Heilige Theresia vom Kinde Jesu, Mystikerin, Kirchenlehrerin,+ 30.9.1897 – Fest: 1. Oktober

 

(Aus: „Das wahre Gesicht der Heiligen, Wilhelm Schamoni, Kösel-Verlag München und Kempten 1948)

 

Theresia vom Kinde Jesu, die kleine Theresia genannt zum Unterschied von Theresia der Großen, der Ordensreformatorin, unbeschuhte Karmelitin wie diese, am 2.1.1873 in Alencon geboren als jüngstes von neun Kindern, entstammte einer wohlhabenden, ganz aus dem Glauben lebenden Bürgerfamilie mit Namen Martin. Theresia war noch nicht fünf Jahre alt, als sie ihre geliebte Mutter verlor. Sie wurde sehr still und in sich gekehrt. Ihre Freude war es, ihren Schwestern zuzuhören, wenn sie ihr von Gott und dem Heiland erzählten. Sie versprach Gott, ihm niemals etwas abzuschlagen, um was er sie zu bitten scheine. Als sie einmal von der Lehrerin in der Schule gefragt wurde, womit sie sich an den freien Tagen zu Hause beschäftige, antwortete sie schüchtern: „Ehrwürdige Schwester, ich verstecke mich oft an einem kleinen, leeren Platz meines Zimmers, der durch die Vorhänge meines Bettes leicht abzuschließen ist, und dort denke ich nach . . . „ „Woran denkst du denn“, fragte lachend die Nonne. „Ich denke an den lieben Gott, an die Vergänglichkeit des Lebens, an die Ewigkeit; ich denke eben.“ Je tiefer das Kind den Wert Gottes erfasste, desto mehr wurde es auch von der Liebe Gottes ergriffen, und wie es immer klarer die Liebe Gottes begriff, die selig machen will und sucht, was sich an diese Welt verloren hat, um so mehr zog es Theresia, aus dieser Welt herauszugehen und durch Verleugnung ihrer selbst, durch Gebet und beständige Opfer ein Werkzeug in der Hand des Erlösergottes zu werden für die Rettung von Menschenseelen. Darum war es ihre Sehnsucht, ihren beiden Schwestern in den Karmel nachzufolgen, „den Priestern und Missionaren zu helfen und Jesus Christus unzählige Seelen zu gewinnen“ (Brevier). Im Karmel von Lisieux, der dem Ideal der großen Ordensreformatorin wirklich nicht entsprach, fand sie an den Geschöpfen keinen Trost und keine Hilfe. Um so mehr gab sie sich, wie ein Kind seinem Vater, Gott anheim. Um so vertrauender, liebender, hingebender suchte sie ihn unter der Hülle des Alltäglichen des täglichen Lebens. Man kann die höchste Vollkommenheit erreichen in der Tugend der Liebe, ohne außerordentliche Abtötungen, ohne auffallenden Gnadengaben, ohne große Werke zu verrichten, das war ihre Entdeckung. Heiligkeit bedeutet ihr nichts anderes als Heiligung des täglichen Lebens durch die Liebe. Diese Heiligkeit kann man überall üben: auf der Straße, am Arbeitsplatz, im Büro, im Geschäft, in der Familie, im Kloster. Dadurch, dass