Serapion mit dem Beinamen Sindonite von einer Art leinenen Schärpe, mit welcher er seinen Leib bedeckte, wurde in Ägypten geboren. Seine Lebensweise war außerordentlich streng. Seine verschiedenen Reisen verminderten nicht im Geringsten jenen Geist der Demut, der Abtötung und Sammlung, die ihm zu einer heiligen Gewohnheit geworden waren. Gerührt durch den elenden Zustand eines heidnischen Gauklers, bediente er sich, um dessen Bekehrung nicht zu verfehlen, eines Mittels, das großen Eifer und glühende Nächstenliebe voraussetzte. Er verkaufte sich ihm als Sklave für zwanzig Silberlinge. Die genaue Verrichtung der Dienste ließ ihm immer noch Zeit übrig, um sich dem Gebet und der Betrachtung zu widmen. Wasser und Brot machten seine ganze Nahrung aus. Endlich brachten seine Reden und Beispiele die Wirkung hervor, die man natürlich davon erwarten musste. Der Gaukler bekehrte sich mit seiner Familie und entsagte seinem leidigen Gewerbe. Er wollte nicht mehr dulden, dass Serapion sein Sklave bleibe und gab ihm aus Dankbarkeit die Freiheit, konnte ihn aber nicht dazu bewegen, dass er die von ihm empfangenen zwanzig Silberlinge entweder zu seinem Gebrauch oder für die Armen zurückbehielte.
Einige Zeit nachher verkaufte sich der Heilige abermals selbst, um eine arme Witwe mit dem Erlös zu unterstützen. Sein neuer Meister war mit seinem Dienst so zufrieden, dass er ihn frei gab. Er schenkte ihm sogar ein Kleid, einen Oberrock und ein Evangelienbuch. Kaum hatte Serapion das Haus verlassen, als er einem Armen begegnete und ihm das Kleid hingab. Eine Strecke weiter stieß er auf einen zweiten Armen, der dem Frost beinahe erlag. Diesen bedeckte er mit seinem Oberrock, so dass ihm zu seiner eigenen Kleidung nur noch ein Stück Leinwand übrig blieb. Als ihn jemand fragte, wo seine Kleider hingekommen waren, erwiderte er: „Dieses da“, in dem er auf das Evangelienbuch hindeutete: „Dieses da, hat mich der Kleider beraubt.“ Auch dieses Buch blieb nicht lange sein Eigentum, er verkaufte es, um damit eine in das äußerste Elend geratene Person zu unterstützen; und als man ihn zur Rede stellte, was er damit gemacht habe, gab er zur Antwort: „Solltet ihr`s wohl glauben? Es kam mir vor, als hörte ich beständig das Evangelium mir zurufen: Gehe hin und verkaufe alles, was du hast, und gib es den Armen. Daher habe ich mein Buch verkauft und habe den Ertrag davon den Gliedern Jesu Christi, die ich in Bedrängnis sah, gegeben.“
Serapion, der nichts mehr hatte als sich selbst, verkaufte sich noch mehrere Male, um den geistlichen und leiblichen Bedürfnissen seiner Brüder abzuhelfen. Unter denjenigen, in deren Sklavendienst er trat, war auch ein Manichäer, der in Lazedemon wohnte. Er hatte das Glück, diesen mit seiner ganzen Familie in den Schoß der wahren Kirche zurückzuführen. Die merkwürdige Lebensgeschichte des heiligen Serapion machte auf den heiligen Johannes, Patriarch zu Alexandrien, mit dem Beinamen Almosengeber, einen solchen Eindruck, dass er seinen Hausverwalter zu sich berief und ihm mit weinenden Augen sagte: „Ach!, wir würden sehr unrecht haben, wenn wir uns rühmten, dass wir unsere Güter den Armen austeilen. Hier ist ein Mann (der heilige Serapion), der ein Mittel herausgefunden hat, sich selbst zu verkaufen für sie, und zwar mehrere Male.“
Serapion ging von Lazedemon nach Rom, um sich nach den erhabenen Tugendbeispielen, die in dieser Stadt leuchteten, zu vervollkommnen. Danach kehrte er nach Ägypten zurück und starb daselbst in der Einöde in seinem sechzigsten Lebensjahr. Sein Tod ereignete sich kurz vor der Zeit, wo Palladius die Einsiedler Ägyptens besuchte, das heißt, kurz vor dem Jahr 888.
