Inmitten der alten deutschen, ehemals freien Reichsstadt Nürnberg erhebt sich eine prachtvolle gotische Basilika mit zwei Chören, Sebalduskirche genannt, und auf dem östlichen Chor prangt ein Grabdenkmal von Erzguss, das mit vollem Recht „das höchste Heiligtum deutscher Kunst“ genannt wird, das Meisterwerk des berühmten Erzbildners Peter Vischer, der es mit seinen fünf Söhnen nach dreizehnjähriger Arbeit im Jahr 1519 vollendete. Die Prachtgestalten der zwölf Apostel scheinen das Evangelium nach allen Richtungen hin zu verkünden, und den zwölf Propheten und Kirchenvätern schwebt heilige Begeisterung auf Stirn und Lippen. Wem ist dieses königliche Denkmal deutscher Kunst und deutschen Fleißes gewidmet? Wem gilt alle Pracht des herrlichen Gotteshauses? Einem armen Einsiedler, dem heiligen Sebaldus, der vor mehr als zwölfhundert Jahren an dieser Stätte heilig lebte und Wunder wirkte.
Der heilige Sebaldus stammte aus königlichem Geschlecht und erhielt eine seinem hohen Rang angemessene Erziehung. Aber die Wissenschaft des Heils erschien ihm doch die wichtigste Kenntnis, und das Streben nach Vollkommenheit wertvoller, als Zepter und Krone. Deshalb verließ er den königlichen Palast, die Ehren und Annehmlichkeiten des Hoflebens, um als Einsiedler ein verborgenes Leben nur im Verkehr mit Gott zu führen. Bereits sechzehn Jahre hatte er, fern von der Welt, in einer Einöde zugebracht, da zog es ihn mächtig zu einer Wallfahrt nach dem heiligen Land. In Italien traf er mit den beiden heiligen Brüdern Willibald und Wunibald nebst ihrem Vater Richard zusammen, als sie gerade die höchste Not litten und dem Verschmachten nahe waren. Auf sein frommes Gebet sandte ihnen Gott wunderbarerweise Wasser und Brot.
In einer Unterredung mit Papst Gregor II. ließ Sebaldus so viel Weisheit und glühenden Seeleneifer durchblicken, dass ihn der Papst als geeignetes Werkzeug zur Verbreitung des Glaubens erkannte. Gehorsam nahm der heilige Einsiedler den höheren Auftrag an, überall, besonders in Deutschland das Evangelium Christi zu verkündigen. Er kam nach Bayern und predigte den armen Landleuten an den Ufern der Isar längere Zeit die christliche Lehre. In dankbarer Erinnerung an sein heiliges Wirken baute man zu Egling eine Kirche nach seinem Namen. Einige Zeit hielt er sich in Regensburg auf, aber dem Geräusch und Treiben des Stadtlebens abhold, zog er in die dunklen Wälder von Mittelfranken. Als er an der Donau keinen Fährmann fand, der ihn auf das andere Ufer gebracht hätte, breitete er sein Oberkleid auf dem Wasser aus und ruderte wohlbehalten über den tiefen, reißenden Strom, ohne dass er oder sein Mantel durchnässt worden wäre.
In dem großen Wald zwischen der Regnitz und Pegnitz, wo jetzt die Stadt Nürnberg steht, erbaute sich Sebaldus eine kleine Klause und teilte seine Zeit zwischen strengen Bußübungen, frommen Betrachtungen und Belehrung des Volkes. Der Ruf von seiner außerordentlichen Lebensweise und seiner Wundergabe zog die Bewohner des Landes von nah und fern herbei, und niemand ging ohne Belehrung und Hilfe von ihm fort. Wenn es begehrt wurde, verließ er seine Waldeinsamkeit, um Kranken und Schwachen zu helfen, Gottesfurcht und Segen überallhin zu verbreiten.
Reich an Verdiensten und Siegen für den Himmel legte der Heilige sein müdes Haupt zum letzten Schlaf nieder. Nur noch einen Wunsch hegte er, nämlich, dass seine Leiche in der Kapelle des heiligen Petrus, die der heilige Bonifatius im Jahr 745 am Fuß des Schlossberges erbaut hatte, begraben werden möchte. Als man aber seinen heiligen Leichnam auf einen mit zwei Rindern bespannten Wagen gelegt hatte, zogen die ihn mitten in die Stadt Nürnberg hinein zur Peterskirche, und sooft man sie anderswohin lenken wollte, kehrten sie immer dahin zurück. Man erkannte hierin einen Fingerzeig Gottes und begrub ihn in der Peterskirche.
Am Grab des demütigen Einsiedlers Sebaldus ereigneten sich so viele Wunder, dass ihn Papst Gregor IX. im Jahr 1370 in die Zahl der Heiligen aufnahm. Die Bürger von Nürnberg wählten ihn zu ihrem Stadtpatron und bauten an die Stelle der alten Peterskirche über seinem Grab die berühmte Sebaldikirche. Seine Reliquien wurden in dem prachtvollen Sarkophag beigesetzt, den die Opferwilligkeit der Bürger und die Kunst des berühmtesten Erzgießers hergestellt hatten. Bis zur Einführung der Reformation im Jahr 1523 trugen alljährlich am 19. August, dem Tag seiner Heiligsprechung, die angesehensten Ratsherrn der Stadt in feierlicher Prozession die Reliquien des heiligen Sebaldus und das dankbare Volk erinnerte sich seiner Wohltaten.
Heute würde man seitens der Irr- und Ungläubigen kaum mehr nach dem Leben und den edlen Taten des heiligen Sebaldus fragen, wenn nicht das tote Erz an seinem Grabdenkmal mit vernehmlicher Stimme an sein wunderreiches Leben erinnerte. Vier Bilder am Sebaldigrab stellen einige charakteristische Wunder aus dem Leben unseres Heiligen dar. Das erste Bild zeigt den Heiligen im Kreis armer Leute, die sich im harten Winter an brennenden Eiszapfen wärmen, die er hatte ins Feuer werfen lassen, weil man ihm kein Holz gönnte. Auf dem anderen verwandelt er Steine in Brot. Im dritten wird ein Mann von der Erde verschlungen, weil er fälschlich beteuert hatte, die Erde solle ihn verschlingen, wenn er noch etwas zu geben habe, während er heimlich Mundvorräte verborgen hatte. Im vierten Bild heilt er einen Blinden. So erzählt noch das stumme Erz von den Taten des Heiligen, während der Mund der Lebenden verstummt.