Die Heiligen, die bewundernswertesten unter den Menschen

 

Bei allen gebildeten Völkern wird das Andenken großer, verdienstreicher Männer und Frauen in Ehren und lebendig erhalten. Man sieht darin nicht nur eine Pflicht der Ehrfurcht und Dankbarkeit, sondern auch ein wirksames Mittel zur Bildung und Erziehung der Jugend und eine Quelle der Erhebung und Begeisterung des Volkes zu großen Taten.

 

Bei den heidnischen Spartanern wurde alljährlich zu Ehren der verstorbenen Bürger, die sich Verdienste um das Vaterland erworben, ein Volksfest veranstaltet und wurden deren Bilder, prachtvoll geziert in einem Saal aufgestellt, vor den Augen der versammelten Jünglinge mit dem Zuruf enthüllt: "Ihr werdet gefeiert wie diese, wenn ihr werdet wie sie!"

 

Auch die heutige Welt ehrt und feiert ihre großen Männer und Frauen, die toten wie die lebendigen, zuweilen selbst über Gebühr und Maß, indem sie in ihrer Heldenverehrung, in ihrer Verehrung der Größe bis ins Überschwängliche, bis an die Grenze der Menschenvergötterung einerseits und der Selbstentwürdigung andererseits geht. Wer sich irgendwie in besonderer Weise hervorgetan oder etwas Neues entdeckt, eine Erfindung gemacht hat, in Wissenschaft oder Kunst, Industrie oder Technik usw. Hervorragendes geleistet, dem zu Ehren wird sein Hundertjahrgedächtnis gefeiert, oder doch zum ewigen Andenken ein Marmorstein gesetzt; schon vor mehr als 15 Jahren (also um 1900-1905) zählte man in Deutschland 318 Kaiser-Wilhelm-Denkmale. An Straßen und öffentlichen Plätzen, in Hallen und Ruhmestempeln erheben sich immer mehr Bilder und Statuen von Berühmtheiten, Kriegs- oder Friedenshelden und Politikern, von Künstlern und Dichtern und anderen Welt- oder Volksgrößen. Das kleinste Städtchen will seine große Persönlichkeit haben, wenigstens im Bild. Das muss sein, sagt man, um das Verdienst, das Talent, das Genie zu ehren; von der Tugend sagt man nichts und zwar mit gutem Grund.

 

Nicht wenige der von der Welt überschwänglich Geehrten waren große Gelehrte, große Künstler, große Dichter, große Politiker, aber große Menschen waren die meisten von ihnen nicht.

 

Im Jahr 1907 wurde in Italien der Feldherr Garibaldi in allen Schulen, von allen öffentlichen Stellen aus gefeiert. Ein Tag wurde von der italienischen Regierung eigens dafür freigegeben. Tausende Redner und Journalisten priesen den Nationalhelden, Hunderte großartiger Denkmale sind ihm zu Ehren errichtet, seine Kinder genießen eine hohe Staatspension, fast kein Städtchen und kein Fleckchen ist in Italien zu finden, in dem nicht wenigstens eine Straße, ein Platz oder ein Kaffeehaus Garibaldi zu Ehren genannt ist. Und wer war Garibaldi? Er war ein tollkühner, tapferer Soldat, ein mutiger Bandenführer, er hatte große, nationale Begeisterung, war er aber auch ein großer, tugendhafter Mensch? Nichts weniger als dies! Ein Verschwörer ohne Religion und Sittlichkeit lebte er im Ehebruch, obwohl eifriger Republikaner leistete er doch im Jahr 1875 den Eid auf die italienische Verfassung und hielt zu Viktor Emanuel, in seinem glühenden Hass gegen das Christentum ließ er seine Kinder nicht einmal taufen. Altes, heiliges Recht achtete er so wenig wie die vielen anderen italienischen Verschwörer, die dem schändlichen Grundsatz huldigten, der Zweck heilige die Mittel, und denen man gleich Garibaldi Denkmale erbaut hat und die man als große Männer Italiens feiert.

 

Was ließe sich erst von vielen anderen Größen sagen?

