Gottseliger Johannes-Baptist Muard, Priester, Volksmissionar und Klostergründer, + 19.6.1854 – Gedenktag: 19. Juni

 

Pater Johannes-Baptist Muard war ein großer Diener Mariens von seiner Kindheit an. Als er sein achtes Lebensjahr erreicht hatte, begab er sich mit sieben bis acht anderen Jungen täglich in ein benachbartes Dorf, um dort den Unterricht des Lehrers zu genießen. Es wäre überflüssig zu sagen, dass die Meilen, die diese beiden Dörfer trennten, von unseren jungen Leuten unter lärmenden Spielen und Zerstreuungen zurückgelegt wurden, die nicht immer auf der Schwelle des Schulhauses aufhörten. Doch machte Johann Baptist eine Ausnahme: er hielt sich in einer gewissen Entfernung und beschäftigte sich während des Gehens mit Lesen, Nachdenken oder Gebet. Mehr als einmal gingen seine jungen Gefährten zu ihm zurück, und versuchten ihn zu bestimmen, an ihren leichtfertigen Unterhaltungen sich zu beteiligen. Da es ihnen aber nicht gelang, so nahmen sie sich vor, ihn bei seinen Eltern zu verklagen. Bald bot sich die Gelegenheit dazu. Sie hatten wahrgenommen, dass er oft, wenn sie ihn überraschten, etwas vor ihnen zu verstecken suchte, dessen sie nie hatten habhaft werden können. Die Mutter des jungen Muard, deren Gesinnungen man kannte, wurde also hiervon benachrichtigt. Und eines Abends, da ihr Sohn wie gewöhnlich ruhig nach Hause kam, fasste sie ihn ungestüm, und durchsuchte ihn aufs Sorgfältigste. Ihre Nachforschungen waren nicht vergebens. Sie führten zur Entdeckung des geheimnisvollen Gegenstandes: es war . . . ein kleines Stück Holz ungefähr vier Zoll lang, längs dessen zehn Kerben eingeschnitten waren.

 

Was ist das, sagte die Mutter heftig, was bedeutet dieses Stück Holz? Aber der kleine Muard senkte den Kopf und schwieg. Nun so sage doch, fuhr sie fort, wozu das Holzstück? Liebe Mutter, antwortete er unschuldig, ich gebrauche es, um den Rosenkranz daran zu beten. Da diese Frau damals nicht recht wusste, was der Rosenkranz sei, so begnügte sie sich damit, ihm einen tüchtigen Verweis zu geben, indem sie ihm einschärfte, von nun an auch so zu tun, wie die anderen.

 

Während des Laufes seiner Studien gründete er im kleinen Seminar zu Auxerre eine fromme Genossenschaft unter dem Schutz Mariens. Er verfasste die Statuten, von denen ein Artikel festsetzte, dass man alle Tage einen Teil der Tagzeiten der heiligen Jungfrau beten sollte, so dass ihrer zwei sie ganz beten konnten.

 

Als ihm später eine Pfarrei übertragen wurde, so suchte Muard nicht bloß beim Tabernakel für sich und andere die mächtigen Gnaden, die den Weg zum Himmel ebnen, man fand ihn noch häufig zu den Füßen der erhabenen Himmelskönigin, und oft sagten seine Pfarrkinder, wenn sie ihn lange Zeit vor ihrem Altar hatten auf den Knien liegen sehen, zu einander: Es ist doch merkwürdig, wie sehr unser Herr Pfarrer die heilige Jungfrau liebt! Sie täuschten sich nicht, denn er besaß in einem ausgezeichneten Grad dieses Merkmal der Auserwählung. Sein Vertrauen zur Mutter Gottes hatte etwas Zartes, Unschuldiges, Kindliches, das alle zur Andacht stimmte, die ihn zu ihr beten sahen, oder von ihr sprechen hörten. Sie war die Vertraute aller seiner Leiden, die Lenkerin aller seiner Unternehmungen, die Schatzmeisterin aller Gnaden, die er von Gott erbat, die Hoffnung seines Berufes, endlich seine gute Mutter, wie er sie in den Äußerungen seiner Dankbarkeit gerne nannte. Diese glühende Liebe zur Königin des Klerus nahm bei ihm von Jahr zu Jahr zu, und man kann sich leicht denken, welchen reichen Segen dies allen seinen Unternehmungen brachte. Glücklich die Seelen, die der ohne Sünde empfangenen Jungfrau also ergeben sind, aber glücklicher noch jene, die in ihren Fußstapfen gehen.

 

Johann-Baptist Muard, der durch sein Ordensgelübde der Pater Johann Baptist vom heiligen Herzen wurde, war vierzig Jahre alt. Sein Werk gedieh, und er sammelte die Früchte ein. Aus der Wüste La Pierre-Qui-Vire sprudelte eine Quelle von Gnaden über die Diözese, und obgleich Strapazen und Krankheiten seine feste Körper-Konstitution geschwächt hatten, so schien doch der neue Patriarch noch eine lange Laufbahn voll der Arbeit und der Verdienste vor sich zu haben, als er sich an der Schwelle der ewigen Belohnung angekommen sah.

