Man schreibt Vianney und sagt Wi-a-nä, Johannes Maria Vianney. Wie aber kann ein Mann Maria heißen? Das kommt daher, weil manche Männer, um ihrer Verehrung zur Mutter Gottes auch äußerlich Ausdruck zu geben, ihrem Taufnamen den Namen Maria beifügen. So wissen wir jetzt schon mal, dass Johannes Maria Vianney ein Marienverehrer war.
Geboren ist Johannes Maria Vianney in einem kleinen Bauernhaus, wo er als viertes Kind guter Eltern im Jahr 1786 geboren wurde. Weil nach ihm dann noch mehr Geschwister zur Welt kamen und der Platz in der Wohnung immer enger wurde, musste Johannes sein Bett im Stall neben den Tieren aufstellen.
Am Unterricht an der Schule hat Vianney deswegen nur selten teilnehmen können, weil er den Sommer über das Vieh hüten musste. Daher lernte er auch nur notdürftig das Lesen, Rechnen und Schreiben. Dazu kam der traurige Umstand, dass der Bauernjunge nur wenig begabt war. Den Katechismus wusste er allerdings auswendig, wie er denn sowieso ein frommer Junge war, der beim Viehhüten nicht nur Strümpfe strickte, wie es damals üblich war, sondern auch so manchen Rosenkranz betete, wobei er zwischen den einzelnen Gesätzlein ein Marienlied sang. Mit Leib und Seele, also ganz und gar, war Johannes nämlich der Gottesmutter Maria zugetan. In der Rocktasche trug er eine kleine Marienstatue bei sich. Als er einmal Weinbergsarbeit verrichten musste, die für seine Kräfte allzu schwer war, stellte er die Statue immer fünf Schritte weit vor sich hin. So hackte und schaufelte er gleichsam unter Marias Augen auf sie zu. Da ging ihm die Arbeit so rasch vonstatten, dass er damit früher fertig war als der ältere Bruder mit seinem Anteil. Wie froh war Johannes, dass ihm die liebe Mutter Gottes auch da wieder gut vorangeholfen hatte. Maria hilft eben immer allen, die sich in der Not an sie wenden.
Vianneys Jugend fiel in die böse Zeit der Französischen Revolution. Damals wurde die Religion von Staats wegen abgeschafft; manche erlitten wegen ihres Glaubens Kerker und Tod, und diejenigen, die einen der flüchtigen Priester der Polizei auslieferten, feierte man geradezu als Helden.
Wirkliche Helden dagegen waren die Priester, die in allen möglichen Verkleidungen, als Knechte, Handwerker oder Hausierer, stets gehetzt und in Angst, von Ort zu Ort zogen. Nachts in abgelegenen Feldscheunen oder im Wald unter freiem Himmel feierten sie die heilige Messe, spendeten die Taufe, hörten die Beichte und segneten Ehen ein. Bei einer solchen Gelegenheit erhielt Johannes Vianney in einer Scheune in der Nacht die erste heilige Kommunion. Bei dieser Feier, angeregt durch das Beispiel der mutigen Priester, fasste er den Entschluss, selbst auch Priester zu werden, koste es, was es wolle.
Viel, sehr viel sollte ihn die Ausführung des Planes kosten. Solange die Glaubensverfolgung dauerte, konnte Johannes an das Studieren nicht denken. Und später kam er von Pflug und Rebmesser nicht los. Jahr um Jahr arbeitete er auf dem Hof der Eltern als Knecht ohne Lohn, bis er zwanzigjährig das Studium endlich beginnen konnte. Da jedoch stellte es sich heraus, dass sein Gedächtnis verrostet war. Alles, was er mühevoll lernte, hatte er am folgenden Tag wieder vergessen. Nichts blieb bei ihm hängen, und bei den Prüfungen fiel er regelmäßig durch.
In dieser Not machte der bedauernswerte Student zu Fuß eine Wallfahrt nach einem hundert Kilometer weit entfernten Gnadenbild der Mutter Gottes. Und Maria half ihm auch diesmal wieder. Zwar hatte er es beim Lernen noch nicht leichter, aber er kam wenigstens voran und erhielt schließlich als Dreißigjähriger die Priesterweihe. Es ist nun einmal so, dass alle, die auf die Mutter Gottes ihr Vertrauen setzen, von ihr nicht im Stich gelassen werden.
