Der Volksheilige von Genua
Am 9. Dezember 1962 sprach Papst Johannes XXIII. den Kapuzinerbruder Francesco Maria von Camporosso heilig. Aber schon vor 160 Jahren, als der demütige Kapuziner noch bettelnd durch die Gassen des Genueser Hafenviertels schritt, betrachtete das Volk ihn als einen Heiligen. Als den „Heiligen“ kannten ihn damals schon die Seeleute der ganzen Welt. Und die Kirche, in der seine sterblichen Überreste in einem Glassarg zur Verehrung ausgestellt sind, hieß einfach die Kirche des Heiligen. Niemand fragte danach, ob dieser Kapuzinerbruder nun tatsächlich heiliggesprochen sei oder nicht. Für die Genuesen war er es ganz einfach. Die Verehrung des schlichten Kapuziners wurde in den Genueser Familien von den Eltern auf die Kinder vererbt. Als er seinerzeit im Friedhof von Staglieno beigesetzt worden war, hatten die Bewohner des Hafenviertels und die Seeleute spontan einen Marmorstein gestiftet als ersten Beitrag zu einem Denkmal, für das das Geld durch eine Volkssammlung erbracht wurde, bei der niemand mehr als 5 Centesimi geben durfte. Dennoch war die erforderliche Summe innerhalb weniger Tage beisammen.
Zwei Wunder
Den entscheidenden Anstoß für die Liebe der Genuesen zu dem bettelnden Kapuzinerbruder gab ohne Zweifel dessen tiefe Demut. In seiner stillen Bescheidenheit zog er es vor, lieber Gutes zu tun, als viel zu reden. Und diese Tugend, die ihn einst so populär gemacht hatte, war auch entscheidend in dem Prozess, der 30 Jahre dauerte und mit der Heiligsprechung seinen Abschluss fand.
Nachdem das Heiligsprechungsverfahren beendet war, hat man erfahren, dass die heilige Kongregation unter vielen wunderbaren Begebnissen, die dem Heiligen zugeschrieben werden, zwei als Wunder anerkannt hat: die Heilung des Angelo Parpaglione, eines 4jährigen Kindes aus Lavagna, das von einem Balkon gefallen war, einen schweren Schädelbruch davongetragen hatte und nach wenigen Tagen wieder gesund geworden war, sowie die Heilung der Teresa Guido, einer genuesischen Arbeiterin, die sich am 5. Juli 1945 fast den Finger abgeschnitten hatte und bei der nach kürzester Zeit das Gewebe wiederhergestellt war.
Teresa selbst erzählt, indem sie die Hand, die nicht das geringste Zeichen einer Verletzung aufweist, zeigt: „Ich arbeitete in einer Spinnerei. Ein elektrisches Messer schnitt mir tief in das erste Glied des Mittelfingers. Die Wunde wollte und wollte sich nicht mehr schließen. Einen Monat lang hatte ich infolge einer hinzugekommenen starken Infektion entsetzliche Schmerzen, und es blieb kein anderes Mittel mehr übrig als eine Operation. Am 5. Juli begab ich mich zur Kirche des Heiligen, um dort zu beten. Als ich mit der kranken Hand den Kristallschrein berührte, in dem der Leichnam ruht, hörten die Schmerzen sofort auf, und ich merkte, dass die Schwellung des Armes plötzlich verschwunden war. Ich war wie verwandelt und sagte es meiner Mutter, in deren Begleitung ich war. Sie fing an zu weinen. Aufgeregt verließen wir die Kirche. Als ich den Verband zu Hause abnahm, stellte ich fest, dass die Wunde völlig geheilt war. Hinterher bestätigten mir die Ärzte, dass das Gewebe durch ein wissenschaftlich nicht erklärbares Phänomen wiederhergestellt worden war.“
Diese beiden Fälle wurden in dem von Kardinal Larraona, dem Präfekten der heiligen Ritenkongregation, unterzeichneten kirchlichen Dekret als authentische Wunder bezeichnet, die durch die Fürbitte des Heiligen zustande gekommen waren. Sie führten zur feierlichen Verkündung der Heiligsprechung durch Papst Johannes XXIII.
