(Die Legende vom Seligen Reymotus muss schon allein deshalb eine geschichtliche Basis haben, weil wir in der Pfarrkirche von Holnstein noch heute den Epitaph des Reymotus bestaunen können - einen massiven Grabstein aus Kalk, der spätestens im 15. Jahrhundert entstand. Der Stein findet sich zur Linken des Chores und ist heute halb im Chorboden versenkt. Wegen dieser eigenartigen Lage dürfte er schon im Vorgängerbau der Kirche an entsprechender Stelle gestanden haben; er kennzeichnet mit hoher Wahrscheinlichkeit den Originalort der Bestattung des heiligen Mannes, selbst wenn Nachforschungen im vorigen Jahrhundert den Leichnam nicht mehr haben auffinden lassen.
Das Flachrelief zeigt einen langhaarigen Mann mit Kappe, Heiligenschein, wallendem Gewand und zwei Broten in den Händen. Der heute nicht mehr sichtbare Teil soll die Beine des Mannes abgebildet haben, mit zwei Spitzschuhen am Ende, gruppiert auf einem Totenkopf als Zeichen der Vergänglichkeit. Die Details der Kleidung lassen auf ein Leben zu Beginn des 13. Jahrhunderts schließen, somit fällt die Legende des seligen Kastners Reymotus in die ganz frühe Zeit des herzoglichen Kastenamtes. Der Grabstein entstand erst im 14. oder 15. Jahrhundert, er trägt in gotischen Majuskeln die Inschrift "Beatus Reymotus", d. h. "Seliger Reymotus".)
Text und Bild des Grabsteins: „Holnstein im Tal der Weißen Laber“ aus der Reihe: Perlen der Berchinger Stadtgeschichte von Dr. Werner Robl, Berching, November 2013.
www.robl.de/holnstein/holnstein.html
Wie oft wird geklagt, dass wir für viele schöne altdeutsche Namen keine Heiligen kennen, die ehedem diese Namen geführt und durch frommes Leben ehrwürdig und heilverheißend gemacht haben. Und doch stand ehedem gar mancher Name im Volk hoch in Ehren. Sein heiliger Träger hat als Schutzpatron Verehrung gefunden, wenn ihm auch eine eigentliche Seligsprechung amtlich nicht zuteilgeworden ist. Die kirchliche Umwälzung im 16. Jahrhundert, die oft alles Katholische von Grund aus vertilgte und selbst die Toten in den Grüften nicht schonte, hat Namen und Werke der Seligen mit dem Schatten der Vergessenheit bedeckt. Unser deutscher Heiligenkalender hat dadurch keine geringe Einbuße erlitten. Ein Erweis hierfür sind neben anderen auch diese beiden vergessenen „Heiligen“ aus dem Eichstätter Bistum.
1. Der selige Reimot, Reimut oder Reimbold
In der Dorfkirche zu Holnstein bei Berching in der Oberpfalz ist ein merkwürdiger Grabstein zu sehen. In Linienzeichnung begegnet uns ein Mann mit dem Barett auf dem Haupt, in der ausgestreckten Rechten ein Brot, in der Linken ebenfalls zwei Brote. Um das Haupt ist ein Heiligenschein, darüber die Inschrift: Beatus Reymot. Der Name Reimot, Reimut, der sich auch sonst findet, bedeutet: Der zum Rat Bereite.
Die Legende erzählt vom seligen Reimot, er sei Kastner (Zehentverwalter) gewesen und habe in der Zeit einer Hungersnot dem Volk wie ein ägyptischer Joseph Brot und Getreide aus dem herrschaftlichen „Kasten“ (Getreidespeicher, Zehentstadel) ausgeteilt. Als er deswegen der Untreue beschuldigt wurde, seien die Kästen voll Getreide gefunden worden. Auch eine Quelle im Tal soll ihm ihre Entstehung verdanken, die bis heute Reymotusbrunnen genannt wird. Vor der Glaubensspaltung war sein Grab eine vielbesuchte Wallfahrtsstätte. An seinem Fest, am Weißen Sonntag, wurden von einundzwanzig Metzen Getreide eine Brotspende an Arme ausgeteilt; es fielen hierzu reichliche Opfer an Geld und Naturalien. Die an diesem Grab geschehenen Wunder waren in einem dicken Quartband aufgeschrieben worden. Die urkundlichen Zeugnisse der Verehrung Reimots reichen bis zum Jahr 1390 zurück. Die Einführung der Glaubenserneuerung zerstörte den blühenden Kult, zugleich auch die Denkmale desselben bis auf den Grabstein. Der Altar des Seligen wurde zertrümmert, sogar das Grab geöffnet und die Gebeine zerstreut; die Weihegaben und Aufzeichnungen wurden verbrannt.
Nach der Pfarrmatrikel von Holnstein wurde am 20. November 1613 „ein Schlossdiener bei St. Reimbold in der Kirche begraben, im Gewölbe gegenüber der Kanzel“. In dieser Zeit war also der Selige unter dem Namen Reimbold (Reimbot, Reinbod) noch im Munde des Volkes. Versuche im 17. Jahrhundert, die Verehrung des Seligen wieder in Aufschwung zu bringen, waren ohne besonderen Erfolg. Ob der Eichstätter Bischof Reimbot von Meilenhart bei Neuburg, der 1279-1297 die Diözese regierte, von unserem Seligen den Namen erhalten hat, ist nicht erweislich. Wenn es vermutet werden darf, dann ist die Lebenszeit des seligen Reimot wenigstens vor dem Anfang des dreizehnten Jahrhunderts anzusetzen, liegt aber wohl noch viel früher.