Theresia als Novizenmeisterin ein paar Novizinnen diesen evangelischen Weg des Kindseins vor Gott gelehrt hat, und durch ihre Lebensgeschichte, die „Geschichte einer Seele“, welche in Dutzende von Sprachen übersetzt ist, wurde diese mit 24 Jahren an Tuberkulose gestorbene Karmelitin die gefeierte Verkünderin einer allen Menschen zugänglichen Heiligkeit. Am Ende ihres Lebens hatte sie das Bewusstsein, diese Sendung zu haben: „Lieben, geliebt werden und wieder auf die Erde kommen, um die Liebe lieben zu lehren“, und das durch ihren „kleinen Weg“ des Kindseins vor Gott. „Die Vollkommenheit dünkt mir leicht: ich sehe, dass es genügt, unsere eigene Nichtigkeit zu erkennen und sich wie ein Kind in die Arme des lieben Gottes zu werfen.“ „Ich mache es wie die kleinen Kinder, die nicht lesen können: ich spreche mit dem lieben Gott ganz einfach, wie es mir mein Herz eingibt, und Er versteht mich immer.“ „Glänzende Taten vermag ich nicht zu verrichten. Ich kann nicht das Evangelium predigen oder mein Blut vergießen . . ., doch was tut`s? Meine Brüder arbeiten für mich, und ich kleines Kind knie am Thron des himmlischen Königs; ich liebe für die mit, die kämpfen.“ „Wenn alle zur Vollkommenheit berufenen Seelen, um zum Himmel einzugehen, solche Bußwerke wie die Heiligen verrichten müssten, so hätte der Herr es uns gesagt, und wir hätten sie dann hochherzig auf uns genommen. Aber er hat uns versichert, dass es dort oben viele Wohnungen gibt. Wenn es Wohnungen für die großen Seelen gibt, die Väter der Wüste und die Märtyrer der Bußübungen, so muss es auch Wohnungen für die kleinen Kinder geben. Und dort ist unser Platz.“ „Ich bin überglücklich, dass ich von dieser Welt fortgehe zum Himmel; aber wenn ich an das Wort des Herrn denke: Ich komme bald und bringe meinen Lohn mit, um jedem nach seinen Werken zu vergelten, dann sage ich mir, dass Er bei mir sehr verlegen sein wird; denn ich habe keine Werke . . . Ach, Er wird mir vergelten nach Seinen eigenen Werken!“ „O Jesus, ich flehe Dich an, senke Deinen göttlichen Blick herab auf eine große Zahl kleiner Seelen. Ich flehe Dich an, erwähle Dir in dieser Schar opfermütiger Seelen, die Deiner Liebe wert sind.“ Kurz vor ihrem Tod am 30.9.1897 sprach sie die prophetischen Worte: „Ich werde im Himmel nicht untätig bleiben. Wie unglücklich wäre ich dort, wenn ich denen, die ich liebe, keine Freuden mehr auf Erden bereiten könnte. Mein Wunsch ist es, auch dann noch weiter für die Kirche und für die Seelen zu arbeiten. Der liebe Gott wird alles tun, was ich will; denn hienieden tat ich nie nach meinem Willen. Ja, ich werde Rosen regnen lassen über die Menschen.“

