Heute und an den folgenden Tagen stellen sich die verschiedenen Gruppen der Heiligen in je einem bevorzugten Vertreter huldigend bei der Krippe ein. Dass unter diesen Gruppen die Martyrer den ehrenvollen Vortritt haben, ist nicht mehr als recht, denn sie gaben das Letzte für Christus hin, Leib und Leben. Ihr Fahnenträger ist, wiederum sehr einleuchtend, der erste Blutzeuge überhaupt, der heilige Erzmartyrer Stephanus.
Manche Leute stellen sich unter den Martyrern sanfte Lämmer vor, die sich mit Lammsgeduld abschlachten lassen. Nein, mit einer solchen Ansicht tut man den Blutzeugen Unrecht, denn gerade sie ragen durch hohen Mut über andere empor, wie mächtige Eichen über dem Gestrüpp des Kleinholzes. Gleich der erste aller Blutzeugen war solch eine Eiche.
Es ist anzunehmen, dass Stephanus zu jenen gehörte, die sich am Pfingstfest zu Christus bekehrten. Die Heilige Schrift berichtet dann von ihm, dass er einer von den sieben Diakonen war, welche die Apostel geweiht hatten, damit sie den christlichen Liebesdienst an den Armen und Kranken, an Witwen und Waisen ausüben sollten.
Das tat Stephanus, aber er tat noch mehr. Alle Tage machte er sich an andere heran und versuchte jedermann zu Christus zu bekehren. Warm und überzeugend sprach er auf die Leute ein, und seine Worte wurden von Gott durch Wunder gesegnet. So konnte es nicht ausbleiben, dass sich die Zahl der Anhänger Jesu in Jerusalem andauernd vermehrte. Von allen, welche in jenen Tagen die frohe Botschaft verkündeten, war Stephanus wohl der erfolgreichste. Freimütig und ohne Furcht wagte er sich offen sogar an ausgesprochene Gegner heran und machte sie aus Feinden zu Freunden Christi.
Die Hohenpriester und Schriftgelehrten, die eben erst vor drei Monaten den Heiland gekreuzigt hatten und deswegen glaubten, ruhig sein zu dürfen, sahen sich aufs neue beunruhigt, und um die drohende Gefahr im Keim zu ersticken, beschlossen sie einhellig, schnell und gründlich gegen Stephanus nach dem gleiche Rezept vorzugehen, wie es sich beim Heiland bewährt hatte: Volksaufwiegelung, falsche Anklagen, bestochene Zeugen, parteiische Richter, vorgefasstes Todesurteil mit sofortiger Vollstreckung.
So hatte man es beim Heiland gemacht. Warum also nicht auch bei Stephanus? Wieder klappte alles vorzüglich wie am Schnürchen. Nur mit dem Freimut des Angeklagten hatten die Ankläger nicht gerechnet, denn während der Gerichtsverhandlung erhob sich Stephanus und redete kühn und mutig. Nicht, dass er sich verteidigte. Was lag ihm am Leben? Helden von seiner Art haben das Leben noch stets als das Geringere angesehen. Ihnen kommt es zuallererst auf das Recht an.
So war es bei Stephanus. Den gewaltsamen Tod sicher vor Augen, hielt der christliche Held mit erhebendem Freimut den Hohenpriestern und Schriftgelehrten ihr Unrecht vor. Unbelehrbarkeit, Halsstarrigkeit, Gesetzesheuchelei, Prophetenmord, Verrat, so sauste es wie ein Hagel über die geduckten Häupter nieder. Hellauf brannte der Gerichtssaal in den Pfingstgluten des Heiligen Geistes.
Dann kam es, wie es kommen musste. Alle erhoben ein wüstes Geschrei, stürzten sich auf Stephanus, trieben ihn zur Stadt hinaus und steinigten ihn. Doch derjenige, der den Mut hatte, offen nach seiner Überzeugung zu reden, besaß auch den noch weit höheren Mut, starkmütig für den Glauben zu sterben.