Eine Stätte der Barmherzigkeit war Holnstein noch heute. Bei der Kirche war eine „Magnerische Anstalt“ zur Pflege geistesschwacher Kinder, wo St. Reimots Brotspende sich täglich erneuerte.
2. Die heilige Achahildis, Aghild
In dem Markt Wendelstein bei Nürnberg wurde ehedem eine heilige Achahildis, die Stifterin des dortigen Gotteshauses, überaus hoch verehrt. Sie ruhte dort in einer eigenen Kapelle in einem steinernen Sarkophag, der auf vier Säulen stand. An seiner Oberfläche war in altertümlichen Zügen zu lesen: „Da liegt begraben die heilige Frau St. Atzin, Stifterin dieses Gotteshauses.“ Atzin, Aze ist Koseform oder kurze Rufform des altdeutschen Namens Achahild oder Aghild, was so viel wie Schwertkämpferin bedeutet. Der Taufname Achilla, der 1402 in Wendelstein vorkommt, ist sicher auch nur eine andere Form für Achahild. Eine Bildertafel an der Wand der Kapelle erzählte von den Wundern, die sie gewirkt haben soll, und eine große Zahl von Weihegeschenken von den Wunderzeichen nach ihrem Tod.
Aus der Legende ist zu entnehmen, dass Achhild eine verheiratete Frau war, die nach längerer, mit fünf Kindern gesegneter Ehe mit ihrem Mann das Keuschheitsgelübde für den Rest ihres Lebens ablegte, ein Zug, der im Leben vieler heiliger Personen altchristlicher Zeit wie des Mittelalters wiederkehrt. Die Hochschätzung der Jungfräulichkeit ließ selbst unter Eheleuten das Verlangen aufkommen, sich auch zuletzt noch einen Anteil an dem ewigen Lohn der freiwilligen Enthaltsamkeit zu sichern. Da lag es auch nahe, dass die Volksmeinung, die nicht stille steht, unsere ehrfurchtgebietende Heilige zu einer Schwester der bekannten heiligen Kunigund macht und von ihr erzählt, sie habe im Augenblick des Todes ihrer Schwester die Glocken von Bamberg läuten hören. Wenn die mittelalterliche Legende diesen überaus häufigen Zug auch unserer St. Achhild zuteilt, dann dürfen wir daraus das eine schließen, dass sie beim gläubigen Volk in hohen Ehren gestanden sein muss.
Im Jahr 1402 ist in einer Urkunde die Rede von einer Altarweihe zu Ehren der heiligen Achahildis durch den Weihbischof von Seifried von Eichstätt. 1448 hat eine Kommission des Eichstätter Bischofs in Wendelstein eine genaue Untersuchung über ihre Verehrung angestellt, viele Zeugen über die Wallfahrten zu ihrem Grab vernommen und auch die Reliquien, die jährlich am Kirchweihfest in Prozession herumgetragen wurden, untersucht. Im gleichen Jahr 1448 erhielt die Kirche in Wendelstein, die dabei als der heiligen Achahild geweiht bezeichnet wird, von dem päpstlichen Legaten und Kardinal Johannes einen Ablass. Etwas später, 1480, wurde gelegentlich einer Visitation durch den Eichstätter Generalvikar J. Vogt die Verehrung der Ortsheiligen abermals der Beachtung und Nachforschung für wert erachtet. Der Visitator merkt in seinem Bericht bei Wendelstein an: „Bekannt durch die Reliquien der seligen Atzin (beatae Azae), deren Heiligsprechung noch nicht geschehen ist.“ Von dem einvernommenen Frühmessgeistlichen, der schon länger am Ort war, erfuhr er: In der Pfarrkirche sei ein bleierner Behälter vorhanden, in welchem Gebeine eingelegt waren, und die Überschrift des Behälters lautete, als er auf Befehl des Hochw. Herrn Bischofs von Eichstätt geöffnet war: „Hie leit (liegt) begraben dy heilig Fraw Sant Aze.“ Der genannte Behälter sei auch, als die Pfarrkirche Wendelstein vollständig abbrannte, unbeschädigt geblieben, so dass das Blei nicht geschmolzen war, obwohl die Glocken geflossen waren.
Die Verehrung der heiligen Achhild und die Wallfahrten zu ihrem Grab dauerten bis zur Einführung der Glaubenserneuerung in Wendelstein. Dann erlosch sie vollständig. Das Altarbild der Heiligen kam ins Germanische Museum nach Nürnberg, das Grabmal mit den Reliquien dient jetzt als Unterbau des Hochaltares.
Eine Wohltat genießen die Bürger Wendelsteins von dem frommen Ehepaar heute noch; das ist der der Gemeinde geschenkte Wald.
Zwei vergessene Selige! Und doch leben sie und sind unsterblich bei Gott. Selbst die Erde kann sie nicht vergessen. Noch reden die Steine und verkünden Namen und Ruhm der seligen Diener Gottes. Noch leben ihre Werke und bringen Segen, irdischen sowohl wie himmlischen. Von den Heiligen, die Wohltäter der Menschheit geworden sind, gilt das Wort: „Jedem Verdienst ist eine Bahn zur Unsterblichkeit aufgetan, zur wahren Unsterblichkeit, wo die Tat lebt und weitereilt, wenn auch der Name ihres Urhebers hinter ihr zurückbleiben sollte.“ Die Glockenklänge edler Taten erheben im Sterben der Guten ihre Stimme und tragen ihren Segen fort in ferne Geschlechter.