Heilige Dorothea von Montau, Witwe, Rekluse zu Marienwerder, Mystikerin, + 25.6.1394 – Fest: 25. Juni

 

Die Mette, das nächtliche Stundengebet des Herz-Jesu-Festes, beginnt mit der Einladung: „Christus, der für uns gelitten hat, kommt, lasst ihn uns anbeten!“ Die Andacht zum leidenden Heiland hat schon unterm Kreuz begonnen. Je mehr die Verehrung und das Mitleiden mit dem Gekreuzigten wuchs, umso tiefer gestaltete sich die Erkenntnis der großen Erlöserliebe und führte von selbst zur Verehrung seines heiligsten Herzens, in dem sich alles Leid und alle Liebe des Herrn wie in ihrem Quellpunkt sammelte. Die heilige Margareta Alacoque, die im Jahr 1675 vom lieben Heiland in besonderer Weise zur Verbreitung der Andacht zu seinem heiligsten Herzen beauftragt worden ist, war zuvor durch eine tiefe Verehrung des bitteren Leidens auf ihr großes Apostolat vorbereitet worden. So war es auch allezeit vorher bei den liebeinnigen Nachfolgern des Gekreuzigten. Seitdem die Andacht zum leidenden Heiland einen so gewaltigen Aufschwung genommen hatte wie im dreizehnten Jahrhundert, begegnen wir auch bei unseren gemütstiefen deutschen Seligen einer sich immer mehr entfaltenden Herz-Jesu-Verehrung. Im einfachen Gebetsleben wie im geheimnisvollen Gnadenleben vieler Heiligen jener Zeiten tritt das göttliche Herz auffallend hervor. Eine dieser Begnadeten möchten wir, neben anderen, schon deshalb nicht übergehen, als sie das östlichste der einst deutschen Lande durch ihr wundersames Beispiel, ihr erfolgreiches Fürbittgebet und mächtiges Patronat beglückte.

 

Dorothea wurde als das jüngste unter neun Geschwistern am 6. Februar 1347 in dem von den Deutsch-Ordensrittern gegründeten Dörflein Montau bei Marienwerder in Ostpreußen geboren. Sie war leiblich und geistig reich begabt. Schon mit sieben Jahren entwickelte sich in ihr ein ungewöhnliches, reiches Seelenleben, dessen leuchtende Sonne der leidende Erlöser war. In stetem geistigem Verkehr mit Jesus wollte sie sein ganzes Leiden mit ihm teilen. Dazu legte sich die heranblühende Jungfrau selbst die größten Abtötungen und Peinen durch Geißeln, Bußwerkzeuge und ähnliches auf, so dass ihr ganzer Leib wie ein von der Pflugschar durchfurchter Acker war. Nichtsdestoweniger verbreitete ihr holdseliges Wesen überallhin nur Freude und Frohsinn. Nach dem Tod des Vaters war Dorothea die einzige Stütze ihrer Mutter, da vier Schwestern sich bereits ein eigenes Heim gesucht hatten. Da hinderte sie der mächtige Zug zu einem innerlichen Leben keineswegs, unermüdlich der strengsten Arbeit zu obliegen. Auch die Unterstützung der Armen war ihrem hausfraulichen Sinn eine liebe, gern geübte Pflicht. Und diese Armen hinwiederum, echte, dankbar segnende Arme, vergalten der barmherzigen Schwester mit geistlichen Wohltaten. Sie lehrten sie fromme, religiöse Sprüche und geistliche Lieder. Das gab wieder neue Anregung und Befruchtung des frommen Gemütes der gottliebenden Jungfrau.

 

Wie doch Gottes Weisheit und Güte diesen auserwählten Liebling seiner Gnade führte! Dorothea von Montau sollte der Welt ein Beispiel werden, wie innige mystische Gottesliebe in jedem Stand Heimatrecht hat, im Ehestand so gut wie im Ordensstand, wenn sie in der Stille des „Gotteshauses“, des Klosters, auch mehr Nahrung und fruchtbare Entfaltung finden kann. Dorothea wurde mit 17 Jahren an einen schon bejahrten Bürger in Danzig verheiratet. Wohl war dieser guten Willens, aber jähzornig und rau. Wäre die Tugend der jugendlichen Frau nicht eine solide gewesen, ihre Frömmigkeit nicht eine echte, so dass sie in allem den Willen Gottes zu vollziehen sich bemühte und die Liebe zu Gott durch die tägliche treue Berufsarbeit mit ihren Mühen und Opfern zu üben verstand, nicht nur im Gebet, so wäre die Ehe kaum eine glückliche geworden. So aber gewann Dorothea durch ihre Klugheit nd ihr sanftes, mildes Wesen solchen Einfluss auf ihren Gatten, dass sie an ihm bald den besten, freundlichsten Mann erzogen hatte. Über sechsundzwanzig Jahre lebte sie mit ihm in wahrhaft christlicher Ehe und gebar ihm neun Kinder. Doch mit der Freude am Kind wurde auch der Mutter Leid gepaart. Alle ihre Kinder starben nacheinander dahin; nur eine Tochter, Gertrud, blieb übrig und wurde Benediktinernonne. Die harte Prüfung bewährte nur die kernfromme Gesinnung und Ergebung der beiden Gatten. Sie verkauften schließlich Haus und Hof und unternahmen eine Pilgerfahrt nach Köln, Aachen und Einsiedeln. Auch nach Rom zum Jubiläum im Jahr 1390 wäre der gute Mann gerne gepilgert. Da er aber wegen der Altersschwäche die weite, beschwerliche Reise nicht mehr wagen konnte, sandte er seine Frau in guter Begleitung dorthin. Von dem Zurückgebliebenen forderte Gott neben dem ersten Opfer noch ein zweites, größeres. Er sollte seine brave Frau nicht mehr sehen. Der Herr holte den müden Erdenpilger ins ewige Vaterhaus heim, während Dorothea noch in Rom weilte, im Haus des irdischen Vaters der Christenheit. Als Witwe kam sie heim nach Preußenland.

