Die heilige Euphrosyna, in Alexandra geboren, war die einzige Tochter eines sehr angesehenen Mannes, Paphnutius mit Namen. Von Kindheit an empfand sie schon eine große Berufung, sich Jesus Christus in klösterlicher Einsamkeit zu weihen. Sie fand aber große Hindernisse in der Ausführung ihrer frommen Absichten von Seiten ihres Vaters. D sie schließlich sah, dass es ihr unmöglich war, die Hindernisse zu überwinden, entfloh sie heimlich in einem Alter von achtzehn Jahren, wie man sagt, in Männerkleidung, um sich besser verbergen zu können. Eine solche Verkleidung ist ohne Zweifel den natürlichen und den geoffenbarten göttlichen Satzungen der Kirche zuwider, wenn sie nicht die äußerste Not, wie die Rettung eines Menschenlebens, entschuldigte. Euphrosyna kam unter dem Namen Smaragdus zu dem Abt Theodosius, der einem in der Nähe von Alexandria gelegenen Kloster vorstand, in dem dreihundertfünfzig Ordensbrüder waren. Auf seinen Rat schloss sie sich allein in eine Zelle ein, wo sie, unter der Leitung eines weisen Führers, ihre Zeit mit Handarbeiten, Werken der Abtötung, und verschiedenen Übungen der christlichen Frömmigkeit zubrachte. Ihr Vater, der oft in das Kloster kam, besuchte auch sie, ohne sie zu erkennen, und erhielt wertvolle Weisungen von ihr, die ihm als Leitsterne auf der Bahn des Heils vorleuchteten. Erst auf dem Totenbett erklärte sie ihm, sie sei seine Tochter Euphrosyna, und starb in seinen Armen. Es war im 5. Jahrhundert. Sie hatte achtunddreißig Jahre in der Einsamkeit zugebracht. Paphnutius wurde durch ihr Beispiel so gerührt, dass er sich in dasselbe Kloster zurückzog, wo er noch zehn Jahre in der Zelle seiner Tochter lebte, und im Ruf der Heiligkeit starb. Das Meneologium der Griechen ehrt das Andenken der heiligen Euphrosyna am 25. September. Ihr Name ist aber im Märtyrerbuch und in dem von Evreux am 1. Januar verzeichnet. Ihre Reliquien, die aus Ägypten nach Frankreich gebracht worden sind, werden zu Reaulieu, bei Compiegne, aufbewahrt.
Aus anderer Quelle:
Die heilige Euphrosina
(Im 5. Jahrhundert)
Zu Alexandria in Ägypten wohnte ein frommer Mann, Namens Paphnutius, der da in seiner Ehe keine Kinder erhielt, und sich nebst seinem Eheweib darüber sehr bekümmerte. Beide aber riefen eifrigst Gott an, gaben reichliche Almosen, und gelobten Gott, dass, wenn er sie mit einem Kind erfreuen würde, sie es zu seinem göttlichen Dienst heranziehen wollten. Unterdessen offenbarte er sein Anliegen einem frommen Abt, und empfahl sich ganz demütig in sein eifriges Gebet. Der Prälat nahm ihn mit sich in die Kirche, und sie beteten daselbst mit großer Andacht. Gott der Herr sah ihre Demut an, und erhörte ihre Seufzer vom hohen Himmel herab; denn etliche Tage darauf segnete er die Hausfrau des Paphnutius, und gab ihr zur rechten Zeit ein Töchterlein, welches sie in der heiligen Taufe Euphrosina nannten. Danach verharrte Paphnutius größtenteils in demselben Kloster, und brachte seine Gemahlin samt dem Kindlein dahin, damit sie von dem Abt und von seinen Brüdern den Segen empfingen. Das Töchterlein erwuchs zu großer Freude der Eltern, und