Über vierzig Jahre hat Vianney dann in dem kleinen Dorf Ars als ein heiliger Priester segensreich gewirkt. Vor allem war er ein begnadeter Beichtvater, der täglich sechszehn Stunden Beichte hörte. Von weither kamen die Leute, nur um sich einmal bei ihm aussprechen zu können. Und wer kam, der musste gewöhnlich acht Tage warten, bis er an der Reihe war. So groß war der Andrang am Beichtstuhl des heiligen Pfarrers von Ars. Und wenn das Holz des Beichtstuhles in der Pfarrkirche zu Ars reden könnte, so würde es von Gnadenwundern ohne Zahl berichten. Von dem heiligen Priester Johannes Vianney ist in der Tat ein unabsehbarer Segen ausgegangen.
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Beim heiligen Pfarrer von Ars
Von P. Beat Ambord, Neue Züricher Nachrichten, 1957
Der Pfarrer von Ars! Das ist sein Seelsorgname. So nannten und nennen ihn alle. Weniger kennt man ihn nach seinem persönlichen Namen: Johannes Baptista Vianney. So steht er beispiellos da im Verschwinden und Versinken von Namen und Person hinter Beruf und Werk: hinter dem Beruf geweihter Hände und hinter dem Werk befreiter Seelen. Darin schon leuchtet Botschaft auf, die Botschaft vom namenlosen Dienst, um dessentwillen alle „den Vater preisen, der im Himmel ist“.
Dreiklang des Weges
Dardilly, Ecully, Ars, das sind die Stätten seines Lebensganges. Dreimal in meinem Leben habe ich diese Stätten aufgesucht, jedes Mal war ich aufs tiefste beeindruckt. Von diesen drei Stätten empfing Vianney, was sie geben konnten: die Anmut irdischer Natur. Sie aber empfingen von ihm, was er geben konnte: die Wirkkraft göttlicher Gnade. Darum liegt über diesen Orten auch eine so heilige Weihe. In steigendem Maß: über Dardilly, das am 8. Mai 1780 seine Geburt erlebte, liegt die Stille unbekannten Werdens; über Ecully, das seine Jugend sah und sein erstes Wirken als Kaplan, erhebt sich das Frührot ringenden Wachsens; über Ars, das staunend die Größe seiner selbstlosen Hingabe erfuhr, steht der Hochglanz abgeklärter Reife.
Von Lyon aus, von der Höhe der Notre-Dame de Fourvière, sah ich die beiden Dörfchen Dardilly und Ecully. Ars kann man von dort aus nicht mehr sehen. Das ist wie ein Symbol: Jugend und erstes Wirken Vianneys können wir menschlich noch erfassen, das Wirken und Wesen des Pfarrers von Ars aber ist menschlichem Schauen verhüllt.
Ich ging nach Dardilly und sah dort sein Geburtshaus. Ich wanderte nach Ecully und sah die Stätte seiner Jugend. Ich pilgerte nach Ars in der Dombes-Hochebene und sah den Wirkplatz seines gnadenvollen Lebens. Wie sind sie so lieblich, diese Orte! Unwillkürlich kam mir das klassische Wort René Bazins in den Sinn: „La douce France!“ Wie sind sie aber auch so weihevoll, diese Stätten! Unwillkürlich fiel mir das jubelnde Wort Jean Jacques Oliers ein: „La douce grâce“! Natur und Gnade haben aus Vianney gemacht, was er war: einen Priester, aus dessen unbarmherziger Lostrennung von allem Irdischen der Glanz der Menschlichkeit leuchtete, aber auch einen Priester, aus dessen unzertrennlicher Hingabe an das Himmlische die Glut zarter Göttlichkeit strahlte.
Die „hohen“ Warten
In Ars sah ich das Kirchlein. Ach, wie ist es klein und eng! Kaum gut hundert Personen finden darin Platz. Wo sind sie denn gewesen, all die Tausende und Tausende, die Jahr um Jahr dorthin gepilgert kamen, aus aller Welt, um den armen Pfarrer zu sehen, zu hören, seine gnadenvolle Güte zu erfahren? Sie traten ein in die unsichtbare Kirche, die er „erbaut“, in die Kirche der Liebe Gottes. Und die Kirche der Liebe Gottes ist ein Raum ohne Grenzen. Weiter schritt ich durch das Kirchlein und erblickte die kleine unförmige Kanzel links oben. Gegenüber, auf der rechten Seite, steht, kaum erhöht über den ausgeknieten Bänken, sein eckiges Christenlehrpult. Das waren also die hohen Warten, von denen aus er unwiderstehlich das Wort Gottes verkündete: menschlich unförmig und eckig, unter vielen Nachtwachen und angstvoller seelischer Pein gestaltet, aber göttlich durchwärmt und erfüllt, strömend aus einem Herzen, das nichts kannte und liebte als Gott und die Seelen. Hinter seinem Wort stand das Beten, das Fasten, das Almosengeben, das Vorbereiten, das „öde war wie eine Wüste und hart wie ein Todeskampf“. Hinter seinem Wort stand sein vom Gottesgeist durchstrahltes Herz. Er hat sein Geheimnis selbst ausgesprochen in einem seiner Kanzelworte: „Ohne den Heiligen Geist sind wir wie Steine am Wegesrand. Nehmt in die eine Hand einen mit Wasser gefüllten Schwamm und in die andere einen Kieselstein und drückt auf beide. Aus dem Kiesel wird nichts herauskommen, aber aus dem Schwamm fließt das Wasser in Fülle.“ Seine menschliche Begabung war hart wie ein Kieselstein, seine göttliche Begnadung mild und schwer und voll wie ein ins Wasser getauchter Schwamm.
