Seliger Abgar V. von Edessa, König, + um 50 – Gedenktag: 20. Juni

 

Abgarus, König zu Edessa

Im Land Mesopotamia,

Sandte an Jesus Christus hin

Diesen Brief mit frommem Sinn:

 

„Abgar, Sohn des Eucharia,

Entbeut dem guten Arzt allda

Bei Jerusalem, Jesus genannt,

Lieben Gruß mit eigener Hand.

 

Wisse, dass ich gar viel vernahm

Von Zeichen, groß und wundersam,

Die du an Kranken und Siechen tatest.

Man sagt, dass du die Armen beratest

Ohne einige Arzenei,

Nur durch dein Wort kräftig und frei.

Draus muss ich schließen, dass du seist

Ein Gott, oder von Gottes Geist

Ein Sohn, vom Himmel herab gekommen,

Dies zu tun zu der Menschen Frommen.

Drum bitt` ich dich gar inniglich:

Bemüh` dich zu mir! Heile mich!

An einem Siechtum muss ich leiden,

Davon kein Arzt mich konnte scheiden.

Ich hörte, dass dir feindgesinnt

Und gram die bösen Juden sind,

Und dir nach deinem Leben trachten.

Drum komm zu mir! Nicht zu verachten

Ist meine Stadt, klein aber fest,

Die dir kein Leid zufügen lässt.

So sollst du hier mit mir zugleich

König sein über mein Reich.“

 

Darauf gab der Herr Jesus Christ

Diese Antwort in kurzer Frist:

„Selig bist du, Abgarus, traun,

Der du glaubst, ohne zu schau`n,

Indes ungläubig die Sehenden blieben,

Wie die Propheten haben geschrieben.

Doch dass ich deiner Bitte gewähre,

Steht nicht bei mir. Zu Gottes Ehre

Muss ich allhier mein Werk vollbringen,

Mich dann zum Himmel emporzuschwingen.

Wird ich von der Erde erhöhet sein,

Dann send ich dir den Jünger mein,

Der dich gesund und Heiles voll

An Leib und Seele machen soll.“

 

Als Abgar diesen Brief empfing,

Da wollte er vor allem Ding

Des guten Heilands Bildnis haben.

Er ließ drum einen Maler traben

Ins Judenland, dass er getreu

Abmale Jesu Konterfei.

Der Maler aber vermochte nicht

In Jesu leuchtendes Angesicht

Lange zu schauen ungeblendet;

So hätt` er nie sein Werk vollendet,

Wenn Jesus nicht, gar mitleidsam,

Endlich des Malers Leinwand nahm

Und sein Antlitz darein drückte;

Und sogleich sah der entzückte

Maler herrlich und gar schön

Das Bild darauf vollendet stehn:

Länglich war das Angesicht,

Die Augen scharfschauend und licht

Mit schön gebogenen Brauen,

fein geziert zu schauen;

Die Haltung war nach vorn geneigt,

Wie eines, der einen Berg besteigt.

 

Der Maler reiste unverwandt

Mit diesem Bild in Abgars Land

Und ward von ihm gut aufgenommen.

Was weiter mit dem frommen

Könige geschehen,

Das sollt ihr später sehen,

Wenn ich euch berichte

Des Judas Thaddäus Geschichte.

 

(Siehe Simon und Judas - 28. Oktober)

 

(Aus. „Goldene Legende der Heiligen“

von Joachim und Anna bis auf Constantin den Großen

neu erzählt, geordnet und gedichtet von

Richard von Kralik, 1902)

 

Edgar Hennecke, Neutestamentliche Apokryphen, 1970:

 

Inhalt der Abgarsage ist der Briefwechsel Jesu mit dem König Abgar V. Ukkama (= der Schwarze) von Edessa (9-46 n. Chr.) und die dadurch herbeigeführte Gründung der edessenischen Kirche. Der König hat von den Wunderheilungen Jesu gehört, wendet sich brieflich an ihn, bekennt sich zu seiner Gottheit und bittet um Befreiung von der ihn quälenden Krankheit. Zugleich bietet er Jesus im Hinblick auf die Feindseligkeit der Juden seine Stadt als sicheren Wohnort an. Jesus antwortet gleichfalls durch ein Schreiben. Er preist den König selig, weil er glaubt, ohne gesehen zu haben. Die Einladung muss er ablehnen, da er Beruf und irdisches Dasein in Palästina zu erfüllen habe. Jedoch nach seinem Tod und Heimgang werde ein Jünger kommen, der den König heilen und ihm und den Seinen das Leben bringen solle. Das geschieht dann durch Sendung und Wirksamkeit des Apostels Thaddäus oder Addai, der durch Heilung und Predigt Edessa dem Christentum gewinnt.