Freimut zierte den heiligen Stephanus mit echter Männlichkeit, Starkmut gab ihm das Gepräge einer glänzenden Treue zum Heiland, und eine herrliche Großmut krönte ihn schließlich zum Heiligen, denn nach dem Vorbild Christi betete er sterbend für seine Feinde: „Herr, rechne ihnen diese Sünde nicht an!“ Wo das letzte Wort eines Sterbenden ein Segen und ein Gebet ist für diejenigen, die ihn töten, da stirbt ein großer Christ und ein Heiliger. Sankt Stephanus war ein Heiliger, und wohl ist er der Ehre wert, dass er, der Erzmartyrer, als Fahnenträger aller Martyrer gleich neben der Krippe zu Betlehem gefeiert wird.
Solch ein freimütiger, starkmütiger und großmütiger Held, wie der heilige Stephanus es war, muss jeder Christ sein. Jedenfalls ist es mit einer schönen Krippe und einigen stimmungsvollen Weihnachtsliedern nicht getan. Erst durch die Bewährung in der Gefahr und durch die Treue bis in den Tod wird man ein Vollchrist.
Stephanus
Stephanus, der Gottesheld,
Ward vom Herren auserwählt,
Dass er zu großer Ehre
Der erste Martyrer wäre.
Dieweil nach Christi Himmelfahrt
So groß die Zahl der Christen ward,
Dass die Apostel ganz allein
Dem Predigtamt sich mussten weihn,
Ward er mit sechs anderen noch
Zum Diakon erwählt. Das Joch
Nahm er auf sich, in allen Wegen
Der armen Christen so zu pflegen,
Dass ihnen keine Notdurft fehle
Und dass sie keine Armut quäle.
Er war den Heidenchristen gleich
Wie Judenchristen liebereich.
Doch grad aus diesem Grund beluden
Mit ihrem größten Hass die Juden
Den treuen Pfleger der Gemeine.
Durch falsche Zeugen ward der Reine
Beschuldigt dass er wider Gott
Und wider des Moses Gebot
Geredet, dass er unglaublichen Spott
Mit ihre Gesetze und mit Gott
Verübt, dass er von Christus gehört,
Die Stadt und der Tempel würden zerstört
Und alles ausgetrieben;
So hätten auch die Propheten geschrieben.
Stephanus aber mit Wort und Tat
Verteidigte sich vor dem hohen Rat,
So wie der heilige Geist ihn lehrte.
Der Gute, Treubewährte
Begann die Rede fördersam
Vom Patriarchen Abraham,
Ging dann über zu Moses, dem guten,
Und den Propheten, den hochgemuten,
Und zeigte ihnen, wie alle Zeit
Ihre Väter lagen mit Gott im Streit,
Wie sie waren des Herzens unbeschnitten
Und von hartnäckig bösen Sitten,
Wie sie widerstanden dem heiligen Geiste,
Wie sie verschmähten, was er ihnen weiste,
Wie sie Weissager und Propheten
Martern ließen und auch töten;
Darum es wohl kein Wunder war,
Wenn sie zum Schlusse offenbar
Auch den Messias zum Tode brachten,
Ihn, dessen alle Propheten gedachten.
Als er die Reden ihnen vorwarf,
Da ward ihr Unmut also scharf,
Dass sie sich nicht wollten schämen,
Sondern begannen zu griesgrämen
Gleich bösen Hunden im Gemüte
Auf Stephanus, der voll der Güte
Wie ein Lämmlein vor ihnen stand
Und ganz entzückt zur rechten Hand
Des Vaters Jesus im Himmel sah.
Aus der Stadt stießen sie ihn da,
Ihn zu töten mit Steinen.
Die falschen Zeugen, die unreinen,
Sollten nach Gewohnheit
Ihm erbieten das erste Leid.
So taten sie ihre Kleider ab.
Der junge Saulus aber gab
Der Kleider acht und nahm sie in Hut,
Hievon er an des Heiligen Blut
Wahrlich auch sehr mitschuldig ward,
Weil er jenen auf solche Art
Eine gute Förderung war.
Doch das bereute er offenbar
Später, da ein heiliger Paul
Ward aus dem feindgesinnten Saul.
So warfen sie mit Steinen
Den Gotteshelden. Den reinen.
Der litt mit Geduld das Ungemach;
Zu Gott rief er und sprach:
"Empfang, Herr, meinen Geist allhie!"
Damit fiel er auf die Knie.