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Der heilige Serapion der Sindonite, Einsiedler, Held der christlichen Liebe,
+ Todesjahr vor 388 – Fest: 21. März
(Aus: Heiligen-Legende von Lorenz Beer, Regensburg, Verlag Josef Habbel, 1928)
„Wir sind Toren geworden um Christi willen. Bis zu dieser Stunde hungern und dürsten wir, sind entblößt und haben keine Stätte und mühen uns arbeitend mit eigener Hand“ (1. Korinther 4,10.11), so können wir mit Paulus das Leben dieses Heiligen kennzeichnen. Vor den Augen der Welt war er wirklich ein großer Sonderling, ein Tor. In Gottes Augen aber war er ein außerordentliches Gnadenkind, ein Nachfolger Christi, den die Liebe Christi zu ungewöhnlichen, überschwänglichen Taten und Lebenswegen drängte. Das ist das Wunderbare im Leben der Kirche, dass ihre Kinder, die Heiligen, das Tugendleben Christi, jeder in seiner ihm eigentümlichen Art widerspiegelt. Das Abbild bleibt ja immer hinter dem Urbild zurück, aber kein Zug des Urbilds, so unscheinbar oder erhaben er sein mag, findet sich, der sich nicht in irgend einem Heiligen in auffallender Weise ausgeprägt hätte. Ja, wer möchte es glauben! Wenn Gottes Sohn um der Erlösung der Menschheit willen „sich selbst entäußerte, indem er Knechtsgestalt annahm und den Menschen gleich wurde“ (Philipper 2,7), so ist diese Tat so unendlich groß und erhaben, dass man meinen sollte, kein menschlicher Gedanke würde sich erkühnen, auch nur an den Schatten solcher Größe sich heranzuwagen. Was aber menschliche Kraft gar nicht anzustreben fähig ist, dahin führt den Heiligen unbewusst die göttliche Liebe und die Demut, die zum Höchsten aneifern. Den heiligen Serapion aus der alten Einsiedlerzeit hat die Liebe zu Gott zu dem bewundernswerten Entschluss vermocht, seines freien Standes sich zu entäußern und Sklave zu werden, um die Menschen für Gott zu gewinnen.
Die Gottesliebe hatte Serapion, der aus Ägypten stammte, zuerst in die Wüste geführt, wo er als Einsiedler sich in der Übung freiwilliger Armut, in der Loslösung des Herzens von allen irdischen Beziehungen und in strengster Zucht der Sinne sich auszeichnete. So groß waren seine Bußwerke, dass sie übermenschlich schienen und ihm den Beinamen „der Nichtleidende“ eintrugen. Man konnte sich gar nicht vorstellen, dass ein Mensch, der leidensfähig ist, so etwas aushalten könne. Er hatte keine Studien gemacht, konnte aber die Heilige Schrift, die er unablässig betrachtete, schier auswendig. All der vergänglichen Güter beraubt, vereint mit Gott in beseligender Liebe, war er glücklich in seiner Einsiedelei. Und doch verließ er seine liebe Zelle und ergriff eine ganz wunderbare Art apostolischen Lebens, wozu der Geist Gottes ihn rief. Er ging in die Welt und lebte inmitten der Welt ein Leben höchster Sammlung und geistigen Einsiedlertums.