 

Er war nach Sens gekommen, und da er die Reise nach seiner gewohnten Weise zurücklegte, d.h. überall, wo er sich aufhielt, gepredigt und Beicht gehört hatte, so wollte er in dem wiederhergestellten Kloster der heiligen Columba neben dem Grab der jungfräulichen Martyrin sich einen Tag Ruhe gönnen. Da er nun, wie er selbst erzählt hatte, vor einem Bild der allerseligsten Jungfrau betete, so klagte er, dass er unseren Herrn noch nicht so liebt wie er zu lieben verdient hat, und erinnerte Maria daran, dass sie ihm versprochen hat, ihm behilflich zu sein, dass er zu diesem Grad der Liebe gelangt. Dies geschah am Dreifaltigkeitssonntag den 11. Juni 1854. Am Abend reiste er von Sens ab, um über Auxerre und Avallon nach Pierre-Qui-Vire zurückzukehren. Da er schon an einem Luftröhrenübel litt, so hatte er sich vorgenommen, Stillschweigen zu beobachten, aber er sprach überall mit seinem gewohnten Feuer. Seine Rede war immer voll Eifer, weil er immer von Gott sprach. Zu Avallon brachte er den ganzen Tag mit Raterteilen, Beichthören und Predigen zu. Des Abends schien seine Stimme, seine Haltung, seine Ausdrucksweise ganz von heiligem Feuer beseelt. Er sprach über das Glück einer durch den Glauben, das Vertrauen und besonders durch die Liebe mit Gott geeinten Seele, und seine Zuhörer zerflossen in Tränen. Als er ins Kloster zurückkam, kämpfte er noch zwei Tage lang gegen die Krankheit, die sich verschlimmerte. Am dritten Tag musste er endlich nachgeben und sich zu Bett legen. Ein bösartiges Schweißfieber war unverkennbar zum Ausbruch gekommen.

 

Gott ersparte ihm die Schrecken und die Demütigung des Todes nicht, und er gestand, dass er nie so viel gelitten hat, so dass er einmal befürchtete, dass er es an Geduld habe fehlen lassen, indem er eine Bewegung machte, wodurch er die Langsamkeit des Bruders anzuklagen schien, der ihn bediente. In der Fieberhitze verlangte er zu wiederholten Malen die Erlaubnis, die Arme unter dem Deckbett hervornehmen zu dürfen. Dennoch konnten die heftigsten Krisen den Frieden und die Klarheit seiner Seele nicht trüben. Er bat, er ermahnte, er erließ seine letzten Anordnungen als Patriarch und manchmal als Prophet. Er empfahl seinen Brüdern eine aufrichtige Demut, die sie unter alle Welt setzen und sie veranlassen sollte, sich als die Geringsten und als die Nachzügler der Ordensfamilien zu betrachten. Er riet ihnen, die Propheten fleißig zu lesen, in denen sie eine unerschöpfliche Quelle von Belehrung, Bildern und Gefühlen finden würden, und bedauerte wiederholt, dass die Heilige Schrift in den Erziehungsanstalten zu sehr vernachlässigt würde, und dass er selbst nicht von Jugend auf in die Kenntnis des geistlichen Lebens eingeweiht worden sei. Zugleich klagte er sich demütig seiner Fehler an, und zitterte beim Herannahen der Stunde der Gerechtigkeit. Aber die Zukunft seiner Gemeinde beunruhigte ihn nicht. „Es ist das Werk Gottes,“ sagte er zu seinen Kindern, „fürchtet nichts. Gott weiß für alles zu sorgen.“ Er wollte, man solle mit ihm ohne Unterlass vom Himmel, vom erbarmenden Herzen Jesu, vom unbefleckten Herzen Mariens reden. Als schon die Sprache ihm zu versagen begann, ließ er sich den Liebesgesang des königlichen Propheten vorsagen: „Wie lieblich sind deine Gezelte, o Gott der Heerscharen! Meine Seele schmachtet nach dem Haus des Herrn.“ Und er respondierte, als wenn er seine Kräfte wiedererlangt hätte: „Mein Herz und mein Fleisch brennen von Eifer voller Freude über den lebendigen Gott.“ Das Ave Maria war sein letztes Gebet, und er konnte es nur sprechen, indem er durch eine letzte Aufbietung seines Mutes den letzten Umarmungen des Todes sich entwand. Endlich legte der Tod seine Hand auf ihn, und bald nachdem er die letzte Ölung empfangen hatte, fiel er in Fieberträume. Aber seine Fieberphantasien waren die eines Heiligen, der nicht aufhört, zu glauben, zu lieben, zu sehen und zu gehorchen. Man hörte noch: „Mein Jesus, ich liebe dich.“ Man sah ihn noch bei den heiligen Namen Jesus und Marias zusammenfahren. Dann verklärte ein unaussprechliches Lächeln sein Gesicht. Er trank aus den ewigen Quellen der Liebe.

 

Der Tod des Paters Johann Baptist verursachte eine allgemeine Trauer. Man sah bei seinem Leichenbegängnis den Zudrang, das Leid, die Verehrung, die die Gräber der Heiligen verherrlicht. Während zwei seiner Brüder ihn ohne einen anderen Sarg, ohne ein anderes Leichentuch, als seine ärmliche Kleidung, in die Grube legten, wiederholten die übrigen, zur Erde niedergebeugt, dreimal: „Erbarme dich, o Herr, dieses Sünders!“ Aber das Volk rief zu ihm im Himmel. Jeder schätzte sich glücklich, der irgendeinen Gegenstand mit sich hinwegnehmen konnte, der seinen Körper berührt hatte. Und an der Stelle, wo er ruht, versammelt sich das Volk häufig zum öffentlichen Gebet und zur Bezeugung seiner Verehrung.