Heilige Thais, Büßerin in Ägypten, + 8.10.348 – Fest: 8. Oktober

 

Um die Mitte des vierten Jahrhunderts lebte in Ägypten eine berüchtigte Buhlerin, mit Namen Thais. Sie war in der christlichen Religion erzogen worden, hatte aber in ihrem Herzen die Eindrücke der Gnade erstickt durch Wollust und schandvolle Gewinnsucht. Durch ihre Schönheit, ihren Geist und andere glänzende Eigenschaften geblendet, schämte sie sich nicht, sich preis zu geben, und versank in einen solchen Abgrund von Schlechtigkeit, dass man ihre Bekehrung auf gewöhnliche Weise für unmöglich hielt. Da ihre Ausschweifungen offenkundig waren, erpresste ihr trauriger Zustand unaufhörliche Tränen dem heiligen Paphnutius, der als Einsiedler in der Thebais lebte. Nachdem er lange und glühend im Gebet zu Gott um Rat gebetet hatte, nahm er seine Zuflucht zu einer frommen List, um diese Sünderin aus dem Abgrund ihres Verderbens zu retten. Er legte seinen gewöhnlichen Anzug ab, und verkleidete sich so, dass er nicht mehr zu erkennen war. Nun machte er sich auf den Weg, und kam in die Behausung der Thais. An der Tür verlangte er mit ihr zu sprechen und wurde in das Zimmer geführt. Da drückte er ihr seinen Wunsch aus, mit ihr eine Unterhaltung zu führen. Jedoch wollte er, dass es in einem abgelegeneren Gemach sein möchte. „Was fürchtest du?“, erwiderte Thais. „Die Menschen? Sie können uns nicht sehen. Aber Gott? Vor seinem Angesicht können wir nicht fliehen, wir mögen uns verbergen, wohin wir wollen.“ – „Wie!“, entgegnete Paphnutius. „Du weißt, dass es einen Gott gibt?“ – „Jawohl,“ antwortete Thais, „auch weiß ich, dass ein Paradies der Guten und eine ewige Hölle wartet.“ – „Wie nun“, sagte der Einsiedler, „magst du, indem du alle diese großen Wahrheiten glaubst, vor dem Angesicht dessen, der dich sieht und richten wird, zu sündigen dich erkühnen!“

 

Thais erkannte an diesem Vorwurf, dass derjenige, der zu ihr sprach, ein Diener Gottes ist, und in keiner anderen Absicht zu ihr komme, als sie von den Wegen des Verderbens abzubringen. Und in demselben Augenblick zerstreute der Heilige Geist, dessen Werkzeug Paphnutius war, die Finsternisse, die die Größe ihrer Schandtaten ihrem Anblick entzogen, und erweichte ihre Herzenshärte durch die Salbung der göttlichen Gnade. Durchdrungen von Schmerz und Beschämung, zerfließt sie nun in Tränen, verabscheut ihre schändliche Undankbarkeit gegenüber Gott, wirft sich vor die Füße des heiligen Paphnutius, und sagt ihm: „Mein Vater, lege mir eine mir angemessene Buße auf, bete für mich, auf dass der Herr mir Barmherzigkeit widerfahren lasse. Ich erbitte mir nur drei Stunden, um meine Geschäfte in Ordnung zu bringen, dann werde ich befolgen, was du mir vorschreiben wirst.“ Paphnutius zeigte ihr den Ort seiner Abgeschiedenheit an, und kehrte dann in seine Zelle zurück.