Das schweigsame „Holz“
Nun ging ich in die Sakristei. Rechts vorn ist der Eingang. Sie ist nur ein kleiner Winkel; mit drei, vier Schritten hat man sie durchmessen. An dieser Stätte hat der Pfarrer von Ars nächtelang gebetet und gearbeitet an seinen Predigten und Christenlehren. An dieser Stätte hat er gerungen mit dem Dämon, der mit aller Gewalt gegen seinen heiligen Widersacher anstürmte. Hier sah ich auch den Beichtstuhl, ein armseliges Holzgestell. Was könnte es alles erzählen! Die Geheimnisse von Schuld und Sühne Tausender nahm dieses Holz geduldig in sich auf, schweigend sie hineinversenkend in jenes andere Holz, in das Kreuzesholz von Golgotha. Der sichtbare Mittler dieses sakramentalen Austausches aber war der heilige Pfarrer von Ars mit seinen großen gütigen Augen und seinem milden, verstehenden Herzen. Seiner Liebe war die Gnade geschenkt, selbst in die verhärtetsten Herzen hineinzuleuchten und darin die geheimsten Fehler der Sünder zu schauen, sie ihnen aufzudecken, ehe sie zu reden begannen. Tagelang hörte er Beicht, oft bis zu achtzehn Stunden hintereinander. Man hat ihn nicht umsonst den „Märtyrer des Beichtstuhls“ genannt. Wie gerne wäre auch ich zu seinen Füßen gewesen; so oft habe ich mich wenigstens wortlos hineingekniet in dieses geheiligte Holzgestühl.
„Antennen“ des Himmels
Nun verließ ich das Kirchlein. Ich wollte zum Wohnhaus des Heiligen. Auf dem Weg dahin kam ich an dem Altar der heiligen Philomena vorbei, der Schutzpatronin des Pfarrers von Ars, auf deren Fürbitte hin er viele Wunder gewirkt hat und die er kindlich fromm verehrte.
Was mag ihn wohl zu dieser (historisch wenig dokumentierten) Heiligen hingezogen haben? Von ihrem Leben wissen wir ja nur, dass sie eine Märtyrin der ersten christlichen Jahrhunderte gewesen ist, vielleicht ist sie nur die „Unbekannte Märtyrin“ (wie wir vom „Unbekannten Soldaten“ sprechen). Erst 1803 hat man sie entdeckt. Ihre ganze Lebensbeschreibung sind drei Worte bloß – mit Mennige auf Ziegelsteine geschrieben, die ihre Ruhestätte in der Priszillakatakombe zu Rom verschlossen: Pax tecum Filumeny!“ Das gerade war es; die Verborgenheit und Verlorenheit dieser Heiligen in der göttlichen Pax hatte es dem Pfarrer von Ars angetan. Darin klangen ihm Verwandtschaftstöne mit seiner Seele auf, die unaufhaltsam nach Vergessenheit und Versunkenheit vor dieser Welt dürstete, in der er sich als völlig nutzloser Knecht fühlte und vor der er dreimal die Flucht ergriff, aus der Pfarrei weg. Mit Mühe konnte man ihn zurückbringen.
Der neue Lebensbaum
Nun betrat ich den kleinen Gartenhof des Wohnhauses. Zwei Bäume stehen in diesem Gärtchen. Der eine ist alt und knorrig, beständig am Zerfallen. Der andere ist jung und stark, steilgerade in die Höhe wachsend, den der heilige Pfarrer von Ars, wie überliefert wird, selbst gepflanzt hat. Das ist ein Symbol für das Ars vor Vianney und das Ars nach Vianney. Als er die Ortschaft betrat, war alles morsch und faul, stetig am Zusammenbrechen. Dann aber hat er das Reich Gottes wieder aufgerichtet in seiner Gemeinde, den Keim gelegt zu einem neuen, göttlichen Lebensbaum. Und das „Senfkörnlein“ wuchs zu einem Baum heran, hochragend zum Himmel, und in aller Welt und zu aller Zeit wird man sich labend erfreuen an seinen Früchten.