ließ in sich eine große Neigung zur Andacht verspüren. Die frommen Eltern hatten eine unaussprechliche Freude an diesem Kind; denn es war gottesfürchtig, und sogleich auch schön und holdselig von Leibesgestalt. Als Euphrosina zwölf Jahre alt war, entschlief ihre Mutter sanft und selig im Herrn. Ihr Vater aber trug eifrige Sorge für sie, und ließ sie im Lesen und Schreiben, wie auch in den nötigen Wissenschaften dieser Welt unterrichten. Sie lernte so fleißig, dass sich ihr Vater über ihren hohen Verstand nicht wenig verwundern musste. Viele vornehme Jünglinge begehrten sie zur Ehe; ihr Vater aber gab ihnen nichts anderes zur Antwort, als diese Worte: „Es geschehe der Wille des Herrn!“ Zuletzt ward sie einem reichen und vornehmen Junker versprochen, welcher sich ganz glücklich schätzte, wenn er diese Jungfrau zur Gemahlin bekommen würde. In ihrem achtzehnten Jahr ging sie nebst ihrem Vater in das erwähnte Kloster, in welches sie reiche Spenden brachte, damit die Patres oder Väter bei Gott fleißig für sie beten möchten. Als sie nun zum Abt des Klosters kamen, sprach der Vater zu ihm: „Ich habe euch, ehrwürdiger Herr, diese meine Tochter, die Frucht eures Gebetes, deswegen hierhergebracht, damit ihr Gott den Herrn für sie anrufen wollet; denn ich werde sie nächster Tage verheiraten.“ Der Prälat befahl, beide in das Gastzimmer zu führen, wo er sie dann segnete, und ihr vieles von der Keuschheit, Demut und Furcht Gottes predigte. Die heilige Jungfrau prägte diese heilsamen Ermahnungen tief ihrem Herzen ein, und gab während der drei Tage, die sie im Kloster mit ihrem Vater verblieb, auf das Tun und Treiben dieser gottseligen Geistlichen die genaueste Acht. Sie hatte ein so inniges Wohlgefallen an dem Beten, Singen und Gottesdienst derselben, dass sie seufzend ausrief: „O wie glückselig sind diese Männer Gottes, die hienieden schon den Engeln gleichen, und nach diesem Leben die ewige Freude und Glorie empfangen!“ Nach drei Tagen, als ihr Vater wieder mit ihr nach Hause zurückkehren wollte, sprach sie zum Abt: „Ich bitte euch, Vater, seid meiner eingedenk in eurem Gebet, auf dass meine Seele für Gott gewonnen werde.“ Der Abt streckte seine Hand über sie aus, und sprach: „O Gott, der du den Menschen erkennst, bevor er zur Welt geboren wird; würdige dich, über diese deine Dienerin Sorge zu tragen, damit sie in die ewige Gesellschaft der Himmels-Bürger gelange.“
Als sie wieder nach Hause kamen, ereignete es sich nicht lange hernach, dass an einem hohen Festtag ihr Vater in das Kloster des Abtes Theodosius eingeladen wurde. Jener Geistliche aber, welcher ihn hierzu berufen musste, kam gerade zu einer ungelegenen Zeit ins Haus; denn der Herr war nicht zu Hause, und musste deshalb eine kleine Weile auf ihn warten. Unterdessen sprach Euphrosina zu diesem frommen Mann: „Ehrwürdiger Pater, wie viele Geistliche befinden sich in eurem Kloster?“ Der Pater antwortete, und sprach: „Dreihundertzweiundfünfzig.“ Sie erwiderte hierauf: „So jemand zu euch kommen wollte, würde ihn euer Abt auch aufnehmen?“ Der Pater entgegnete weiters: „Jawohl, und zwar mit großen Freuden.