 

Nun aller irdischen Verpflichtungen enthoben, lebte die Heilige von Montau nur mehr dem ausschließlichen Dienst des himmlischen Herrn, der ihr schon immer in ganz ungewöhnlich gnadenreicher Weise seine liebende Gegenwart kundgegeben hatte. So mächtig war die Glut heiliger Gottesliebe gar oft bei der ihrem Beruf nachgehenden Frau gewesen, dass sie sich nicht mehr verbergen konnte. Hohn und Spott bei Außenstehenden waren die Folgen solch unverstandener Ausbrüche ihres gottseligen Innenlebens. Sogar als Irrgläubige wurde sie angeklagt, aber bald als schuldlos erklärt. Glühend heiß war ihr Verlangen nach der heiligen Kommunion. Auf ihr unablässiges Bitten hin gestattete ihr frommer Beichtvater in Danzig endlich der hungernden Seele wöchentlich einmal die eucharistische Speise. Von ihren außerordentlichen Erfahrungen aber nahm er wenig Kenntnis, verwies jedoch jetzt die Witwe an den gelehrten Domdechanten Johannes in Marienwerder. Und das war wieder ein Hulderweis der göttlichen Vorsehung, die jedem willigen Heilsbewerber zu jeder Zeit den passenden rechten Seelenführer schickt, auch einen außergewöhnlich begabten, wenn er dessen benötigt.

 

Johannes von Marienwerder war ehedem Professor der Gottesgelehrtheit an der Universität in Prag, die damals über 6000 Studenten, meist Deutsche anzog. Er galt als ein Mann von selbstständigem, freimütigem Urteil und echt wissenschaftlichem Geist; seine Schriften zeigen hohe Klarheit und Tiefe. Und dieser treffliche Gelehrte sollte durch die Eifersucht der Böhmen neben anderen deutschen Männern von Prag weggeekelt werden, um als Domdechant in Marienwerder 1339 die Seelenleitung der so begnadeten heiligen Frau von Danzig zu übernehmen und aus den Mitteilungen ihres inneren Lebens so hohe „Aufschlüsse über die göttlichen Geheimnisse und über die wunderbaren Wirkungen des Geistes Gottes in der Menschenseele zu erlangen, wie die Gelehrten sie in ihrer Schulweisheit nie gefunden haben.“ Der demütige Mann, der sich vor etwas Außerordentliches im Seelenleben dieser einfachen Frau gestellt sah, zog auch den Dompropst und Doktor des kirchlichen Rechtes Rymann und seinen Bischof zu Rate. Alle Mitteilungen Dorotheas wurden einer strengen Prüfung unterzogen. Was uns deshalb Johannes von Marienwerder in mehreren gelehrten Werken über das äußere und innere Leben der Dienerin Gottes berichtet, darf vollste Zuverlässigkeit beanspruchen. Auch in deutscher Sprache hat Johannes, vom guten Volk und den Ordensrittern gedrängt, mit Wärme und Begeisterung das Lebensbild der Seligen geschrieben. (Das Büchlein, das erst nach fast hundert Jahren 1492 in Druck erschien und vorher vielfach abgeschrieben wurde, ist das erste Werk deutscher Prosa in Preußen, ein Sprachschatz, der Erforschung der Fachleute wert.)