 

Diese Geschichte begegnet uns erstmalig bei Eusebius, der nachdrücklich betont, sie aus dem Archiv von Edessa zu haben, wo sie in syrischer Sprache aufgezeichnet läge. Das seit Abgars Regierung im Archiv der Stadt aufbewahrte Dokument wäre ihm zugänglich gemacht und von ihm in wörtlicher Übertragung der Kirchengeschichte einverleibt worden. Von diesem, angeblich seit Jahrhunderten im Schutz des edessenischen Archivs ruhenden Bericht mit seinem hochheiligen Kernstück findet sich freilich in der voreusebianischen Zeit keine Spur, auch nicht in Edessa selbst, wo noch Ephraem (+ 373), der die Bekehrung der Stadt in rednerischem Überschwang preist, zwar den Apostel Addai erwähnt, jedoch von dem Briefwechsel nichts verlauten lässt. Erst in der Doctrina Addai, einem um 400 in Edessa verfassten syrischen Buch, kehrt der aus Eusebius bekannte Stoff wieder, allerdings jetzt erheblich vermehrt, unter anderem durch eine ausführliche Darstellung der Tätigkeit des apostolischen Sendboten, der in Edessa predigt, tauft und die erste Kirche baut. Etwa zur gleichen Zeit bezeugt die abendländische Pilgerin Ätheria die Bekanntschaft ihrer Heimat mit der Abgarsage. Augustinus und Hieronymus versicherten, Jesus habe nichts Schriftliches hinterlassen. Und das mag dazu geführt haben, dass das Decretum Gelasianum den Briefwechsel für apokryph erklärt hat.

Geschadet hat ihm das so wenig wie da und dort bei Theologen auftauchende Zweifel. Die Legende genießt weiteste Verbreitung auf dem syrischen, armenischen, griechischen, lateinischen, arabischen, persischen, slawischen und koptischen Sprachgebiet. Dabei findet bald die Sage als Ganzes Pflege und Weiterentwicklung, z.B. in den griechischen Thaddäusakten des 6. Jahrhunderts oder bei den Armeniern unter dem Namen des Moses von Khoren gehenden Historia Armeniae, um 700, usw.

 

Schon früh hat man sich unter den Schutz der hochheiligen Schriftstücke gestellt. So berichtet der Bischof von Edessa der Ätheria, Abgar und mancher andere nach ihm habe, wenn eine Belagerung drohte, den Brief Jesu ans Tor gebracht, dort verlesen und sofort hätten sich die Feinde zerstreut. Später haben die Edessener darum das kostbare Dokument in Abschrift an den Stadttoren befestigt. Wohl aus dem gleichen Gefühl der Hilfsbedürftigkeit heraus wurde der Brief – und bald auch außerhalb Edessas – in Stein gemeißelt (Höhleninschrift von Edessa mit dem Brief Jesu an Abgar; Türaufschrift in Ephesus etc.) und auf Papyrusblätter oder Ostraka (griechische Fragmente aus dem 4./5. Jahrhundert) geschrieben. Wer eine Kopie besaß, konnte sich vor Gericht, auf Reisen, gegen Krankheit und Unfälle gesichert fühlen.

 

Die älteste Form der Abgarsage, die hier mitgeteilt werden soll, ist erhalten in der Kirchengeschichte des Eusebius. Der Kirchenvater berichtet zunächst, bringt dann die Belege bei, um wiederum zum Bericht zurückzukehren. Nach einer kurzen Zusammenfassung des Gesamtinhaltes leitet Eusebius zum Wortlaut der beiden Briefe mit folgenden Sätzen über:

 

Man hat dafür ein schriftliches Zeugnis, das dem Archiv von Edessa, einer Stadt, die damals noch von einem König regiert wurde, entnommen worden ist. Denn in den dort befindlichen öffentlichen Akten, die unter anderen Begebenheiten aus alter Zeit auch die Erlebnisse des Abgar enthalten, wird auch dieses von seiner Zeit an bis zur Gegenwart aufbewahrt gefunden. Am besten ist es wohl, die Briefe selbst zu hören, die wir aus dem Archiv empfangen und auf folgende Weise wörtlich aus der syrischen Sprache übersetzt haben.