“ Da sprach sie abermals: „Ich bin Willens, von hinnen zu gehen und in einem Kloster ebenfalls ein so heiliges Leben zu führen; nun aber befürchte ich, meinem Vater ungehorsam zu sein; denn er will mir wegen der vergänglichen Güter dieser Welt einen Mann geben.“ Diesem versetzte der fromme Pater: „Lass nicht geschehen, meine Schwester, dass ein Mensch deinen Leib verunreinige, sondern vermähle dich Christus, welcher dir für die wandelbaren Reichtümer und Wollüste das Himmelreich geben wird. Entwische aber heimlich in das Kloster; und damit dir solches desto sicherer gelinge, so ändere deine Kleidung, und lege einen Ordenshabit an.“ Indem nun diese beiden so vertraulich miteinander unterredeten, kam ihr Vater nach Hause, und sprach freundlich zu ihm: „Herr Pater, warum habt ihr euch zu uns hierherbemüht?“ Der Geistliche antwortete und sprach: „Wir haben in unserem Kloster alljährlich ein Fest, und mein Abt hat mich zu dem Herrn geschickt, dass er sich dahin zu kommen belieben lasse, um alldort den Segen Gottes zu empfangen.“ Der Vater setzte sich unverweilt mit ihm in ein Schifflein, und sie fuhren dem Kloster zu. Die heilige Euphrosina schickte hierauf einen Diener ins Kloster des heiligen Theodosius, mit dem Befehl, denjenigen Geistlichen zu ihr zu berufen, welchen er in der Kirche antreffen würde. Diesen Befehl richtete der Diener treulich aus, und kehrte mit einem frommen Mann wieder nach Hause zurück. Demselben offenbarte nun Euphrosina ihr heiliges Vorhaben, und ließ sich die Haare abschneiden. Nicht lange danach legte sie Mannskleider an, eilte in diesen zum Kloster des heiligen Theodosius, und begehrte die Aufnahme in seinen Orden. Der Abt Theodosius sprach zu ihr: „Sage mir, wie heißt du?“ Sie sprach: „Ich heiße Smaragdus.“ Der Prälat sprach weiter: „Du bist noch gar jung und zart, und kannst in der Einöde nicht allein wohnen; du musst also einen Lehrmeister haben, der dich die Regel lehre und im geistlichen Leben unterweise.“ Smaragdus erwiderte: „Was ihr mir anbefehlt, will ich fleißig verrichten.“ Hierauf nahm sie fünfzig Goldstücke heraus, und gab sie dem Prälaten mit diesen Worten: „Lassen sich Euer Hochwürden belieben, dieses Geld von mir anzunehmen, und wofern ich hier zu verbleiben habe, soll mein ganzes Erbgut dem Kloster zufallen.“ Der Abt nahm das Geld voll des freundlichsten Dankes an, rief einen von seinen Mitbrüdern zu sich, und befahl ihm, diesen (vermeinten) Jüngling in der Kloster-Regel und in aller Gottesfurcht zu unterweisen. Dieser Bruder war ein gar heiliger und der Welt abgestorbener Mann, und führte den Namen Agapitus. Deshalb sprach der Abt zu ihm: „Bruder Agapitus, von nun an soll dieser Bruder Smaragdus euer Sohn und Jünger sein; unterweiset ihn also im geistlichen Leben, dass er seinen Meister an Heiligkeit übertreffe.“ Hierauf begab sich Agapitus nebst seinem Jünger Smaragdus zum Gebet, worauf er ihm den heiligen Ordenshabit anlegte, und eine Zelle einräumte. Er gab ihr auch viele heilsame Ermahnungen, wie sie nämlich in dem heiligen Orden fromm leben und glückselig vollenden möge.