 

Theresia von Lisieux wurde von Papst Pius XI. am 29.4.1923 selig- und am 17.5.1925 ebenfalls von ihm heiliggesprochen. Die heilige kleine Theresia ist Patronin der Weltmission und Papst Johannes Paul II. erhob sie zur Kirchenlehrerin. 

 

Und nochmals:

Die heilige Theresia vom Kinde Jesu, Franziska Therese Martin,

Karmeliterordensfrau von Lisieux, + 30.9.1897 – Fest: 1. Oktober

 

„Ich will mir den Himmel durch eine List gewinnen, die List ist die Liebe.“

„Der liebe Gott bedarf keineswegs langer Jahre, um das Werk seiner Liebe in einer Seele zu vollziehen. Ein einziger von seinem Herzen ausgehender Strahl kann seine Blume in einem Augenblick für die Ewigkeit erblühen lassen.“

 

Diese zwei Aussprüche der heiligen Theresia vom Kinde Jesu, dem Liebling in der Zeit der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts und darüber hinaus unter den Heiligen, sind überaus bezeichnend für die Art, wie sie so schnell, mit kühnem Sprung sich zur Heiligung emporgeschwungen hat. Noch mehr erstaunlich ist es und drängt gleicherweise den Gedanken an eine „List“ auf, dass die „kleine weiße Blume“ im Garten der Kirche so rasch die amtliche Bestätigung ihres Heiligenduftes gefunden hat. Ist es doch Regel, dass zur Verhandlung über die Tugenden und Wunder eines Dieners Gottes, deren Anerkennung die Seligsprechung ermöglichen soll, erst fünfzig Jahre nach dem Tod des Seligzusprechenden geschritten wird. Die große Heilige Theresia von Avila gelangte vierzig Jahre, Ignatius von Loyola sechsundsechzig Jahre, Alphons von Liguori zweiundfünfzig, Vinzenz von Paul siebenundsiebzig Jahre nach ihrem Tod zur Seligsprechung. Freilich der Wundertäter Anton von Padua hat sie schon im ersten Jahr, der seraphische Heilige, Franziskus, und Klara von Assisi zwei Jahre, die liebe heilige Elisabeth von Thüringen vier Jahre nach ihrem Tod errungen. Der Karmelitin von Lisieux wurde 1921 mit der Bestätigung des Heldenmutes ihrer Tugenden der Titel „Ehrwürdig“ zuerkannt. Am 29. April 1923, also im fünfundzwanzigsten Jahr nach ihrem Hinscheiden, wurde sie in ungewöhnlich rascher Folge selig gesprochen und schon im Jubeljahr 1925 glänzte sie unter der großen Schar von Heiligen, denen Pius XI. die irdische Heiligenkrone aufs Haupt setzte. Und die List, durch die Theresia so überraschend schnell zu der kirchlichen Ehre gelangte und einen so ausnehmend weiten Freundes- und Verehrerkreis sich erwerben konnte, worin bestand sie? Nicht eben in ihrer heroischen Gottesliebe, ihrer kindlichen, vertrauensvollen Einfalt? Papst Benedikt XV. hat in seiner Rede, die er bei jener ersten kirchlichen Ehrung am 14. August 1921 mit so inniger Wärme und Begeisterung hielt, das Geheimnis der Heiligkeit dieses merkwürdigen Lebens ausgesprochen, nämlich die „geistige Kindheit“. Der Weg, der die fromme, junge Schwester des Karmel zur vollkommenen Tugend führte, ist der, den Jesus alle zu gehen verpflichtet mit den bestimmten Worten: „Wahrlich, ich sage euch, wenn ihr euch nicht bekehrt und wie die Kinder werdet, so werdet ihr nicht ins Himmelreich eingehen.“ In unserer Zeit des menschlichen Geistesstolzes und der Unbotmäßigkeit hat die göttliche Vorsehung, wie ehedem der Erlöser bei seinem Weilen auf Erden, ein Kind aus der Menge herausgenommen und es in die Mitte seiner Jünger, in den Gesichtskreis der ganzen katholischen Welt gestellt, um an ihm ein Beispiel zu bieten, wie alle, die Getreuen jeden Alters, Geschlechtes und Standes, hochherzig diesen Weg der geistigen Kindheit betreten müssen, um zum Vollalter Christi sich erheben zu können.

 

Wie in der leiblichen Kindheit der kleinen Erdenbürger sich nur in den Armen der Mutter sicher fühlt, der sich in aller Einfalt unbedenklich anvertraut, ebenso bedeutet und verlangt die geistige Kindheit ein kindlich-einfaltsvolles Vertrauen auf Gott und eine gänzliche Hingabe in seine Hände. Sie schließt den Stolz, die Selbstüberhebung und Selbstgefälligkeit aus. Sie ist des göttlichen Beistandes sicher. Wie Jesus die geistige Kindheit als absolute Vorbedingung für den Besitz des Himmelreiches fordert, so hat auch stets die Kirche die Helden der geistigen Kindheit gepriesen, die ihre Vollkommenheit nur aus den Geheimnissen schöpfen konnten, die ihnen Gott enthüllte. „Den Kleinen wird er sich offenbaren“ (Matthäus 11,25). Unserer „kleinen Theresia“ hat er sich geoffenbart. Durch sie offenbart er sich der Welt noch immer. Denn wenn „durch den Mund der Kleinen Gott Lob bereitet wird“, durch die Geschichte ihres Lebens, der „Geschichte einer Seele“, die Theresia im Gehorsam selbst geschrieben hat, verbreitet und kündet sie fortgesetzt Gottes Lob und reißt zur Liebe zu ihm hin, nicht weniger als unsere heiligen Gotteslehrer oder die Mutter des Karmelitenordens selbst, die große heilige Theresia, in der dem weiblichen Geschlecht die Doktorwürde der Gottesgelehrtheit zuteil geworden ist.