Der „Komfort“ eines Heiligen
Durch eine enge Wendeltreppe gelangt man in den ersten Stock des Hauses. Zwei kleine Zimmer sah ich da. In dem einen sind die kirchlichen Gebrauchsgegenstände, die der heilige Pfarrer in seinem Leben benützte. Das andere Zimmer beherbergt die persönlichen Habseligkeiten des Heiligen. Dieses Zimmer ist noch so erhalten, wie er es am Todestag verließ. Arm ist es, furchtbar arm! Auf dem einfachen Tisch steht ein Essgeschirr, das er kurz vor dem Sterben noch gebraucht hatte. Irgendwo in einer Ecke sah ich ein Paar hohe ausgetretene Schuhe. Nicht so arm aber war allem Anschein nach seine Bibliothek. Aus einem ziemlich geräumigen Schrank zeigten sich die Rücken alter, großer Folianten und neuerer Bücher. Gern hätte ich etwas herumgestöbert in diesen Schriften. Aber eine dicke Kordel sperrte den Weg zu weiterem Vordringen ins Zimmer ab. In diesem Raum hat er gebetet. Sein Beten war noch großes Beten. Nachts um zwei Uhr stand er auf, betete die Matutin und Laudes. Um vier Uhr ging er ins Kirchlein. Erst gegen Mittag kehrte er zurück. In diesem Zimmer hat er gefastet. Er aß nur ganz wenig. Seine Hauptnahrung bestand aus Kartoffeln, die er für eine ganze Woche selbst im voraus kochte. Zu den Fasten kamen die körperlichen Leiden, Schwindelanfälle, grausame Zahnschmerzen. Furchtbar waren seine Kasteiungen. In seinen persönlichen Bedürfnissen war er ganz anspruchslos. Er erfüllte buchstäblich das Wort des Herrn von dem einen Rock: er besaß nur eine Soutane. Alles, was er an Gaben erhielt, verteilte er unter die Armen oder verwandte es für seine karitativen Werke, besonders für sein Mädchenwaisenhaus und seine Mädchenschule, zwei Gründungen, denen er den Namen „Providentia“ gab. In diesem ärmlichen Zimmer empfing er auch die hohen Besuche von Kardinälen wie Bonald, Bischöfen wie Dupanloup, Predigern wie Lacordaire. Sein Bischof überreichte ihm das Domherrenmäntelchen. Er trug es einen kurzen Tag lang, um den Bischof nicht zu beleidigen. Dann setzte er den ungefähren Preis, 50 Francs, fest, verkaufte es und gab den Erlös den Armen. Dem Kreuz der Ehrenlegion, das ihm der Kaiser überbringen ließ, maß er keinen Wert bei; denn es brachte ihm nichts ein für seine Armen. So lebte er in restloser Selbstvergessenheit und Selbstaufreibung nur für die anderen. Menschliche Klugheit steht hier vor einem Rätsel. Er aber lebte nach den Gesetzen der „Torheit“ Gottes. Hätte er all das nicht getan, wir hätten keinen heiligen Pfarrer von Ars. Es muss Menschen geben, die sich gleichsam sinnlos zerbrechen wie eine Magdalenen-Alabasterschale. Und wir dürfen nicht fragen: wozu diese Verschwendung? Von ihrem Duft ist das ganze Haus der Kirche Gottes erfüllt.
Das Siegel Gottes
Jetzt erst betrat ich die Basilika, einen großen, kuppeligen Rundbau. Man hat sie so gebaut, dass das kleine Kirchlein wie der Vorhof den Eingang zur Basilika bildet. Sie lebt von diesem Kirchlein und ist das Symbol der großen, weiten Liebe des heiligen Pfarrers. Am Altar, der seinen Leib birgt, feierte ich die Messe, mit dem Kelch, den der Heilige einst selber täglich benützt hatte. Welch eine heilige Weihe liegt über solch einer Stunde! Sein Leben war eine große heilige Messe: eine stete Opferung, eine immerwährende Wandlung, eine ständige Kommunion. Durch den Glasschrein leuchtete seine zarte, ausgemergelte, aber tief verklärte Gestalt. Und es ist, als ob sein Blick die heilige Handlung immerdar begleite. Sein toter Mund scheint noch zu sprechen: Golgotha ist das Geheimnis der Welt.
Von ferne grüße ich noch einmal die herrliche Basilika mit dem armseligen Kirchlein davor! Heiliges Ars, wie bist du beglückend! Du kündest – wenn es erlaubt ist, deinen Namen so zu deuten – eine Kunst, die größte Kunst, die Kunst der Liebe Gottes.