Aber war es denn nicht Untreue, den einmal ergriffenen Beruf eines Einsiedlers zu verlassen? Palladius, der uns das Leben Serapions beschrieben hat und der selbst ein Jünger der Väter der Wüste war, bevor er Bischof zu Helenopolis wurde, erzählt, er sei öfter von den Gedanken geplagt worden, dass er in der Zelle unnütz sei und darum wieder gehen solle. Der selige Makarius habe ihm darauf die Lehre gegeben: „Antworte deinen Gedanken: Um Christi willen bleib ich in meiner Zelle und damit nütze ich dem Gehorsam.“ So urteilten aber die Altväter nicht, als Serapion seinen Entschluss ankündigte, er wolle versuchen, Seelen aus dem Pfuhl der Welt zu retten. Wo Gottes Ruf offenkundig andere Wege frommer und nützlicher Tätigkeit weist, da ist der wahrhaft Gerechte nicht in seinem eigenen Willen versteinert, mag dieser auch noch so gut zu sein scheinen. Serapion ging und seine Berater ließen ihn gehen.
Der neue Missionar Gottes kam nach Korinth, in die üppige griechische Handelsstadt, in der noch immer, auch nach den Predigten und Briefen des heiligen Paulus, ein leichtfertiges Völklein wohnte. Da fand Serapion eine heidnische Komödiantenfamilie, die nichts Höheres kannte, als ihre Mitmenschen zu unterhalten und dabei zu verderben. Wie sollte er diesen Leuten näher kommen, um sie auf bessere Bahnen zu führen? Er verkaufte sich ihnen als Sklave. Das zügellose, wüste Leben in diesem Haus beachtete er gar nicht. Pünktlich verrichtete er die geringsten Dienste, war nie müde bei der sauersten Arbeit, nie unzufrieden, schlief wenig, fastete viel. In Betrachtung der Heiligen Schrift versunken, bewahrte er fast immer Stillschweigen, wenn er aber sprach, dann waren seine Worte überirdische Weisheit, die den armen Weltdienern Bewunderung und schließlich Ehrfurcht und Hochachtung abnötigte. Der Vater der Familie war der erste, dessen Herz sich dem lockenden Gnadenruf erschloss, der durch Serapions heiliges Leben so wirksam für die Wahrheit des Christentums warb. Die übrigen Familienglieder folgten in der Bekehrung, entsagten ihrem gefährlichen Gewerbe und führten nun ein ehrenvolles christliches Leben. Ihren verdienstvollen Sklaven aber, der sie aus der schmählichen Dienstbarkeit des Heidentums errettet hatte, gaben sie frei. Dieser eröffnete nun seinen Neubekehrten, die in Tränen über eine so unerhörte Liebe zerflossen, dass er ohnehin ein freier Mann sei und nur aus Liebe zu ihren Seelen, nach dem Beispiel des Sohnes Gottes, freiwillig ihr Knecht geworden sei. Nachdem sie nun das Heil erkannt und benutzt hätten, könne er sie getrost wieder verlassen, um sich dem Wohl anderer zu widmen. Auch das Kaufgeld, das er sorgsam aufbewahrt hatte, stellte er ihnen wieder zurück, da ein armer Mönch nichts besitzen und nichts verschenken dürfte.
