung zerfallener Kirchen, durch Erneuerung der gelockerten Kirchenzucht, durch sein bedeutendes Ansehen und gesegnetes Wirken, sowie durch seine unbeugsame Unerschrockenheit einen solchen Ruhm erwarb, dass ihn der Dichter Venantius Fortunatus in Lobgesängen verherrlichte. Als Nicetius den blutschänderischen König Chlotar mit der Strafe des Kirchenbannes belegte, vertrieb ihn dieser aus dem Land. Die bisherigen Freunde des Bischofs verließen ihn im Unglück, nur Magnerich, ein edler junger Mann, wollte freiwillig mit seinem Bischof in die Verbannung gehen. Nicetius sprach zu ihm: „Willst du nicht lieber mit den anderen halten und dich von mir zurückziehen?“ Magnerich antwortete: „So wahr Gott lebt, ich werde dich nicht verlassen, so lange noch mein Geist in diesen Gliedern bleibt.“ Nicetius lächelte wohlgefällig: „Weil du so redest, so will ich dir auch mitteilen, was mir der Herr geoffenbart hat, nämlich morgen schon werde ich wieder in Amt und Würde eingesetzt, und die mich verlassen haben, werden ihre Zuflucht zu mir nehmen.“ Wirklich brachte in der Frühe des nächsten Morgens ein Bote ein Sendschreiben, worin Sigebert den Tod seines königlichen Vaters Chlotar anzeigte, mit dem Bemerken, dass er die Regierung übernehme und mit Bischof Nicetius in Einigkeit leben wolle.
Der heilige Nicetius verzieh großmütig seinen treulosen Freunden, erwählte aber den Magnerich zu seinem treuesten Freund, der alle Lehren und Tugenden des Bischofs annahm. Darum wurde auch nach dem Tod des heiligen Nicetius sein Freund und Schüler Magnerich einstimmig zu dessen Nachfolger erwählt. Über zwanzig Jahre hatte er sein bischöfliches Amt ruhmreich verwaltet und alle Tugenden geübt, wie sie der Apostel Paulus von einem Bischof verlangt.
Am königlichen Hof genoss der heilige Bischof Magnerich ein so hohes Ansehen, dass ihn König Childebert zum Taufpaten bei seinem Sohn Theodebert erwählte. Magnerich benutzte die seltene Gunst, um Bedrängten Hilfe zu verschaffen. Als der fromme Bischof Theodor von Marseille verleumderisch des Hochverrats beschuldigt und in die Verbannung geführt wurde, ging Magnerich trotz des strengen königlichen Verbotes zu dem Verbannten aufs Schiff, tröstete und küsste ihn unter Tränen des Mitleids und gab ihm Kleidungsstücke. Dann reiste er nach Koblenz, wo sich der König gerade aufhielt, rechtfertigte den Bischof Theodor und bewirkte seine Freilassung.
Da man überall die Güte des edlen Bischofs Magnerich kannte, so nahmen auch Unwürdige seine Hilfe in Anspruch. Ein Edelmann, namens Bozo, war wegen vieler Verbrechen zum Tod verurteilt worden. Um Rettung zu suchen, eilte er zu Magnerich, riegelte die Tür hinter sich zu, zog das Schwert und sprach zu ihm: „Ich weiß, dass du viel beim König vermagst. Hilf mir, dass ich begnadigt werde. Wenn du dich weigerst, kostet es uns beiden das Leben, denn ich werde dich vorerst töten und dann selbst sterben.“ Magnerich sagte: „Was kann ich aber tun, wenn du mich hier zurückhältst? Lass mich gehen. Ich will den König bitten, vielleicht erbarmt er sich.“ Bozo weigerte sich und begehrte, Magnerich solle einen seiner Geistlichen zum König schicken, der in seinem Namen das Anliegen vortragen sollte. Unterdessen hatte eine Schar Bewaffneter das Haus umzingelt, einige Priester brachen die Tür auf und drangen in das Zimmer, um ihren Bischof zu befreien. Bozo fiel unter den Streichen der Soldaten. Gottes Gericht kam der Güte des menschenfreundlichen Bischofs zuvor.
Magnerich fuhr fort, die Werke der leiblichen und geistigen Barmherzigkeit zu üben, an seiner eigenen Heiligung zu arbeiten und die ihm anvertrauten Seelen durch Lehre und Beispiel für den Himmel zu erziehen. Reich an Tugenden und Verdiensten, wohlgefällig vor Gott und den Menschen, starb er im hohen Alter, wurde in der Kirche des heiligen Martin zu Trier beerdigt und wegen der vielen Wunder, die ihn schon auf Erden auszeichneten und nach seinem Tod auf seine Fürbitte geschahen, vom gläubigen Volk hochverehrt.