Die heilige Jungfrau fing nun an, Gott dem Herrn ganz inbrünstig zu dienen, und kasteite ihren Leib auf das strengste. Bei Nacht stand sie eilfertig zur Mette auf, sang die Psalmen mit flammender Andacht, und gab allen ihren Mitbrüdern ein vortreffliches Beispiel der Gottseligkeit. Sie war von einer fast unglaublichen Schönheit; darum trieb aber auch der Satan sein Gewerbe, indem er unter den Brüdern unreine Versuchungen wider dieselbe in ihrem Herzen erregte. Der Abt samt allen anderen Mönchen hielten sie für einen verschnittenen Jüngling; doch kam es nicht einem in den Sinn, dass sie eine Jungfrau sein sollte. Der Satan versuchte die Brüder so heftig, dass sich täglich einige von ihnen beim Abt beklagten, warum er einen so zarten Jüngling von so schönem Angesicht, wodurch sie gar hart angefochten würden, ins Kloster eingelassen habe. Weil denn der Prälat täglich solche Klagen vernehmen musste, berief er die heilige Jungfrau zu sich, und sprach zu ihr: „Dein Angesicht ist gar holdselig, Bruder Smaragdus, und du verursachst dadurch unter vielen schwachen Brüdern böse Gedanken. Deshalb ist es mein Wille, dass du in einer Zelle abgesondert lebst, allda dem Herrn deinem Gott psallierst, und von dort nimmer herausgehst.“ Er befahl auch ihrem Lehrmeister Agapitus, dass er ihr eine abgesonderte Zelle zubereite, damit sie daselbst ganz allein in der Einöde wohne und Gott diene. Agapitus verrichtete alles getreulich, wie ihm der Abt befohlen hatte, und führte den Bruder Smaragdus in die abgesonderte Zelle. Da nun die heilige Jungfrau sich in dieser Einöde befand, dankte sie Gott von ganzem Herzen, und fing jetzt noch weit strenger zu leben an, als sie zuvor getan hatte. Denn sie betete ohne Unterlass, fastete überaus lange, wachte gleichsam Tag und Nacht in göttlichen Betrachtungen, und diente Gott in aller Herzens-Einfalt. Ihr frommer Zuchtmeister konnte sich über ihre hohen Tugenden nicht genug verwundern, erzählte den anderen ihre große Heiligkeit, und sie priesen allzumal mit einhelliger Stimme die Barmherzigkeit Gottes, die sich in einer so schwachen Kreatur so sehr verherrlichte.
Paphnutius, der heiligen Euphrosina Vater, ging, als er nach Hause kam, eilends zu dem Zimmer seiner Tochter, um zu sehen, ob sie noch gesund wäre. Als er sie aber nicht mehr daselbst fand, fragte er die Knechte und Mägde, wo seine Tochter hingegangen sei. Die Dienstboten sprachen: Wir haben sie noch gestern gesehen; des Morgens aber ist sie nicht mehr zum Vorschein gekommen. Wir hielten dafür, der Vater ihres Bräutigams habe sie abholen lassen; und deshalb sind wir um sie nicht weiter bekümmert gewesen. Der Vater schickte alsbald in das Haus ihres Bräutigams; allein es hatte sie dort niemand gesehen. Als nun der Bräutigam und dessen Vater dieses vernahmen, betrübten sie sich sehr, kamen zum Paphnutius, und fanden ihn in einem solchen Leidwesen, dass es kaum auszusprechen war. Als die Diener ihre Herren da in solcher Beklommenheit ihres Herzens sahen, setzten sie sich eilends zu Pferd, und ritten die ganze Stadt Alexandria auf und ab. Sie fragten jedermann, ob nicht eine solche Jungfrau wäre gesehen worden; allein niemand konnte ihnen hierüber Nachricht geben. Sie verfügten sich an das Meer, durchsuchten alle Schiffe; nur fanden sie die Jungfrau nicht. Sie durchzogen die Häuser aller Freunde und Bekannten, glaubten sie daselbst anzutreffen; es war aber vergebens. Sie begaben sich in die Klöster der Jungfrauen, forschten mit allem Ernst nach, und fanden sie wieder nicht. Zuletzt durchstreiften sie die Wüsteneien, stiegen in die verborgenen Höhlen und Grüfte, riefen nach ihr mit kläglicher Stimme; und auch da wollte sich nichts regen und bewegen, geschweige denn eine Antwort geben. Als nun Euphrosina nirgends zu finden und zu erfragen war, da entstand ein so erbärmliches Heulen und Wehklagen, nicht bloß unter den Freunden und Verwandten, sondern auch bei allen, die sie je gekannt und von ihren Tugenden gehört hatten. Ihr