Giovanni Croese wurde 1804 als Sohn einer Bauernfamilie in Camporosso, Provinz Imperia, geboren. Er verbrachte seine Jugend als Hirtenjunge, ohne je eine Schule besucht oder eine Berufsausbildung genossen zu haben. Aber bald zeigte er außergewöhnliche Tugenden. Einmal ging er mit seinem Vater in die Berge. Da er ständig zurückblieb, gab ihm der erzürnte Vater eine Ohrfeige. Nach dem Abflauen der ersten Erregung machte sich der Vater Vorwürfe, weil diese Züchtigung zu hart gewesen sei. Sein Sohn aber, der damals 10 Jahre alt war, reagierte sofort, indem er sagte: „Schlag mich ruhig noch einmal, Vater; denn ich habe es verdient.“
Der vorbildliche Gehorsam, die freiwillige Unterwerfung und die beispielhafte Sanftmut, die sich schon im Kind zeigten, sollten später auch das ganze Leben des Giovanni Croese kennzeichnen, der noch vor Vollendung seines 20. Lebensjahres als Laienbruder ins Kloster ging. Und die gleiche Demut ließ ihn dem Pater Guardian, der ihn zum Terminieren in die Stadt schickte, antworten: „Pater, ich tauge zu nichts; aber ich bin gerne bereit, Ihre Befehle auszuführen.“ Fähig zu nichts, bereit zu allem!
In dem Genua der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts war der Franziskanerbruder in seiner groben Kutte, der in alle Häuser, in die kleinen Werkstätten und die Läden des Hafenviertels eintrat und überall in direktem Kontakt mit den Armen stand, deren Sorgen und Nöte er teilte, so etwas wie ein moderner Arbeiterpriester. Er sprach die Sprache der Brüderlichkeit. Selbst die Gegner der Kirche brachten ihm ihre Hochachtung entgegen, und die antiklerikalsten Zeitungen jener Zeit, wie der „Momento“, schrieben: „Möge niemand lachen, weil wir einem Kapuziner einige Worte widmen. Die Güte kann sich auch unter einer groben Kutte verbergen. Und das darf ruhig bekannt und anerkannt werden.“
Die Heilung des Kardinals Siri
Überall auf den Straßen und im Klosterhof strömten ihm die Menschen entgegen. Alle, die einen Rat suchten, wandten sich an ihn. Besonders aber suchten die Mütter bei ihm Trost, deren Söhne auf dem Meer fuhren. Niemandem versagte er seine Hilfe. Der Volksmund schrieb ihm die Gabe der Prophetie und der Allgegenwart zu. Eine Mutter fragte ihn verzweifelt, wo ihr Sohn sich befinde, der auf einem Segelschiff mit Kurs auf Amerika fuhr. Der Kapuziner erbot sich, dem Seemann einen Brief zu überbringen. Nach längerer Zeit kehrte der Matrose mit dem Brief der Mutter zurück und erklärte, der Brief sei ihm auf der anderen Seite des Ozeans von einem Mönch ausgehändigt worden.
Bis zu welchem Punkt mischte sich hier die Phantasie des Volkes mit der Wirklichkeit? Doch tausend wahre Begebenheiten, die die unermessliche Güte des Heiligen bewiesen, trugen dazu bei, die Verehrung dieser demütigen Gestalt zu vermehren.
Am Tag seiner Seligsprechung durch Papst Pius XI., dem 30. Juni 1929, wurde der Erzbischof von Genua, Kardinal Siri, damals noch Student in Rom, von einer Kutsche überfahren. Man brachte ihn in das Collegio Lombardo, wo ihn ein Arzt als Todeskandidaten erklärte. Da legte ihm Kardinal Minoretti eine Reliquie des neuen Seligen auf. Schon in der Nacht befand sich der junge Mann außer Gefahr. „Ich bin überzeugt“, erklärte der Kardinal später, „dass ich ohne die Fürsprache des Heiligen nicht mehr in dieser Welt weilen würde.“
Aus „Semana“, Madrid 1964
_________________________________________________________________________________________