Seliger Rasso (Ratho), Graf von Andechs und Mönch zu Grafrath, + 19.6.954 – Gedenktag: 19. Juni

       

Wenn wir lesen, was uns das liebe Mittelalter über seine Heiligen zu erzählen weiß, so mutet und duftet uns das an wie eine bunte Au, in allen Farben prangend, durchsprudelt von einem schnell fließenden Wässerlein, das unbekannte Weisen murmelt, rings eingeschlossen vom schweigenden Dunkel des Waldes, überstrahlt von der großen, großen Sonne, - wie ein liebes Märchen, mit dem uns der selige Friede entschwand. Und doch war es Wirklichkeit und der mittelalterliche Mensch wird sie auch als raue Wirklichkeit empfunden haben wie wir unsere moderne. Freilich nicht in dem Maße und Grade, denn er hatte noch, was uns mit dem Mittelalter verloren ging, die Einheit des Menschen mit sich, mit den anderen, mit der Welt, mit der Kirche, mit Gott. Dieses Glück fühlte und schätzte der mittelalterliche Mensch nicht, ebenso wenig wie wir das Unglück unserer Zerrissenheit ermessen können. In diese Welt nun müssen wir den seligen Rasso hineinstellen. Rasso ist nicht einer jener großen Recken, an denen diese Zeit so reich ist, deren höchstes Ideal eine Heerfahrt nach Italien war oder eine blutige Fehde. Rassos Ideal war religiös eingestellt: seine großen Taten sind eine Wallfahrt ins Heilige Land und eine Klostergründung.

 

Rasso (Ratho) stammte aus dem Grafengeschlecht von Diessen. Seine Ahnen hatten auf Schloss Andechs ihren Sitz. Ihre Aufgabe war es, die Ostmark, das heutige Österreich, gegen die Einfälle der Ungarn zu schützen. Rasso musste eine imposante Erscheinung gewesen sein, seine riesenhafte Größe soll verewigt sein in dem großen, langen Stein, der auf sein Grab gesetzt wurde. Mit seinen außerordentlichen natürlichen Gaben verband er einen seltenen Eifer in seinem religiösen Streben, das er ganz und immer auf Gott allein gerichtet hielt. Zur Ehre Christi errichtete er unter dem Schutz der heiligen Apostel Philippus und Jakobus in Wörth an der Amper eine Kirche, die Bischof Ulrich von Augsburg einweihte, und zugleich ein Kloster, das er mit reichlichen Gründen ausstattete, damit dort Mönche nach der Regel des heiligen Benedikt den Dienst am Altar versehen könnten. Damit aber war Rasso nicht zufrieden. Er wollte auch die Gläubigen dem neu errichteten Heiligtum näherbringen, sie sollten von fern her zusammenströmen, um dort zu beten, um sich von dort Segen für ihre Arbeit, Hilfe in ihren Nöten zu erflehen. Zu diesem Zweck aber brauchte er Reliquien, womöglich ganze Leiber von Martyrern.

 

Rasso war nicht der Mann, der nur deshalb zur Frömmigkeit gekommen war, weil er sonst ein gebrechlicher, schwacher Mann war, nein, eine kraftstrotzende Natur, erschien er seinen Zeitgenossen ein Riese, war ein berühmter tapferer Degen, der seinen Mann stellte in der Abwehr der Ungarn, die immerfort an der Grenze lauerten und nicht selten mordend und plündernd Rassos Schutzgebiet heimsuchten. Sein Name hatte schon lange beim Kaiser einen guten Klang, wir würden sagen, er war bei ihm gut angeschrieben. Deshalb konnte er sich auch eine große Bitte getrauen, er ersuchte den Kaiser um Empfehlungsschreiben an den Papst und andere kirchliche Würdenträger für seine Wallfahrt ins Heilige Land und nach Rom. Der Kaiser händigte sie seinem treuen Recken gerne aus. Rasso warf sich voll heiligen Eifers in das Wallfahrerkleid und schlug mit Judith, der Gemahlin Herzog Heinrichs von Bayern und Sachsen, den weiten Weg nach Jerusalem ein. Dort glücklich angelangt, erwarb er sogleich drei heilige Leiber, ebenso in Konstantinopel wertvolle Reliquien. In Rom wurde er von Papst Agapitus II. in Ehren empfangen, gestärkt mit dessen Segen zog er nach Mailand weiter, wo er wiederum Reliquien erwarb. Reich beladen mit heiligen Schätzen kam er zu seinem Kloster zurück.

 

Rasso hatte dem Kaiser und seinem Volk Kraft und Treue erzeigt, hatte Kirche und Kloster gestiftet, hatte sie mit überreichen Reliquienschätzen ausgestattet, das alles ohne Eigengewinn, ohne Eigennutz, um der Ehre Gottes und des Heiles der Seelen willen, ein Lebenswerk, groß genug für sich. Doch Rasso war damit noch nicht zufrieden, sein innerster Drang war noch nicht gestillt; er hatte viel getan, viel gegeben, aber noch nicht alles, noch nicht sich selbst. Er wird Mönch, um Gott in Heiligkeit und Gerechtigkeit zu dienen, die noch übrigen Tage seines Lebens. Nachdem er noch an seinem Lebensabend in Werken heiliger Demut und Unterwerfung, des Gehorsams, der Abtötung des Fleisches, des Eigenwillens und der Eigenliebe einen unvergänglichen Schatz von Ewigkeitswerten aufgehäuft hatte, starb er still, von der Welt unbemerkt, am 19. Juni 953. Er wurde in der Kirche, die er gestiftet hatte, begraben. Zu seinem Grab wallfahrteten alljährlich lange Pilgerzüge und zahlreiche Gebetserhörungen geschahen auf seine Fürbitte hin.

 

Ohne Gepränge und Pomp hatte man den einfachen Klosterbruder bestattet. Niemand machte besonderes Aufhebens, die Welt hatte ihn schon vergessen, seit er seine Herrschaft aufgegeben und sich selbst unterworfen hatte. Still und bescheiden wandelte der schlichte Bruder durch die Klostergebäude und verrichtete Knechtsdienste, betete voll Zerknirschung, unter den anderen verschwindend, vor den Reliquien, die er einst in glänzendem Zug als Graf heimgeführt hatte. Das mochte Rasso manchmal schwer und hart dünken, doch das hatte er ja gewollt. Darum wurde es ihm süß und leicht, den einstigen Ruhm wegzuwerfen, zu verabscheuen, um von der Welt unbeachtet zu bleiben, ja verachtet zu sein. Gewiss, die äußeren Werke des christlichen Lebens, wie sie Rasso als Graf so eifrig ausgeübt hatte, sind wertvoll und bringen ihren Lohn. Aber den Wert bekommen sie doch nicht, den die innere Tugendübung im Kampf gegen sich selbst, gegen das Fleisch, gegen den zum Irdischen geneigten Geist hat. Rasso hat diese Wertung der Tugend verstanden und hat sich darum selbst aufgegeben in den drei Gelübden des Gehorsams, der Armut und Keuschheit. Gott wird auch seine kurze Zeit im Kloster mit den nach außen so armselig erscheinenden Werken höher gewertet haben als seine Kriegstaten, seine Klostergründung und seine große Wallfahrt.

 

Nicht die Welt, die schaut und lobt, gibt den Wert des Menschen an, sondern Gott, der die verborgensten Herzensfalten mit dem Lichtblick seines göttlichen Auges durchdringt.

 

P. Ansgar Friedl