 

Abschrift des Briefes, der von dem Toparchen Abgar an Jesus geschrieben und ihm durch den Eilboten Ananias nach Jerusalem gesandt worden ist:

 

„Der Toparch Abgar Uchama entbietet Jesus, dem guten Heiland, der in der Ortschaft Jerusalem erschienen ist, seinen Gruß! Ich habe von dir und deinen Heilungen gehört, dass sie nämlich ohne Arzneimittel und Kräuter von dir vollbracht werden. Denn wie die Rede geht, machst du Blinde sehend, Lahme gehend und reinigst Aussätzige und treibst unreine Geister und Dämonen aus und heilst die von langer Krankheit Gepeinigten und weckst Tote auf. Und als ich dieses alles über dich hörte, erwog ich, dass du entweder Gott selber und vom Himmel herabgekommen bist, um es zu tun, oder Gottes Sohn bist, wenn du es tust. Deshalb nun schreibe ich und bitte dich, dich zu mir zu bemühen und das Leiden, das ich habe, zu heilen. Habe ich doch auch gehört, dass die Juden gegen dich murren und dir Übles antun wollen. Ich habe eine Stadt, zwar recht klein, aber würdig, die für uns beide ausreicht.“

 

Was von Jesus durch den Eilboten Ananias dem Toparchen Abgar erwidert worden ist:

 

„Selig bist du, der du an mich geglaubt hast, ohne mich gesehen zu haben. Denn es steht über mich geschrieben, dass die, die mich gesehen haben, nicht an mich glauben werden, und dass gerade die, die mich nicht gesehen haben, glauben und leben sollen. Was aber das anbetrifft, was du mir geschrieben hast, zu dir zu kommen, so ist es nötig, alles, um deswillen ich gesandt bin, hier zu erfüllen und nach solcher Erfüllung hier aufgenommen zu werden zu dem, der mich gesandt hat. Und wenn ich hier aufgenommen worden bin, werde ich dir einen meiner Jünger senden, damit er dein Leiden heile und Leben übermittle dir und den Deinen.“

 

Diesen Briefen war aber auch noch das Folgende in syrischer Sprache angehängt:

 

„Nach der Himmelfahrt Jesu aber sandte ihm Judas, der auch Thomas heißt, den Apostel Thaddäus, einen der Siebzig. Der kam und wohnte bei Tobias, dem Sohn des Tobias. Als man aber von ihm hörte, meldete man dem Abgar: Ein Apostel Jesu ist hier angekommen, so wie er dir geschrieben hat. Da begann nun Thaddäus in der Kraft Gottes alle Krankheit und Schwäche zu heilen, so dass sich alle wunderten. Als aber Abgar die Großtaten und die Wunderdinge, die er verrichtete, erfuhr, und wie er heilte, da kam er auf die Vermutung: der ist es, von dem Jesus schrieb: Wenn ich hinaufgenommen worden bin, werde ich dir einen meiner Jünger senden, welcher dein Leiden heilen wird. Er ließ also den Tobias kommen, bei dem er wohnte, und sprach: Ich habe gehört, dass ein machtvoller Mann gekommen ist und in deinem Haus Wohnung genommen hat. Führe ihn zu mir! Tobias aber kam zu Thaddäus und sprach zu ihm: Der Toparch Abgar hat mich kommen lassen und mich angewiesen, dich zu ihm zu führen, damit du ihn heilst. Und Thaddäus sagte: Ich gehe hin, da ich ja mit Macht ausgestattet zu ihm gesandt worden bin.