Einige Zeit nachher verkaufte sich Serapion aus Mitleid mit einer armen, kranken Witwe an einen anderen Herrn und ließ den Kaufpreis zur Hebung der äußersten Not jener Witwe verwenden. Zwei Jahre diente der opferfreudige Knecht seinem neuen Herrn, der wohl Christ, aber der manichäischen Irrlehre ergeben war, und gewann ihn samt seinem ganzen Gesinde dem wahren Glauben zurück. Auch dieser schenkte aus Dankbarkeit seinem gottseligen Sklaven die Freiheit, bekleidete ihn mit einem guten Rock und Mantel und gab ihm zum Andenken ein Evangelienbuch, das in jener Zeit einen großen Wert ausmachte. So reichlich ausgestattet, ging der Arme Christi von dannen. Da traf er einen dürftigen, halbbekleideten Mann. Geschwind reichte er ihm seinen Mantel. Im Verlauf seiner Wanderung fand er einen von Kälte erstarrten Bettler am Weg liegen. Sogleich zog er seine neue Tunika, den Rock, aus und hüllte den armen Mann darein. Obwohl ihm bei dem rauen Winter in den Gebirgen Lacedämons die gute Kleidung selbst nötig gewesen wäre, ging er doch fröhlich seines Weges und begnügte sich mit einem Leintuch um den Leib. Von diesem armseligen Leintuch, griechisch Sindon geheißen, seinem einzigen Kleidungsstück, erhielt ja auch Serapion seinen Beinamen „der Sindonite“. Als man ihn hernach fragte, wer ihn denn so nackt ausgeplündert habe, wies Serapion auf sein Evangelium: „Dieses Buch hat es getan.“ Allein auch das blieb nicht mehr lange sein Eigentum. Er verkaufte es in der benachbarten Stadt, um mit dem Erlös eine dürftige Familie zu unterstützen. Als der Käufer den strengen Nachfolger Christi zur Rede stellte, warum er sich denn von einem solchen Kleinod trenne, erwiderte er demütig: „Glaube mir, mein Vater, mir war, als riefe mir dies Evangelium beständig zu: Verkaufe alles, was du hast, und gib es den Armen!“
Da Serapion nicht bettelte, hatte er oft Tage lang nichts zu essen. Auf der Überfahrt von Griechenland nach Rom aß er fünf Tage lang keinen Bissen. In Rom, auf dem ehrwürdigen Boden der heiligen Apostelfürsten und so vieler Martyrer, nahm der neue Apostel der Liebe sein erstes Geschäft wieder auf. Seiner ungekannten Opferwilligkeit, seiner erbaulichen Treue und Demut, seiner heroischen Liebe konnten auch solche nicht widerstehen, die schon dem ewigen Verderben verfallen schienen. Nach Jahren kehrte der Mann Gottes wieder in seine Heimat Ägypten zurück, wo er bald durch einen seligen Tod die ewige Freiheit als Lohn für die kurze Zeit irdischer Knechtschaft gewann.
Ob seiner unerhört heldenhaften Nächstenliebe wird Serapion der Sindonite als „einer der vollendetsten Meister in der christlichen Liebe“ gepriesen und noch in neuerer Zeit von Dichtern verherrlicht. Sein Gedenktag ist unsicher. Genannt wird der 20. Oktober und der 21. März. Dieser letztere Tag aber gehört zwei anderen Heiligen gleichen Namens zu, von denen der heilige Serapion von Thmuis in Unterägypten rühmliche Erwähnung verdient. Er war erst Vorsteher einer großen Mönchsgenossenschaft, dann Bischof, als solcher Kampf- und Leidensgenosse des heiligen Athanasius, ein kräftiger Verteidiger des Glaubens in Wort und Schrift, „ein Mann von größter Heiligkeit des Lebens und außerordentlicher Beredsamkeit“, wie der Kirchenschriftsteller Sozomenus ihn nennt. Sein Tod fällt nach 362.
Als der heilige Johannes der Almosengeber, auch ein großer Caritasbischof (+ 11. November 620), der seine ganze Habe den Armen schenkte, von der bewunderungswürdigen Liebe Serapions, des leuchtendsten Vorbildes christlichen Heldentums der Vorzeit, las, ließ er seine Hausverwalter kommen und sprach zu ihnen unter vielen Tränen: „Ach, wie würden wir uns täuschen und wie erbärmlich wäre es, wenn wir es für etwas hielten, dass wir unsere Güter den Armen gaben! Dieser Heilige hat das Mittel zu einer ausgesuchten Vollkommenheit gefunden, indem er sich selbst für die Armen hingab, nicht einmal, sondern vielmals.“ Nur die Liebe Christi kann solch erhabenen Edelmut und solche Hingabe für die Brüder und Schwestern hervorbringen.