Bräutigam war überaus betrübt, und ihr Vater gebärdete sich jämmerlich, dass ihn niemand ohne das rührendste Mitleid ansehen konnte. Weil denn also der gute Mann auf dieser Erde keinen Trost mehr wusste, begab er sich in das Kloster des heiligen Theodosius, in welchem sein Töchterlein Euphrosina auf das Eifrigste Gott diente. Als er in seinen Trauerkleidern dahin kam, fiel er dem Abt zu Füßen, und begehrte von ihm ein allgemeines Gebet, damit ihm Gott offenbare, wo seine geliebteste Tochter hingekommen wäre. Als der Abt diesen frommen Mann in so großem Jammer sah, hatte er das innigste Mitleid mit ihm, und versprach, dass er Gott inständigst für ihn bitten wolle. Deshalb berief er alle seine Brüder vor sich, und ermahnte sie mit nachdrucksamen Worten, den Herrn zu bitten, dass er zu offenbaren geruhe, wo die Tochter des frommen Paphnutius sei. Die Kloster-Mönche fingen allzumal an, zu fasten und Gott ohne Unterlass anzurufen; und nachdem sie eine ganze Woche schon in diesem Bußleben hingebracht hatten, wurde dennoch keinem auch nur das Mindeste von Gott kundgetan. Denn man hatte auch der heiligen Euphrosina auferlegt, zu fasten und Gott zu bitten; darum hielt sie gleichfalls acht Tage nach einander unter Gebet und vielen Tränen an, dass Gott ihnen solches nicht offenbaren wolle. Als nun die acht Tage verstrichen waren, und keinem einzigen Pater von Gott etwas eingegeben worden, tröstete der Abt den frommen und betrübten Vater, und sprach: „Mein Sohn, werde nicht zaghaft, sondern wisse: Den der Herr lieb hat, züchtigt er. Und sei versichert, dass, gleichwie ohne Wissen und Willen Gottes nicht einmal ein Sperling vom Dach fällt, ebenso auch und noch weit mehr deiner Tochter kein Übel widerfahren sei; denn ich weiß ganz gewiss, dass sie den besten Teil erwählt hat, der von ihr nicht mehr soll genommen werden; und eben deshalb wollte uns Gott von ihr nichts zu erkennen geben. Ich weiß auch, dass, wenn sie in ein sündhaftes Leben geraten wäre, Gott das strenge Fasten und anhaltende Gebet so vieler Brüder nicht verschmäht, sondern ohne Zweifel etwas von ihr würde verständigt haben. Und ich habe auch die freudigste Zuversicht zu Gott, dass du sie noch vor deinem Absterben mit Augen sehen, und über ihr Wiedersehen frohlocken werdest.“ Als Paphnutius diese tröstlichen Worte hörte, begab er sich zur Ruhe, indem er zuvor noch alles Gott anheimstellte, und ihm für alle Widerwärtigkeiten von Herzen Dank sagte. Er verharrte hernach viel eifriger im Gebet, ergab sich allerlei guten Werken, und tat den Armen Gutes nach seinem besten Vermögen. Etliche Tage darauf kam er wieder in das Kloster, und empfahl sich aufs Neue in das Gebet der Brüder. Er ging auch zu dem Prälaten hin, warf sich ihm zu Füßen, und sprach: „Bittet für mich, Pater, denn ich kann meine Tochter nimmer verschmerzen, vielmehr wird das Herzeleid Tag für Tag in mir reger.“ Als nun der Abt ihn so niedergeschlagen sah, sprach er zu ihm: „Wollet ihr nicht mit einem sehr frommen Bruder reden, welcher aus dem Palast des Kaisers Theodosius zu uns hierhergekommen ist?“ Paphnutius antwortete und sprach: „Dies wäre mir von Herzen lieb.“ Der Abt berief alsdann den Lehrmeister der heiligen Jungfrau und sprach zu ihm: „Agapitus, gehe alsbald mit unserem Vater Paphnutius zur Zelle des Bruders Smaragdus, und führe ihn hinein, auf dass er von demselben getröstet werde.“ Agapitus vollbrachte in hastiger Eile den auferlegten Gehorsam, und führte den Paphnutius in die Zelle des Bruders Smaragdus. Als nun die heilige Jungfrau ihres Vaters ansichtig ward, fing sie bitterlich zu weinen an; jedoch ihr Vater meinte, solches geschehe nur aus Andacht und Herzens-Zerknirschung, und erkannte also seine innigst geliebte Tochter nicht. Denn sie war vor immerwährendem Fasten und durch die strengen Bußwerke ganz eingefallen, und die schöne Gestalt ihres Antlitzes war wegen der vielen Zähren vollends entstellt. Sie bedeckte mit dem Habit ihr Angesicht, so gut sie es vermochte, damit