Bald nach dem seligen Heimgang der kleinen Heiligen – Schwester Theresia vom Kinde Jesu – schrieb der hochwürdige P. Louis Ph., Passionist, der Oberin von Lisieux: „ . . . Das kleine Sternlein wird mehr und mehr leuchten in der Kirche Gottes. Noch ist es nur der Morgenstern inmitten leuchtenden Gewölks, dereinst jedoch wird es das Haus des Herrn erfüllen.“ Heute glänzt der kleine Stern schon in wunderbarer Herrlichkeit und nimmt sieghaft seinen Lauf den Altären zu.
Am Ende ihres Hochgesangs der Liebe (Geschichte einer Seele) bittet Theresia Gott um eine Legion kleiner Seelen, die gleich ihr den Weg kindlichen Vertrauens und liebender Hingabe wandeln als Brandopfer seiner barmherzigen Liebe. Diese neue, liebliche Art der Heiligkeit, wie Theresia sie sehrte, hat die katholische Welt wie im Sturm erobert und Legion darf man schon die Seelen nennen, welche den „kleinen Weg“ zum Himmel eilen.
Eine Seele, die so von Theresias leuchtendem Beispiel angezogen, zu großer Vollkommenheit gelangte, war die Subpriorin von Lisieux, Mutter Isabella vom göttlichen Herzen. Sie wie Mutter Maria Angela, Priorin von Lisieux (+ 1909), waren besonders berufen, die Mission Theresias weiterzuführen, die Barmherzigkeiten des Herrn und den kleinen Weg zu ihm bekanntzumachen durch die Herausgabe der Schriften der kleinen Heiligen, durch Sammlung ihrer Wunder und durch eigene Aufsätze über Theresia. So darf Mutter Isabella den Ehrentitel „Herold des kleinen Prinzesschen“ führen. Bald nach ihrem seligen Verscheiden sah eine Karmelitin einen großen Stern, besser gesagt, eine Sonne, in ihre Zelle strahlen. Und dieses Gestirn umfasste, als sie genauer schaute, zwei kleinere Sterne und bildete mit diesen ein leuchtendes Dreieck. Tiefergriffen betrachtete die Schwester die Himmelserscheinung, ihren Sinn klar erkennend, obwohl sie damals noch nicht die Stelle aus den Aufzeichnungen Mutter Isabellas kannte: „Nach meinem Tod wird die Zeit meiner Siege kommen. Ich will mich zu einem leuchtenden Dreigestirn vereinen mit Schwester Theresia und Mutter Maria Angela und ihnen helfen, die göttliche Liebesglut bis ans Ende der Zeiten lieben zu lassen.“
Schwester Theresias Leben war ein Leben reinster Unschuld, tiefster Gottesliebe seit dem ersten Erwachen ihrer Vernunft. In Mutter Isabella sehen wir, wie geeignet und lieblich der Weg geistiger Kindheit auch für Seelen ist, die Gott spät finden und erst nachdem sie die Leerheit irdischer Güter an sich erfuhren. Bis in ihr 18. Jahr übte Ivonne Daurelle, wie Mutter Isabella hieß, rein äußerlich die Vorschriften unserer Religion – kalt, eisigkalt war ihr Glaubensleben. Früh verwaist, lebte sie bei ihrer Tante Sanial du Fay heran und erhielt eine vornehme, ausgezeichnete Erziehung. Ivonne war immer zum Träumen geneigt und in ihrer glühenden Phantasie dichtete sie sich eine Zukunft zusammen, in der die irdische Liebe sich ihr in entzückenden Reizen zeigte. Auch ein heißes Streben nach Größe und Ehren wurde mit ihr groß. Bezeichnend hierfür ist die Antwort, die sie bei einer Preisfrage über einen kommenden Kometen in die Zeitschrift „Moniteur littèraire“ sandte: „Nein, der Komet wird der Erde in keiner Weise schaden, denn ich habe die bestimmte Vorahnung, dass mein Name berühmt wird; es muss also meinem Ruhm und meiner Glorie Zeit und Muße bleiben, sich zu entfalten und bekannt zu werden bis an die Enden des Erdkreises!“
Wie anders wird jetzt Ivonne der Welt bekannt, als sie damals ahnte! Unmittelbare Folge ihres Traumlebens war, das alles Alltägliche ihr roh und unleidlich vorkam und ihre Launen und Missstimmungen ihre Umgebung gehörig quälten.