 

Diesem seeleneifrigen und gelehrten Führer unterwarf sich nun Dorothea, die alles Ihrige weggegeben hatte und in äußerster Armut bei einer frommen Witwe lebte, mit vollkommenem, gelobtem Gehorsam. Gegen die Regel gestattete Meister Johannes der in ganz außerordentlicher Liebe zu Jesus im heiligsten Sakrament entbrannten, mit Gott verbundenen Seele die tägliche Kommunion und hörte auch täglich ihre Beichte und die Eröffnung ihrer inneren Erfahrungen und erlebten Gesichte. Auf ihr drängendes Verlangen nach gänzlicher Abgeschiedenheit wurde mit Gutheißung des Bischofs und Domkapitels eine Klause an der Kathedrale gebaut und Dorothea hier am 2. Mai 1393 eingeschlossen. Solche Inklusen oder Reklusen (Eingeschlossene) gab es damals mehrere an verschiedenen Orten, besonders bei Klosterkirchen. Die Domklause von Marienwerder wurde geweiht durch das Gebet, die Betrachtung, die strengen Kasteiungen und wunderbaren Entzückungen der begnadeten Dorothea von Montau. Im engsten Anschluss an das Kirchenjahr durchlebte sie hier die heiligsten Geheimnisse und lebte sie innerlich mit. Da erstieg sie die letzten Grade der heiligen Liebe und der christlichen Vollkommenheit. Aber auch Gottes Segnungen ergossen sich im mächtigen Strom über seine opferfreudige Dienerin. Über eine der herrlichen Auszeichnungen berichtet Domdechant Johannes: „Der Herr erschien ihr mit geöffnetem Herzen und geöffneter Seite und sprach: Darum habe ich dir meine geöffnete Seite und mein offenstehendes Herz gezeigt, damit du in Zukunft weißt, wo du mein Herz finden und mit den Pfeilen deiner Liebe verwunden könntest.“

 

Die Gebets- und Leidenstätigkeit Dorotheas galt vor allem der Kirche, deren Not durch das große abendländische Schisma (Spaltung), wo sich Päpste und Gegenpäpste gegenüberstanden, ihr tief zu Herzen ging. Gebet, Seufzen und Weinen, wechselte mit Lobgesängen über die unendlichen Erbarmungen des Herrn. Doch auch dem einzelnen Menschenleid wendete sie ihre fürbittende Sorge zu. Unzählige kamen vor das Fensterlein der Klausnerin und alle gingen belehrt oder getröstet und erbaut von ihr weg. Von ihrem Blick in das Innere der Herzen und in das Verborgene der Gegenwart und Zukunft hat man unzählige Beweise. Gegen äußere Einflüsse von Kälte und Hitze schien sie schier unempfindlich zu sein; Nahrung und Schlaf waren aufs allergeringste beschränkt.

 

Nur mehr kurze Zeit dauerte dies außergewöhnliche Leben. Am 25. Juni 1394 verließ die gottselige Eingeschlossene ohne Erkrankung, rein aus Sehnsucht nach ihrem Herrn und Gott diese Zeitlichkeit in ihrem 48. Lebensjahr. Bei der Beerdigung, an der der Bischof selbst teilnahm, gab Domdechant Johannes einen so eindringlichen Bericht über ihr außergewöhnliches Leben, dass die ganze Menge zusammen schluchzte und weinte. An ihrem Grab dauerten die wunderbaren Gebetserhörungen fort. Johannes von Marienwerder hatte hinreichendes Material zum Seligsprechungsprozess nach Rom gesendet. Indessen konnten nach der Plünderung und Verwüstung des Landes durch den Polenkönig die Kosten für Fortführung des Prozesses nicht mehr aufgebracht werden. Meister Johannes, der durch die von Dorothea vorausverkündigten Kriegsstürme persönlich den Leidenskelch bis auf die Hefe trinken musste, starb 1417. Doch auch ohne amtliche Seligsprechung wurde Dorothea als Heilige verehrt. In Danzig, wo sie über 26 Jahre als Ehefrau gelebt hatte, wurde ihr zu Ehren eine Dorotheenkapelle gebaut, es wurden Feierlichkeiten abgehalten, die der Verehrung der Patronin des Ordenslandes galten. Die hundert Jahre später folgende unselige Glaubensspaltung in Preußen machte aller Verehrung und Anrufung der Heiligen ein Ende. Indessen spricht man von Dorothea noch immer als von einer Schutzpatronin des Preußenlandes, die das Volk nicht vergessen kann.

 

Gar häufig ist die Kenntnis und Verehrung des heiligsten Erlöserherzens, in früheren Zeiten wie auch heute, von wunderherrlichen Gnaden umleuchtet. Begreiflich! Die Seelen, die sich dem Herrn in Leiden und Lieben aufs engste vereinen, sind auch in besonderer Weise vorbereitet und geeignet, die Reichtümer seines heiligsten Herzens zu erkennen und auszuschöpfen. Gibt der Heiland manchen Begnadeten in geheimnisvollen, übernatürlichen Erleuchtungen seine unfassbare Liebe zu kosten, wir können das nur dankbar bewundern. Alle aber dürfen wir hoffen und glauben wir, dass Jesu im Tod durchbohrtes Herz für alle Menschen und für immer eine lebendige Quelle des Heils ist und bleibt. Der selige Hermann Joseph singt in seinem Herz-Jesu-Lied, das um das Jahr 1200 als ältestes deutsches Herz-Jesu-Lied entstanden sein dürfte, allen zum Trost:

 

Wasche, heile und erhelle,

Und befrucht` mich mit der Quelle,

Die, der Seite einst entquollen,

Ward zum Strom, zum gnadenvollen,

Als dich die Lanze hart bedrängt.