er sie ja nicht erkennen sollte. Bevor ihr Vater ein Wort zu ihr redete, knieten sie beide miteinander nieder, und schickten ein inbrünstiges Gebet zu Gott empor. Nach vollendeter Andacht setzten sie sich nieder, und jetzt fing sie an, von den Freuden des Himmels mit ihm zu reden. Sie erklärte ihm, dass man durch Demut und Keuschheit, durch ein unsträfliches und heiliges Leben, durch Almosen, und besonders durch die christliche Nächstenliebe dahin gelangen könne. Sie predigte ihm auch von der Verachtung dieser Welt, dass man seine Kinder nicht unordentlich lieben soll, und dass Gott dem Herrn, dem Erschaffer des Himmels und der Erde, allein alle Ehre und Verherrlichung gebühre. Als nun die Jungfrau mit ihrem Vater lange geredet hatte, sprach sie zuletzt: „Gott behüte euch, Herr!“ Als ihr Vater aber von ihr scheiden wollte, hatte sie großes Mitleid um ihn, so dass vor kindlicher Liebe ihr Antlitz erbleichte, und ein Tränenstrom über ihre Wangen rollte. Nachdem ihr Leib des überstrengen Fastens, Wachens und Betens wegen völlig abgemagert war, so bekam sie das Blutspeien; weshalb auch ihr Vater über sie herzliches Bedauern hatte. Wie er denn nun wohlgetrost im Herrn war, schied er von ihr, und kam wieder zum Abt, zu dem er sagte: „O wie sehr ist meine Seele durch die Tröstung dieses Bruders in der Gnade Gottes gestärkt worden, und mein Geist hat sich an ihm dermaßen erquickt, als ob ich meine Tochter wieder gefunden hätte.“ Nun empfahl er sich abermals aufs Neue in das Gebet des Abtes und seiner Brüder, und ging dann fröhlichen Mutes seinem Hause zu. Als die Jungfrau allbereits achtunddreißig Jahre in ihrer Zelle heilig durchlebt hatte, fiel sie in eine schwere Krankheit, an der sie auch ihren Geist aufgeben musste.
Eines Tages kam ihr Vater wieder seiner Gewohnheit gemäß, das Kloster zu besuchen, und nach verrichtetem Gebet und gegebenem Gruß sprach er zum Abt: „Vater, wenn Ihr es erlaubt, so will ich wieder den Bruder Smaragdus heimsuchen; denn meine Seele hat großes Verlangen nach ihm.“ Der Abt berief sogleich den Agapitus, und gab ihm den Auftrag, den Paphnutius zum Bruder Smaragdus hinzuführen. Als nun Paphnutius in die Zelle gekommen war, und seine ungekannte Tochter krank darnieder liegen sah, fiel er über sie her, küsste sie unter vielen Tränen, und rief wehklagend aus: „Ach, wehe mir, wo sind nun deine Verheißungen, wo deine süßen Trostworte, Abt Theodosius, der du mir versprochen hast, dass ich noch vor meinem Hinscheiden meine Tochter Euphrosina mit Augen sehen werde. Siehe, ich werde sie nicht allein nicht mehr sehen, sondern du wirst uns auch verlassen, und so werde ich denn gar keinen Trost mehr in dieser Welt haben. Ach, wehe mir, wer wird mich jetzt in meinem Alter trösten? Zu wem soll ich hinfür gehen? Wer wird von nun an mein Helfer sein? Ein zweifaches Elend habe ich jetzt zu beweinen. Es sind bereits 38 Jahre, dass ich meine liebe Tochter verloren habe, und niemand fand sich, der mir nur das Mindeste von ihr geoffenbart hätte. Tag und Nacht habe ich für sie gebetet, und sie noch nicht gefunden; deshalb hat mich unaussprechlicher Gram befallen. Was soll ich ferners hoffen, wo Trost finden? Von nun an will ich heulend sterben, und weinend in die Grube hinuntersteigen.“ Als die Jungfrau sah, wie ihr Vater so bitterlich weinte, sprach sie zu ihm: „Was bekümmerst du dich so sehr, und warum bringst du dich selbst durch übermäßige Betrübnis ums Leben? Ist denn die Hand Gottes nicht mächtig genug, oder ist Gott dem Herrn etwas zu schwer, das er nicht tun könnte? Mache deiner Trauer einmal ein Ende. Erinnere dich, wie Gott der Herr dem Patriarchen Jakob seinen Sohn Joseph, den er schon als tot bitterlich beweint hatte, wieder zugeführt habe. – Verharre nur drei Tage bei mir, ohne jedoch etwas zu reden.“ Dieses sagte ihr der Vater herzlich gerne zu, und dachte innerhalb dieser drei Tage oftmals bei sich selbst: vielleicht hat Gott diesem heiligen Bruder etwas von ihr geoffenbart.