 

Franziska Theresia, geboren am 2. Januar 1873, war das neunte Kind des Juweliers Joseph Stanislaus Martin, eines frommen, mildherzigen Mannes in Alencon, Nordfrankreich. Die ebenso tiefreligiöse Mutter mehrte den Wohlstand der Familie durch Verfertigung der nach jener Stadt berühmten Spitzen. Schon frühzeitig, 1877, wurde sie aber dem teuren Kind durch den Tod entrissen. Um so sorglicher ruhte das Auge der himmlischen Mutter auf der kleinen Therese. Als diese im zehnten Lebensjahr an einer schweren Krankheit darniederliegend, vor Schmerzen fast dem Tod nahe, zur seligsten Jungfrau sich flehentlich um Hilfe wandte, da war es ihr, als ob die Statue der lieben Mutter Gottes sich plötzlich bewege. Vor unaussprechlicher Sanftmut, Güte und Zärtlichkeit erstrahlte Mariens Antlitz. Ein bezauberndes Lächeln drang Theresia bis auf den Grund der Seele. Das Leiden war verschwunden, die „kleine Blume“ dem Leben wieder gegeben.

 

Wie früh begann diese liebe Blume ihre Knospe zu entfalten und lieblichsten Wohlduft auszusenden! Eines Tages fragte eine der Ordenslehrerinnen das Kind, wie es an den freien Tagen sich beschäftige. Etwas furchtsam gestand es: „ich verstecke mich öfters in einem kleinen Raum meines Zimmers, den ich mit den Bettvorhängen abschließen kann, und dort denke ich.“ „Aber woran denkst du denn,“ fragte lachend die Ordensfrau. „Ich denke an den lieben Gott, an die Schnelligkeit des Lebens, die Ewigkeit; überhaupt ich denke.“ In wirklicher Betrachtung also unterrichtete der göttliche Meister liebevoll ihren Geist. Und die Liebe des Herzens begleitete ihr „Denken“. Ein „Kuss der Liebe des Heilands“ war die erste heilige Kommunion Theresiens: „Ich fühlte mich von ihm geliebt,“ schreibt die Glückliche, „und ich sagte ebenfalls zu ihm: Ich liebe dich und schenke mich dir für immer! Jesus stellte mir keine Frage, er verlangte kein Opfer. Schon seit langem hatte er und die kleine Therese einander angeschaut und verstanden. An diesem Tag konnte unsere Begegnung kein einfacher Blick mehr genannt werden, sondern eine Vereinigung.“

 

Noch aber war Therese ganz Kind und nicht frei von den Fehlern junger Mädchen. Lob vermochte auch bei ihr die liebe Eitelkeit und Selbstgefälligkeit wachzurufen. Sie war überaus empfindlich, weinte häufig über Nichtigkeiten, ob Leid oder Freud. Da hörte sie am Weihnachtsabend 1886 zufällig ein verwunderndes, schier tadelndes Wort ihres Vaters über die „zu kindliche Überraschung für ein so großes Mädchen“. Das drang ihr ins Herz, es mit einem Mal umwandelnd. Sie lernte sich selbst beherrschen, entsagen. Der bewusste Kampf um die Tugend fing an; erst schwer, wurde er bald süß und leicht. Der Heiland zog sie mit aller Kraft an sich. Nun war sie auch frei von den Skrupeln und Ängstlichkeiten wie von der großen Empfindlichkeit und ihr Geist entwickelte sich ungehindert immer mehr. Das war „die unschätzbare Gnade ihrer vollständigen Bekehrung“, wie die Heilige selbst sie nennt.

 

Beim Anblick eines Bildes des Gekreuzigten durchfuhr einmal ein so unaussprechliches Gefühl des Schmerzes das Herz der kleinen Therese, dass es zu zerspringen drohte. „O kostbares Blut, du rinnst zur Erde und niemand ist, der dich aufnimmt,“ seufzte sie. Von jetzt an tönte der Ruf des sterbenden Heilandes: „Mich dürstet!“ unablässig in ihrer Seele wider und entzündete dort ein ihr bisher unbekanntes, lebendiges Feuer, das Feuer des Seeleneifers, den Durst nach Seelen, den sie nun und mit Erfolg zu stillen sich abmühte.