 

Am folgenden Tag machte sich nun Tobias in der Frühe auf, nahm den Thaddäus mit und kam zu Abgar. Als er aber hingekommen war, da wurde in Gegenwart von dessen dastehenden Würdenträgern gleich bei seinem Eintritt dem Abgar eine außerordentliche Erscheinung im Antlitz des Apostels Thaddäus sichtbar. Als Abgar das sah, fiel er vor Thaddäus nieder, und Staunen ergriff alle, die herumstanden; denn sie hatten die Erscheinung nicht gesehen, die allein dem Abgar sichtbar geworden war. Der fragte denn auch den Thaddäus: Bist du wirklich ein Jünger Jesu, des Sohnes Gottes, der zu mir gesagt hat: Ich will dir einen meiner Jünger senden, der dich heilen und dir Leben darreichen wird? Und Thaddäus sagte: Weil du fest geglaubt hast an den, der mich gesandt hat, deshalb bin ich zu dir gesandt worden; und ferner, wenn du an ihn glaubst, werden dir, wie du nur glaubst, die Wünsche deines Herzens erfüllt werden. Und Abgar sprach zu ihm: Mein Glaube an ihn war derart, dass ich sogar die Juden, die ihn gekreuzigt haben, mit Heeresaufgebot hätte vernichten wollen, wenn ich nicht durch die Römerherrschaft daran gehindert worden wäre. Und Thaddäus sagte: Unser Herr hat den Willen seines Vaters erfüllt; und nachdem er ihn erfüllt hatte, ist er hinaufgenommen worden zum Vater. Abgar sagte zu ihm: Auch ich glaube an ihn und an seinen Vater. Und Thaddäus sagte: Deshalb lege ich meine Hand auf dich in seinem Namen. Und als er dies getan hatte, wurde er alsbald geheilt von der Krankheit und dem Leiden, das er hatte. Und es staunte Abgar, dass er so, wie er über Jesus gehört hatte, so auch in Werken erfuhr durch seinen Jünger Thaddäus, der ihn ohne Arzneimittel und Kräuter heilte, und nicht ihn allein, sondern auch Abdus, den Sohn des Abdus, der Podagra hatte. Der kam gleichfalls, fiel hm zu Füßen und wurde durch Gebete mit Handauflegung geheilt. Und viele andere ihrer Mitbürger heilte er ebenso, indem er wunderbare Großtaten verrichtete und das Wort Gottes verkündete. Danach aber sagte Abgar: Thaddäus, das tust du mit Gottes Kraft, und wir unsererseits sind in Verwunderung geraten. Aber ich bitte dich noch weiter, erzähle mir vom Kommen Jesu, wie es sich zutrug, und von seiner Kraft, und in was für einer Kraft er alles das vollführte, was mir zu Ohren gekommen ist. Und Thaddäus sagte: Jetzt werde ich zwar schweigen, da ich zur öffentlichen Verkündigung des Wortes gesandt bin, morgen aber berufe mir alle deine Bürger zur Volksversammlung, und vor ihnen werde ich predigen und in ihnen das Wort des Lebens säen, über das Kommen Jesu, wie es sich zutrug, und über seine Sendung, und weswegen er vom Vater gesandt wurde, und über seine Kraft und Werke und die Geheimnisse, die er in der Welt geredet hat, und durch was für eine Kraft er das vollführte, und über seine neue Verkündigung, und über die Kleinheit und über die Erniedrigung, und wie er sich erniedrigt hat und seine Gottheit abgelegt und klein gemacht hat und gekreuzigt worden und hinabgestiegen ist in den Hades und den von Ewigkeit her unzerbrochenen Zaun durchbrochen hat und Tote auferweckte, und allein hinabgestiegen ist, hinaufgestiegen aber mit einer großen Menge zu seinem Vater.

 

Da gab Abgar den Befehl, es sollten sich am kommenden Morgen seine Bürger versammeln und die Predigt des Thaddäus anhören; und darauf ordnete er an, ihm ungemünztes Gold zu geben. Der aber nahm es nicht an mit den Worten: Wenn wir unser Eigentum verlassen haben, wie sollten wir dann das fremde nehmen?

 

Dies geschah im Jahr 340.“ (= 28/29 n. Chr.)

Das Ganze klingt aus mit den Worten des Eusebius:

 

„Diese zum Nutzen wörtlich aus dem Syrischen übersetzte Geschichte mag hier an ihrer richtigen Stelle stehen.“