Als nun der dritte Tag angebrochen war, sprach er zu ihr: „Mein lieber Bruder, ich habe hier drei Tage gewartet, wie du von mir begehrt hast, und habe nicht einmal einen Fuß über die Türschwelle gesetzt.“ Weil aber die heilige Euphrosina erkannte, dass die Stunde ihres Abscheidens nicht mehr fern sei, so berief sie ihren Vater zu sich, und sprach zu ihm: „Gott, der Allmächtige, hat meine Armseligkeit wohl und weise verordnet, und mein Verlangen gestillt, welches ich im ritterlichen Kampf bis ans Ende hingebracht habe; nicht aus meiner Kraft, sondern durch Hilfe seiner Gnade hat er mich vor den arglistigen Nachstellungen meiner Feinde behütet und bewahrt. Nach vollendeter Laufbahn ist mir die Krone der Gerechtigkeit hinterlegt, die mir der Herr aus Gnaden mitteilen wird. Von nun an will ich, dass ihr um eurer Tochter Euphrosina willen nicht mehr bekümmert seid; denn ich Armselige bin es, und ihr seid mein leibhaftiger Vater. Ihr habt sie nun gesehen, und es ist eurer Begierde ein Genüge geworden. Sehet zu, dass solches nicht offenbar werde, und seid dafür besorgt, dass nach meinem Tod kein anderer meinen Leib entblöße oder wasche, sondern ihr sollt es selbst allein tun. Und weil ich dem Abt versprochen habe, meine vielen Güter hierher zu bringen, wofern ich ins Kloster aufgenommen würde; so bitte ich, ihr wollet an meiner Statt erfüllen, was ich versprochen habe; denn dies ist ein gar ehrwürdiger Orden, der fleißig für mich betet.“ Nachdem sie solches ausgeredet hatte, gab sie ihren Geist in die Hände ihres Erschaffers, am heiligen Neujahrstag, im Jahr des Herrn 430. Als ihr Vater Paphnutius diese unverhofften Reden vernommen und gesehen hatte, wie sie im Herrn entschlafen war, kehrte sich sein Herz im Leibe um, und all sein Inneres bewegte sich. Vor Bestürzung fiel er zur Erde nieder, und sah mehr einem toten, als lebendigen Menschen gleich. Als dieses Agapitus sah, lief er eilends voller Schrecken hinzu, wusste aber nicht, was da zu tun wäre. Und als er wahrnahm, dass sein Bruder Smaragdus gestorben, und dass auch Paphnutius halb tot auf dem Boden lag, war er vor Schrecken ganz außer sich. Er nahm sogleich frisches Wasser, goss es dem Paphnutius ins Angesicht, hob ihn auf und sprach: „Was ist euch, mein lieber Herr, was ist euch denn?“ Paphnutius antwortete und sprach: „Lasset mich allhier sterben; denn ich habe heute wunderbare Dinge gesehen.“ Kaum hatte er dieses gesagt, stand er eilends auf, fiel über den verstorbenen Bruder Smaragdus her, und weinte so bitterlich, dass selbst die härtesten Felsen Mitleid um ihn getragen haben würden. Er schrie mit dem stärksten Klageruf: „O wehe mir, o wehe mir! O du meine allerliebste Tochter, warum hast du dich mir nicht eher zu erkennen gegeben? O meine Tochter Euphrosina! O Euphrosina, meine Tochter! O wehe mir armen Vater! Nun ist alle Freude und aller Trost dahin. Nun ist meine ganze Hoffnung und all mein Verlangen auf immer verschwunden. Ach, warum hast du, die du so oft mit mir geredet hast, niemals