 

Von jetzt an entfaltete die Kinderseele Theresias einen großen Ernst, eine außerordentliche Reife. Wollte hier der Herr in dieser schnellen Veränderung, in diesem raschen geistigen Wachstum und in der wahrhaft eiligen Arbeit, sich mit den Tugenden der geistigen Kindheit zu schmücken, nicht ein Beispiel hinstellen, wie sein göttlicher Ausspruch verwirklicht werden könne: Wenn ihr euch nicht bekehrt . . ., wenn ihr nicht werdet wie die Kleinen? Sehr bewundernswert in ihrem kindlichen Alter war auch die hohe Auffassung aller Dinge, die Gewohnheit, jegliche Schönheit, die sie an den Geschöpfen wahrnahm, auf Gott zurückzuführen und von ihm allein das Heilmittel bei eigenem und fremdem Leid zu erhoffen. Wie groß war die Schnelligkeit ihres Aufschwunges zu Gott in der Stunde der Beunruhigung und Angst! Sich wohl bewusst, dass sie sich nicht selbst genügen könne, nahm sie mit Kindeseile ihre Zuflucht zu häufigem Gebet. So vollständig war ihre Hingabe an Gott, dass sie es wagte, ihr Leben hier auf Erden mit jenem im Himmel zu vergleichen.

 

Werden wir uns noch wundern, dass für diese begnadete Jüngerin des Herrn auch die wichtigste Stunde des Lebens, die Entscheidung über den Beruf, ungewöhnlich früh sich ankündigte und beharrlich zur Erfüllung drängte! Wenn der Gärtner eine Frucht, die er vorzeitig zur Reife bringen will, mit besonderer Sorgfalt pflegt, so tut er dies nicht, um sie am Baum hängen zu lassen, sondern um sie als Schau- und Edelstück auf reiche Tafel zu bringen. Wenn in ähnlicher Absicht Jesus seine kleine Blume mit Gnaden überhäufte, so wollte er sie baldigst auf die Höhe verpflanzen, damit sie durch ihren Duft und ihre Farbenpracht, allen sichtbar, zur Freude und Gotteserkenntnis diene, auf die Höhe des Karmels, wo ihre Seelenschönheit behütet, früh vollendet und durch den Gehorsam in Wort und Schrift anderen Seelen, ja der ganzen Kirche zur Erbauung, zur Belehrung und zum unvergänglichen Ruhm gereichen sollte. Von den frühesten Jahren an war die heilige Theresia entschlossen, sich dem lieben Gott zu schenken. Mit dem 15. Lebensjahr aber wurde der göttliche Ruf so dringend, dass sie glaubte ihm nachkommen zu müssen, und wenn sie „durch Flammen gehen müsste“. Wahrhaftig, die Hindernisse schienen undurchbrechbar! Zwar war der Vater, der schon zwei seiner Töchter den Karmelitinnen in Lisieux gegeben hatte, bald zum Opfer auch seines liebsten Kindes bereit. Aber der Obere des Klosters wollte den Eintritt vor dem 21. Lebensjahr nicht erlauben. Keine ungeziemende Klage kam über Theresiens Lippen, Gott allein hörte die Seufzer der reinen Taube nach den Felsenklüften des Karmel. Eine persönliche Bitte an den Diözesanbischof in Bayeux brachte keine Entscheidung. Schweigend vertraute die Ordenspostulantin in kindlicher Hingabe ganz auf Gott, dessen Willen allein sie folgen wollte. Sie wagte aber mit einem bei einem so jungen Mädchen bewundernswerten Mut einen letzten Schritt, durch den sie glaubte Gottes Willen klar schauen und ausführen zu können. Nicht Eigenwille, sondern nur der höhere Zug, die Heldenhaftigkeit der Tugend lässt eine solche Beharrlichkeit und Standhaftigkeit im Handeln wirksam werden und erklären. Die gottinnige Jungfrau machte eine Pilgerreise nach Rom mit und ging geradewegs, trotz Abratens maßgebender Persönlichkeiten und gegen das Zeremoniell, den Vater der Christenheit selber um Erlaubnis an mit 15 Jahren in den Orden eintreten zu dürfen. „Mein Kind, befolge, was die Oberen entscheiden werden,“ war die Antwort Leos XIII. Und Theresia? Nochmals wagte sie eine Erwiderung. Sie war ganz Kind, das unbefangene, dem Drängen des Herzens folgende Kind, dem alles übrige gleichgültig ist. Tugend und Ausfluss geistiger Kindheit ist die nicht zweifelnde, fest vertrauende Hingabe an den gemeinsamen Vater aller guten Kinder, ist die anmutige Einfalt der Bitte: „O Heiligster Vater, wenn Sie Ja sagen wollten, dann würde es alle Welt auch wollen.“ Dabei legte das unschuldsvolle Kind die gefalteten Hände auf die Knie des Papstes. Mit durchdringender Stimme sprach dieser, scharf betonend: „Geh, geh! Du wirst eintreten, wenn der liebe Gott es will.“ Man musste sie emporziehen. Der gute Heilige Vater aber erhob seine Hand zum Segen und ließ noch länger liebevoll seine Augen der Gottesbraut folgen. War das nicht ein voller Misserfolg all der vielen Bemühungen? Der schöne blaue Himmel Italiens umdüsterte sich und schien mit der kleinen Therese weinen zu wollen. Alles vorbei! Nur nicht ihr kindliches Gottvertrauen! Ein Ball in der Hand des lieben Jesuskindes wollte sie sein, den das göttliche Kind werfen, drücken durfte nach Belieben. Und siehe, es geschah, „wie Gott wollte“! Noch ein kurzer Aufschub, und am 9. April 1888 wurde zu Lisieux eine gar jugendliche Karmelitin als „Theresia vom Kinde Jesu“ dem besonderen Gnadenschutz des himmlischen Kindes unterstellt, dessen Tugenden sie so zu ehren sich bestrebte.