Ganz unvermittelt traf da Ivonne ein Strahl göttlicher Gnade. Wie in Blitzeshelle erkannte sie plötzlich, wie allein Ewiges, wie Gott nur unserem Herzen genügen könne. Von diesem Tag an war sie wie verwandelt. Sie begann mit aller Energie Gott zu suchen und fühlte den Beruf als Karmelitin in sich erwachen. Statt aber in Demut Gott zu dienen, vertiefte sich Ivonne in die Werke der hl. Theresia, Verwechselte den Begriff der Heiligkeit, wurde überspannt, finster, ja, eine Betschwester, die ihre Familie nicht weniger quälte als früher. Da fiel ihr eine Lebensbeschreibung Theresias von Lisieux in die Hände und in Strömen von Licht und Frieden wurde ihr das Wesen der Gottesliebe und der Irrtum ihres bisherigen Weges klar. Gleichzeitig wusste Ivonne, dass der Karmel von Lisieux ihre gottgewollte Heimat werden sollte. Schwere Prüfungen hielten sie drei Jahre vom Eintritt zurück, während welcher sie bei ihren Verwandten gutzumachen suchte, was sie an ihnen bisher gefehlt hatte. 1904 endlich öffnete der Karmel von Lisieux dem glücklichen Mädchen seine Pforte. Bis zu ihrer Professablegung musste Schwester Isabella eine Schule harter Demütigungen und verborgener Leiden durchmachen. Sie schien so gesund, so stark und brach schon damals fast zusammen. Mit keinem Wort berührte die heldenmütige Schwester, dass die Strenge der Regel sie völlig aufrieb, und so durfte sie ihr ohne jede Dispens folgen und hatte nebenbei Arbeit über Arbeit. Nach ihrem Noviziat, besonders in der Zeit ihrer Krankheiten, erkannten die Mitschwestern erst die große Heiligkeit der so verborgenen, einfachen Schwestern, die in Riesenschritten ihrem Lebensziel – Opfer der barmherzigen Liebe zu werden – entgegeneilte. 1909 wurde sie Subpriorin und hatte das Noviziat – selbst erst 28 Jahre alt – zu führen. Zu gleicher Zeit begannen ihre großen Arbeiten für den Seligsprechungsprozess der kleinen Heiligen, die Wundersammlungen usw. Auf Gebot ihrer Oberin schrieb Mutter Isabella ihre eigene Seelengeschichte, die an herrlichen Führungen, erleuchteten Gedanken und Tugendfülle in vielem jener Schwester Theresias ähnelt. Es ist derselbe Weg zu Gott, nur Mutter Isabella hatte in ganz besonderer Weise dabei ihr Vertrauen auf Maria gesetzt, so zwar, dass sie sich und all ihre Verdienste ganz der Gottesmutter schenkte und nur an ihrer Hand vor Gott im Gebet und im Opfer trat. Sie folgte dabei dem Werk eines seligen, marianischen Sodalen: „Die wahre Andacht zu Maria oder: Das Geheimnis Mariä vom seligen Grignon de Montfort“.
1911 begann ein Lungenleiden Mutter Isabella dem Zeitpunkt ihres heißersehnten Heimgangs zu Gott nahe zu bringen. Aber noch vier Jahre musste sie einen harten Kreuzweg gehen, während dessen ihr noch ein großer Freudentag beschieden war. Von Rom kam die Kunde von der Einleitung des Seligsprechungsprozesses Schwester Theresias, an dessen Vorarbeiten sie so großen Anteil gehabt hatte. Vom Krankenlager aus leitete sie ein dreitägiges Dank- und Jubelfest im Karmel. Es war ihr letztes auf Erden. Am 31. Juli 1914 verschied sie gerade im Augenblick der heiligen Wandlung, 32 Jahre alt. Ihre letzten Worte waren: „O, wie sehr liebe ich Gott! Seine Güte lobpreisend, will ich sterben!“