 

Thais nimmt ihre Hausgeräte, ihre Edelsteine und alles, was sie durch ihr lasterhaftes Leben sich erworben hatte, wirft es auf die Straße auf einen Haufen zusammen und zündet es mit Feuer an, indem sie alle Genossen ihrer Ausschweifungen einlädt, ihr in ihrem Opfer und ihrer Buße nachzuahmen. Durch diese Handlung wollte sie das gegebene Ärgernis gut machen, und dadurch zeigen, dass sie nicht nur der Sünde entsage, sondern allem, was das Feuer ihrer Leidenschaft zu entflammen vermocht hatte. Hierauf ging sie zu Paphnutius, der sie in ein Frauenkloster aufnehmen ließ. Der heilige Einsiedler schloss sie in eine Zelle ein, deren Tür er ein bleiernes Siegel aufdrückte, als wäre diese Stätte zu ihrem Grab bestimmt. Er empfahl den Schwestern, ihr jeden Tag für ihre Nahrung ein wenig Brot und Wasser zu reichen. Ihr selbst aber befahl er, die Barmherzigkeit anzurufen und ohne Unterlass um die Verzeihung ihrer Sünden zu beten. Als Thais ihn befragte, welches Gebet sie verrichten sollte, gab er ihr zur Antwort: „Du bist nicht würdig, den heiligen Namen Gottes auszusprechen, weil deine Lippen durch die Missetat befleckt worden sind. Auch bist du nicht würdig, deine Hände zum Himmel emporzuheben, weil sie voll der Unlauterkeit sind. Begnüge dich also damit, dass du dich gen Sonnenaufgang hinwendest, und diese Worte wiederholst: O du hast mich geschaffen, erbarme dich meiner!“ Dieses Gebet verrichtete sie nur unter Schluchzen und Tränen. Sie getraute sich nicht, Gott ihren Vater zu nennen, weil sie durch ihre Laster verdient hatte, des Rechtes der Kindschaft verlustig zu werden. Auch wagte sie nicht, ihn Herr, Richter und Gott zu nennen. Nicht Herr, weil sie seinen Dienst verließ, um eine Sklavin des Teufels zu werden, nicht Richter, weil sie bei dem bloßen Gedanken an seine schrecklichen Gerichte bebte, nicht Gott, weil sein Name unendlich anbetungswürdig ist und den Begriff aller Vollkommenheiten in sich schließt. Allein wiewohl sie ihm durch ihre Handlungen untreu wurde, so war sie doch immerhin seiner Hände Werk. Und in dieser Beziehung beschwor sie ihn, er möge doch einen Blick der Barmherzigkeit auf sie herabsenden, sie aus dem Abgrund ihrer Armseligkeiten retten, sie in ihre verlorenen Rechte wieder einsetzen und das Feuer der heiligen Liebe in ihrer Seele entzünden. In ihrem Gebet fand sie Beweggründe der Zerknirschung, der Demut und aller anderen Tugenden.

 

Nach Verlauf von drei Jahren besuchte der heilige Paphnutius den heiligen Antonius, sich bei ihm zu erkundigen, ob Thais noch nicht Buße genug getan hätte, um wieder versöhnt und zum Genuss des heiligen Abendmahls gelassen werden zu können. Beide kamen dahin überein, den heiligen Paulus den Einfältigen darüber zu befragen, indem der Herr nicht selten den Demütigen von Herzen seinen Willen zu offenbaren sich würdigt.

 

Des Morgens sagte Paulus, Gott habe der Büßerin einen Platz im Himmel bereitet. Paphnutius erbrach nun das angelegte Siegel und machte ihr kund, die Zeit ihrer Buße sei vorüber. Thais, tief durchdrungen von Gottes Gerichten, und sich für unwürdig haltend, der Gesellschaft der keuschen Bräute Jesu beigezählt zu werden, verlangte in ihrer Zelle bis ans Ende ihres Lebens eingeschlossen zu bleiben. Paphnutius aber wollte ihr dies nicht gestatten. Sie sagte, dass seit ihrem Eintritt in das Kloster sie ihre Sünden niemals aus den Augen verloren, und nie aufgehört habe, sie zu beweinen. „Eben darum“, entgegnete Paphnutius, „hat Gott sie getilgt.“ Sie musste also ihr Gefängnis verlassen, und unter den übrigen Schwestern leben. Allein der Herr mit ihrem Opfer zufrieden, rief sie vierzehn Tage danach aus dieser Welt.