 

Nun schritt die Heilige rasch der Vollendung entgegen. Sie tat nichts Außerordentliches, menschlich Großes: „Ich habe nie nach außergewöhnlichen Gnaden verlangt,“ so bekennt sie. Und doch war alles außerordentlich, alles groß an dieser Seele, die nur klein sein wollte. Die Tugend des Kindes von Nazareth, der Gehorsam den Oberen gegenüber war es, der sie zunehmen und groß werden ließ vor Gott und den Menschen. Gott führt die Seinen ja auf verschiedenen Wegen in den Himmel. Jeder kann die Heiligkeit erstreben, trotz aller Unvollkommenheiten. Theresia will sie auf „einem kleinen, ganz geraden, ganz kurzen Weg“ erstreben. „Ich bin zu klein, sagt sie, um die harte Treppe der Vollkommenheit emporzusteigen. Ich möchte einen Fahrstuhl finden,“ wie man ihn in großen modernen Häusern hat, um bequem in die Höhe gehoben zu werden. „Wenn jemand klein ist, so möge er zu mir kommen,“ heißt es im Buch der Sprichwörter und bei Jesaja: „Wie eine Mutter ihr Kind liebt . . ., so werde ich euch an meiner Brust tragen und auf den Knien euch liebkosen.“ „Ja, o Jesus, der Fahrstuhl, der mich in den Himmel erheben soll, sind deine Arme. Für diese brauche ich nicht zu wachsen, ich muss im Gegenteil klein bleiben und immer kleiner werden.“ Sie meint damit demütig, gehorsam werden. Indem sie so klein blieb, wuchs sie zur Größe. Sie verlegte sich auf die Übung ganz verborgener, kleiner Tugendakte. Tausenderlei Gelegenheiten suchte sie auf, sich den Mitschwestern dienstbar zu erweisen. An den am wenigsten bequemen Dingen fand sie ihre Freude.

 

Von innigstem Frieden umströmt, feierte St. Theresia vom Kinde Jesu am 8. September 1890 ihre Vermählung mit dem Himmel in der Profess. Und doch war dieses gotterwählte Kind, das seinen Beruf so heiß ersehnte und so beharrlich beschleunigte, gerade am Vorabend des großen Tages von dichtester Finsternis bezüglich ihres Berufes überfallen worden. Demütige, vertrauensvolle Eröffnung ihrer Meisterin gegenüber hatte den Feind alles Guten in die Flucht geschlagen. O wie oft siegte so die „Kleine! Gegen eine Ordensfrau empfand sie eine große natürliche Abneigung. Diese wollte sie überwinden, nicht nur durch gute Gesinnung, sondern auch durch Taten. Wenn sie darum der ihr so missliebigen Schwester begegnete, betete Theresia für sie und opferte ihr alle Verdienste auf. Wenn sie versucht war, ihr auf unangenehme Weise zu antworten, so beeilte sie sich der Unterhaltung eine andere Wendung zu geben. Wurde der innere Kampf gar zu heftig, floh die starkmütige Kämpferin wie ein furchtsames Kind ohne die Absicht merken zu lassen. So kam es, dass eines Tages jene Schwester mit strahlender Miene fragte: „Schwester Therese, wollten Sie mir wohl sagen, was Sie so sehr zu mir hinzieht? Ich begegne Ihnen nicht, ohne dass Sie mir das liebevollste Lächeln zeigen.“ O, was die Kleine anzog, das war Jesus, der auf dem Grund der Seele ihres Nächsten verborgen war, Jesus, der süß macht, was am bittersten ist.

