Dieser Gottesmann hatte in seiner Jugend die Gewohnheit, täglich gewisse Gebete zur allerseligsten Jungfrau Maria zu verrichten. Nach und nach geschah es aber, dass er dies bisweilen vergaß, später unterließ er es ganze Wochen lang und endlich ganz und gar. Da erschien ihm einmal Maria in der Nacht im Traum. Er sah, wie sie mit lieblichem Angesicht und in glänzendem Gewand vom Himmel herabstieg, und seinen frommen Mitschülern, die zur Anhörung des Wortes Gottes versammelt waren, sich näherte, einen um den andern auf die freundlichste Weise liebkoste, und ihnen, da sie die geistliche Ermahnung andächtig anhörten, Gnaden einzuflößen schien, damit der Wert des Blutes ihres göttlichen Sohnes bei ihnen nicht verloren gehe. Der junge Thomas wurde durch diesen himmlischen Anblick vor Freude und Bewunderung ganz entzückt, und machte sich die Hoffnung, auch an ihn werde die Reihe kommen und er auf gleiche Weise beglückt werden. Aber da die heilige Jungfrau sich ihm endlich näherte, sah sie ihn mit ernstem Blick an und sprach zu ihm: „Vergebens verlangst du von mir den Kuss heiliger Liebe, bitterer Feind, der du, übel beraten, mit verhasster Lauigkeit die gewohnte Andacht des entflammten Gebetes zu mir nicht mehr erfüllst. Denn wo sind nun deine gewöhnlichen Gebete? Was ist aus deinen üblichen Anmutungen des Herzens geworden, die du von frommen Seufzern begleitet täglich zu mir gerichtet hast? Ist nicht die Liebe in dir erkaltet, der Eifer erstorben und die Andacht erloschen? Und nun gleich als wenn dieses kein Fehler wäre, stehst du da und erwartest von mir mit kecker Stirn Gunstbezeugungen, da du vielmehr Züchtigung verdienst hast.“ Hierauf wandte die Himmelskönigin voll Unwillen ihr Angesicht von ihm ab und sagte: „Geh fort, entferne dich von mir, denn du hast dich meiner Gunstbezeugungen unwürdig gemacht, da du eine so leichte Andacht zu mir vernachlässigst.“
Nach dieser verdienten Zurechtweisung verließ Maria den Bestürzten und kehrte in den Himmel zurück. Thomas erwachte, untersuchte sein Gewissen, erkannte seinen Fehler und fasste den Entschluss, sich zu bessern. Darauf nahm er seine frommen Übungen mit solchem Eifer und so standhaft wieder auf, dass er sie bis an sein Lebensende keinen einzigen Tag mehr unterließ. Er fügt daher dieser Erzählung die Worte bei: „O wie glückselig war diese Zurechtweisung, da sie den Irrtum aufgeklärt, die locker gewordene Bande der Liebe wieder angezogen und den Flecken der Nachlässigkeit weggeschafft hat.
Von 1395 an besuchte er die Schule zu Deventer und im Jahr 1400 wurde er in das Kloster der regulierten Chorherren des heiligen Augustinus auf dem Agnetenberg in der Diözese Utrecht aufgenommen. Im Jahr 1413 empfing er die Priesterweihe. Er starb, nachdem er verbannt und in sein Kloster wieder zurückgerufen und daselbst Subprior geworden war über neunzig Jahre alt am 25. Juli 1471.