mir das geringste Kennzeichen von dir geben wollen? O wie gerne wollte ich mit dir gelebt haben, und mit dir jetzt gestorben sein! Wehe mir, dass ich dich nicht früher erkannt habe! O wie glorreich hast du alle Nachstellungen deiner Feinde überwunden, und nun dafür den Lohn ewiger Freuden empfangen! Indem der fromme Vater auf diese Weise seine heilige Tochter beweinte, lief Agapitus eilends zum Abt, und sprach zu ihm: „Hochwürdiger Herr Prälat, ich habe heute Wunder über Wunder gesehen.“ Der Abt fragte, was es denn wäre? Der gute Pater vermochte vor Schrecken und Verwunderung kaum zu reden, sagte jedoch zuletzt: „Mein Jünger Smaragdus ist gestorben, und er ist die verlorene Tochter unseres Freundes Paphnutius gewesen. Ihr Vater vergeht gleichsam vor Leid, und ich fürchte sehr, er werde vor zu großer Bekümmernis sterben. Als der Abt diese unglaubliche Nachricht vernahm, eilte er schnell mit ihm zum Leichnam hin, fand den frommen Vater der Euphrosina auf dem Bett liegen, der ein so erbärmliches Leidwesen führte, dass er selbst mit ihm stark weinen musste. Denn man hörte ihn nichts anderes mehr rufen, als „Euphrosina, meine Tochter! O meine liebe Tochter Euphrosina!“ Da fragte ihn der Abt, warum er sich denn gar so kläglich gebärde? Paphnutius aber antwortete und sprach: „Ach, warum soll ich nicht blutige Tränen weinen, da euer Bruder Smaragdus meine liebe Tochter Euphrosina gewesen ist!“ Nun fiel der Abt selbst, in Erwägung dieses so übergroßen Wunders, über den heiligen Leib her, und schrie mit lauter Stimme: „Euphrosina, du Braut Christi und Tochter der Heiligen, vergiss nicht deiner Mitdiener dieses Klosters, sondern bitte für uns den Herrn Jesus Christus, damit wir hienieden ritterlich streiten, und zum Gestade des ewigen Heiles gelangen.“ Danach ließ der Abt alle Geistlichen seines Klosters zusammenberufen, damit dieser heilige Leib mit geziemenden Ehren zu Grabe bestattet würde. Als sie nun versammelt waren, erzählte ihnen der Abt die unerhört große Wundertat, welche Gott der Herr in ihrem Kloster gewirkt hatte.
Unter den Brüdern war ein frommer Mann, der nur ein Auge hatte, und ein großes Vertrauen zur verdienstreichen Fürbitte dieser großen Dienerin Gottes trug. Deshalb nahte er dem heiligen Leichnam, küsste dessen gebenedeites Antlitz mit reichlichen Tränen; und kaum hatte er sie berührt, so ward ihm sein Auge wunderbarer Weise wieder gegeben. Als nun die anwesenden Brüder solches sahen, lobten sie mit einhelliger Stimme Gott den Herrn, und wurden sehr gestärkt. Endlich trugen sie den Leichnam in die Kirche, brachten die üblichen Gebete und Opfer dar, und bestatteten denselben in der Gruft der Väter. Paphnutius aber gab alle seine Güter an das Kloster, trat selbst in den heiligen Orden, und wohnte all die Tage seines Lebens in jener Zelle, in welcher zuvor seine Tochter Euphrosina gewohnt hatte. Er verlebte darauf noch zehn Jahre im Kloster, wo er dann auch im Frieden seinen Geist ausgehaucht hat, und neben seiner Tochter begraben worden ist.