 

Die sich so zu überwinden verstand, wurde bald für würdig gehalten, als Gehilfin der Novizenmeisterin an der Erziehung der Neulinge mitzuarbeiten. Diese hingen denn auch mit aller Liebe und größtem Vertrauen an ihrer jugendlichen Lehrmeisterin. Und welchen Weg lehrte sie die Novizinnen? „Mutter, den Weg der geistigen Kindheit, den Weg des Vertrauens und der vollständigen Hingabe. Ich will sie die kleinen Mittel lehren, die mir so ganz gelungen sind, ihnen sagen, dass hienieden nur eines zu tun ist: Jesus die Blumen kleiner Opfer zuzuwerfen und ihn so zu gewinnen.“

 

„Ich kenne nur ein Mittel, um die Vollkommenheit zu erreichen, und das ist die Liebe. Ja, lieben wir, denn dazu ist unser Herz geschaffen.“ – „O mein Gott, glorreiche Dreieinigkeit, ich verlange danach, dich zu lieben und andern deine Liebe einzuflößen, an der Verherrlichung der heiligen Kirche zu arbeiten durch Rettung der Seelen, die noch auf Erden leben, und durch Befreiung derer, die im Fegfeuer leiden.“

 

„Das einzige Mittel, um auf dem Weg der Liebe rasch voranzuschreiten, ist dieses, immer recht klein zu bleiben.“ – „Klein bleiben heißt sein Nichts erkennen, alles vom lieben Gott erwarten und sich über seine Fehler nicht allzu sehr betrüben; es heißt sich keine besonderen Verdienste aufspeichern wollen, sich über nichts beunruhigen. Klein bleiben heißt ferner, die Tugenden, die man übt, niemals sich selbst zuschreiben, sondern erkennen, dass sie ein Schatz sind, den der liebe Gott in die Hand seines kleinen Kindes legt, um sich seiner zu bedienen, wenn er dessen bedarf.“

 

„Für die großen Seelen geziemt es sich, wenn die Gewitterstürme toben, hoch über den Wolken dahinzufliegen; aber wir haben nichts weiter zu tun, als geduldig alle Widerwärtigkeiten zu ertragen. Wenn wir schließlich auch ein wenig nass werden, was schadet es, wir trocknen uns hernach im Sonnenschein der göttlichen Liebe.“ – „Ich habe es früher nicht immer fertiggebracht, immer gleichmäßig freundlich, liebenswürdig und ruhig zu sein; seit ich aber nie mehr und in nichts mich selbst suche, führe ich das denkbar glücklichste Leben.“ – „Der liebe Gott achtet die kleinen inneren Kämpfe keineswegs gering, diese gerade sind besonders verdienstlich. Der Geduldige gibt mehr als der Starke und der seine Seele beherrscht, tut mehr als der Städteeroberer.“

 

So dachte, so lehrte, so handelte die kleine Himmelsstürmerin. Und während sie demütig meinte, „nicht dem ersten, sondern vielmehr dem letzten Platz zustreben zu müssen“, erstrebte und errang sie in Wirklichkeit das Höchste.

 

Auf dem langen, schmerzlichen Krankenbett wurde die engelgleiche Jungfrau des öfteren sichtlich durch Maria getröstet. „O wie ich die allerseligste Jungfrau liebe,“ rief sie eines Abends aus. „Wäre ich Priester, wie gut hätte ich über sie geredet! Man schildert sie als unnachahmbar, man müsste sie als nachahmbar schildern. Sie ist ja mehr Mutter als Königin. Ich habe sagen hören, dass ihr Glanz alle Heiligen in den Schatten stelle, wie die Sonne bei ihrem Aufgang die Sterne verschwinden macht. Wie sonderbar ist das doch! Eine Mutter, die den Glanz ihrer Kinder verschwinden macht! Ich, ich denke mir gerade das Gegenteil; ich glaube, dass die Jungfrau Maria die Herrlichkeit der Auserwählten um vieles vermehrt. Wie einfach scheint mir ihr Leben gewesen zu sein!“ Der kindlich-unschuldsvollen Seele scheint auch die größte Heiligkeit einfach und natürlich zu sein.

