Am 29. Juni 1867 wurde in Rom in hochfeierlicher Weise ein armes Dienstmädchen (es stand als Hirtin bei einem Bauern in Frankreich in Dienst) unter großen Festlichkeiten heiliggesprochen. Es war das heilige Hirtenmädchen Germana Cousin (französischer Name: Germaine). 46 Kardinäle, 500 Erzbischöfe und Bischöfe wohnten in der Peterskirche, die von 15000 Lichtern beleuchtet war, unter Teilnahme von 54000 Gläubigen dieser Feier bei. Als der Papst von seinem Thron aus nach der Heiligsprechung das Tedeum anstimmte, fingen in allen 300 Kirchen Roms mehr als 1000 Glocken zu läuten an und die Kanonen der Engelsburg verkündeten der Ewigen Stadt, dass eine arme Magd der höchsten Auszeichnungen gewürdigt wurde, dass sie von der Kirche auf die Altäre als Heilige erhoben worden ist.
Die Heilige, der in dieser Weise die höchste Ehre zuteil geworden ist und die Gott selbst noch immer ehrt durch Wunderwerke auf ihre Fürbitte, wer ist sie gewesen? Sie war eine ganz arme Hirtin! Aber was hat diese armselige Hirtin nun Großes getan, dass sie von Gott und der Kirche so hoch erhoben worden ist und von so vielen Katholiken schon seit vierhundert Jahren verehrt wird? Sie ist arm gewesen, hat also keine Spitäler bauen, Kirchen errichten, Waisenhäuser stiften können. Sie konnte nicht lesen, nicht schreiben, sie konnte also nicht durch Predigten, religiöse Schriften und Missionstätigkeit bei den Heiden das Christentum verbreiten. Sie war selbst krank, konnte also nicht, wie eine Barmherzige Schwester, sich dem Krankendienst hingeben; sie war im Dorf wie die allergeringste Person für nichts geachtet, sie konnte daher nicht durch ihr Ansehen auf viele Menschen Einfluss üben und der Gemeinde oder dem Vaterland nützlich sein. Sie hat auch nicht lange genug gelebt, um vor der Welt Bedeutendes zu leisten. Warum hat dennoch Gott die Germana so hoch erhoben? Es war ihre lebenslängliche Unschuld, ihre tiefste Demut, ihre Liebe zu Gott, ihre Nächstenliebe und Geduld in den Leiden mit ihrem kranken Leib und bei den gröbsten Beleidigungen und Misshandlungen der Menschen.
Dies war es, warum Gott das armselige Hirtenmädchen so hoch erhoben hat, gemäß des Wortes der Heiligen Schrift: „Gott widersteht dem Hochmütigen, dem Demütigen aber schenkt er seine Gnade.“ Dieses Mädchen hat niemals eine schöne Musik gehört, niemals etwas Schönes gesehen, was die menschliche Kunst hervorbringt, niemals die Liebe oder Freundschaft anderer Menschen gehabt, niemals eine gute Speise oder Trank genossen, niemals das Wohlgefühl der Gesundheit gehabt. Die Erde, die Menschen und der eigene Leib haben der unschuldigen Seele nur Leid und Not gebracht. In allen Ländern der Erde wird es kaum eine erwachsene Person geben, die mit einer sündenreinen Seele so vollkommen bis an das Ende des Lebens das dreifache Kreuz Christi ihm nachgetragen hat: Armut, Verachtung und Schmerz. Dieses verkrüppelte, bettelhaft gekleidete, oft hungrige und frierende Mädchen, das oft nicht einmal in einer menschlichen Wohnung übernachten durfte, dieses Mädchen ist die besondere Braut Christi geworden, eben weil sie ihrem Vorbild verwandt und vermählt wurde in Armut, Verachtung und Schmerz. Hat sie auf Erden die Leiden mit ihrem Bräutigam getragen, so hat sie nun auch teil an seiner Herrlichkeit und sie wird ihn begleiten dürfen, wenn er in der Majestät seines Vaters wieder kommen wird, zu richten die lebendigen und die Toten.
„Heilige Germana, du Schutzpatronin aller gedemütigten, verachteten und gequälten Menschen, bitte für mich, dass auch ich auf den Wegen der Demut gehe und einst mein ewiges Ziel erreiche!“ So möchte ich am liebsten nach dieser Heiligsprechung immer wieder beten! Es ist und bleibt eben ewig wahr: Das Niedere, das Kleine, das Demütige, hat Gott auserwählt, um das Große, vor der Welt Prunkende, das Stolze zu beschämen. Germana hat sich erniedrigt, sie war die demütigste Magd von allen, darum ist sie erhöht worden. Und jeder von uns, der in seinem Stand demütig bleibt und voll Bescheidenheit das Kreuz seines Lebens und der Arbeit geduldig erträgt und getreu seine Pflichten erfüllt, hat Anspruch darauf, in der anderen Welt, im Himmel, der nicht bloß ein paar kurze Jährlein dauert wie dieses mühselige Erdenleben, sondern ewig, erhöht zu werden. Solch ein stilles, verborgenes Veilchen wie Germana sollen auch wir sein, anspruchslos, bescheiden, gegen jedes Vordrängen, gegen jede vorlaute Rede, gegen jede Eitelkeit und jeden Stolz. Heilige Germana Cousin, bitte für uns!