Ihn entbrannte der Minne Schwall,
Trotz der häufigen Steine Fall
Und des Volkes Tobsucht.
Seine hohe tugendliche Zucht
Zwang ihn zu Seufzern tief.
Unseren Herren er anrief
Gar gütlich mit dem Wort allein:
"O viel lieber Herre mein,
Sieh an die blinden Leute
Und vergib ihnen heute,
Was sie mir Leides hier getan,
Weil sie sich Besseres nicht versah`n!"
Also der Held sein Blut vergoss.
Die Juden, aller Ehren bloß
Und ohne züchtigliche Scham,
Ließen da den Leichnam
Liegen, den Hunden wegzuzerren.
Nun waren da zwei edle Herren,
Auch Fürsten in Israel:
Nikodemus und Gamaliel,
Also waren sie genannt.
Ihre Herzen waren gänzlich entbrannt
Von Jesu Christi guter Lehr`,
Doch verbargen sie das sehr
Aus Angst in diesen Jahren;
Aber beide waren
Im Rat der Juden allezeit
Den Christen zur Hilfe gern bereit.
Die waren es, die nun hinkamen,
Den Leichnam aufnahmen
Und ihn begruben auf dem Feld,
Das sich Gamaliel hatte bestellt.
Nach des guten Stephanus Tod
Erhub sich Angst und Not
Allda den Christenleuten.
Man begann sie auszubeuten,
Sie zu schlagen und zu jagen.
So herbe ward es in den Tagen
Nach Sankt Stephanus` Fall,
Dass die Christen überall
Aus Jerusalem entwichen
Und heimlich sich verstrichen.
Nur die zwölf Apostel gut,
Sie hatten also kühnen Mut,
Was man ihnen Schande erbot,
Dass sie bestanden in der Not.
Ihrer ward auch mancher erschlagen,
Wie die weiteren Mären sagen.
Stephanus` Leichnam ward gefunden
Erst wiederum in späteren Stunden,
Vierhundertundfünfzehn Jahr
Nach Christi Geburt fürwahr.
Einem Priester, Lucianus genannt,
Ward die Stätte im Traum bekannt.
Ihm erschien ein alter Mann
Im Schlafe, der also begann:
"Ich bin es, der in alten Tagen
Des Gesetzes Meisterschaft getragen;
Paulus, der große Bote,
War unter meinem Gebote,
Dieweil ich sein Schulmeister war.
Ich bin Gamaliel. Offenbar
Mach` ich dir dies: an sichrem Ort
Findest du vier Särge dort,
Die sollst du mit Ehren aufheben
Und davon Kunde geben
Dem Bischof von Jerusalem,
Johannes. Merke noch zu dem:
Im ersten Sarg ist Stephanus` Gebein,
Der zweite Sarg ist aber mein,
Der dritte des Nikodemus dann,
Der mit mir die Taufe gewann
Von Petrus und Johannes.
Die Leiche dieses frommen Mannes
Ließ ich zu Stephanus begraben.
Im vierten Sarge aber haben
Sie Abibas, meinen lieben Sohn,
Bestattet, der der Keuschheit Lohn
Mit zwanzig Jahren von Gott empfing."
Der Priester Lucianus ging
Erst dann zu jener Stätte hin,
Als ihm der Traum dreimal erschien.
Sankt Stephans Leichnam ward gebracht
Auf Sion mit großer Andacht,
Drauf nach Konstantinopel der Stadt
Und endlich, als Theodosius bat,
Den Kaiser, kam er hin nach Rom
In Sankt Laurentius` schönen Dom.
Dort liegen die beiden Diakone
Und tragen aller Ehren Krone.
So folgen wir dem Bilde,
Das uns der Holde, der Milde
In Nöten hat vorgetragen,
So dass wir unsre Feinde jagen
Nicht mit des Herzens Hasse,
Sondern, dass man sie fasse
Mit Gebet auf der Minne Spur.
Mit Liebe und Gebete nur
Jagen wir sie dem Teufel ab.
In solcher Liebesfehde gab
Doch stets die Flucht der Böse,
Von dem uns Gott erlöse!
Aus: "Goldene Legende der Heiligen
von Joachim und Anna bis auf Constantin den Großen"
neu erzählt, geordnet und gedichtet von
Richard von Kralik, 1902)