 

Wie Schwester Theresia des öfteren um die geheimen Gedanken ihrer Mitschwestern gewusst hat, so scheint ihr, dem Vorbild der „Kleinen“, die Bestimmung nicht verborgen geblieben zu sein, die Gott ihrem Leben als Zweck gegeben hatte. Hierüber sprach sie auf dem Sterbebett: „Ich habe stets dem lieben Gott nur Liebe geschenkt, er wird mir dafür Liebe geben. Nach meinem Tod werde ich einen Regen von Rosen niederfallen lassen.“ Solche Worte möchten als das Gegenteil einer Kindesdemut erscheinen. Allein, wie Papst Benedikt XV. in seiner genannten Ansprache selber erklärt, solche Worte können nur als unter dem unmittelbaren Einfluss göttlichen Befehles gesprochen aufgefasst werden. Der Verstand des Menschen ist zu eng begrenzt, um ihm zu erlauben die Beweggründe des Allmächtigen zu verstehen, wenn er seinen Geschöpfen eingibt, was sie sprechen oder welche Ratschläge sie geben sollen. Wenn die heilige Gottesbraut versprochen hat, ihren Himmel damit zubringen zu wollen, auf Erden Gutes zu tun, Gott lieben zu lehren, so hat sie ihr Versprechen auch gehalten. „Denn die Gnaden, die ihrer Fürbitte zugeschrieben werden, sind unzählbar,“ wie der Heilige Vater öffentlich und feierlich bekannt hat. Ihm seien viele Briefe zugegangen, die von Errettung aus äußeren Gefahren durch Vermittlung der Heiligen berichten, wie auch von erfolgter Lebensänderung. Und darin vor allem besteht der versprochene Rosenregen des seligen Gotteskindes.

 

So lichtvoll und friedenspendend, wie Theresias Leben war ihr Tod am 30. September 1897. Gefragt, ob sie ergeben sei zum Sterben, antwortete sie: „O, ich finde, es bedarf der Ergebung um zu leben! Zu sterben ist für mich eine Freude . . . Die irdische Luft fehlt mir, wann werde ich die Luft des Himmels atmen!“ Im Ertragen der äußersten Schmerzen , die sie durch ihren dringenden Wunsch Seelen zu retten erklärte, gestand die Sterbende: „Es ist der ganz reine Todeskampf ohne Beimischung von Trost . . . Ich bereue es nicht mich der Liebe (nach Leiden) übergeben zu haben.“ Den Gekreuzigten anblickend, hauchte sie ihre letzte Liebesklage aus: „Nun gut! . . . Wohlan! . . . Wohlan! . . . O, ich möchte nicht weniger leiden! Oh! . . . Ich liebe ihn! . . . Mein Gott, ich . . . liebe . . . dich!“ Sie sank zurück, den Kopf zur Seite neigend. Plötzlich erhob sie sich wieder, wie von geheimnisvoller Stimme gerufen. Sie öffnet die Augen und heftet sie strahlend von himmlischem Frieden und unsäglichem Glück eine Zeitlang auf die Statue der Mutter Gottes. Dann holte „der göttliche Adler“ sie heim als köstliche Beute.

 

Wahrhaftig! Die gottinnige Seele durfte mit aller Zuversicht sprechen:

 

 

„Wie sollte der liebe Gott die Pforten seines Reiches seinen Kindern verschließen, die ihn so sehr geliebt, dass sie sich ihm ganz zum Opfer gebracht haben?“ – „Die Kleinen werden mit äußerster Nachsicht gerichtet werden. Es ist möglich, klein zu bleiben, selbst in den verantwortungsreichsten Ämtern. Steht nicht geschrieben, dass am Ende der Herr sich erheben wird, um allen Sanftmütigen und Demütigen auf Erden Heil zu schaffen? Er sagt nicht: richten, sondern Heil schaffen.“