 

L. von Hammerstein schildert in seinen "Erinnerungen eines alten Lutheraners", welchen Eindruck es auf ihn machte, als bei fortschreitendem Studium Gestalten, die er früher infolge falscher Geschichtsschreibung für Helden gehalten, wie Luther, Ulrich von Hutten, Elisabeth von England, Gustav Wasa, Gustav Adolf, in ihrem wahren, abschreckendem Licht erschienen.

 

Ulrich von Hutten starb (im Jahr 1523) in einem Alter von nicht einmal 36 Jahren an einer schimpflichen Krankheit, die er sich durch Unsittlichkeit zugezogen und an der er schon seit 15 Jahren gelitten hatte. Dabei hatte dieser Abenteurer dennoch die Stirn, in sittlicher Entrüstung über das Leben anderer zu urteilen, und verfasste eine Flut von Schmäh- und Brandschriften gegen das Papsttum und die Katholiken. Dadurch wurde er einer der Hauptförderer der Sache Luthers.

 

Die Königin Elisabeth von England (1559-1603) hatte Hammerstein für eine hehre, jungfräuliche Königin gehalten; nachdem er aber die unparteiische Geschichte studiert hatte, erkannte er in ihr eine unverheiratete Dame, die ihre weibliche Ehre mit Füßen trat, an Grausamkeit aber in Verfolgung der katholischen Kirche mit einem Nero wetteiferte. 

 

Im Jahr 1909 hat die freisinnige, vor allem die sozialdemokratische Presse fast der ganzen Welt den Revolutionsmacher Franz Ferrer (Francesc Ferrer i Guàrdia) als einen Martyrer gepriesen. Selbst Professoren, Schriftsteller und Dichter ließen sich irreführen, Straßen und Vereine wurden nach Ferrer genannt, Trauerflaggen ihm zu Ehren gehisst, Monumente ihm errichtet. Es stellte sich aber mit immer größerer Sicherheit heraus, dass Ferrer eine seiner Wohltäterinnen hinterging, in unsittlichen Verhältnissen lebte, Hauptursache der grausamen Revolution in Barcelona und alles eher als ein schöner Charakter war.

 

Und haben wir es nicht oft genug in der jüngsten Zeit erlebt, dass Hochverrätern Ehrungen wie großen Helden öffentlich zuteil wurden?

 

Wahrhaft groß macht weder das Talent und der Erfolg noch das Genie und die Gewalt, sondern allein die Tugend.

 

Und deshalb besitzen nur die Heiligen die wahre persönliche Größe. 

 

Was sind denn Heilige? Heilige sind diejenigen, welche den Zweck des Lebens am vollkommensten erreicht haben.

 

Welches ist der Zweck des Lebens? Die Menschen und vorab die Gebildeten unserer Tage, sagen uns, der Zweck des Lebens sei die Vollkommenheit in der Wissenschaft, in der Kunst, in der Gesetzgebung, in der Industrie, in den Ämtern und in Ehren dieser Welt. Je höher und weiter es ein Mensch in diesen Dingen bringt, um so mehr wird er angestaunt und bewundert. Und was arbeiten die Sterblichen nicht alles, um den Ruhm der Gelehrsamkeit, der Künste, der Genies, des Reichtums und der Stellung zu erreichen?

 

Welches ist aber in Wirklichkeit der Zweck des Lebens? Unser höchster und vollkommenster Lehrmeister, Jesus Christus, gibt uns die Antwort: "Seid vollkommen, wie euer Vater im Himmel vollkommen ist." Die Menschen vollkommen zu machen, d.h. nach dem Ebenbild Gottes umzugestalten, damit sie so der ewig seligen Vereinigung mit Gott würdig werden - das war der Zweck, den Christus Jesus mit seinem Kommen auf Erden verfolgte und verfolgt bis zur Stunde. Diese Vollkommenheit gemäß Jesu Lehre und nach seinem Vorbild zu erreichen, ist die eigentliche Bestimmung des Menschen. Diejenigen Menschen nun, die diese Vollkommenheit erreicht haben, nennen wir Heilige. Sie sind deshalb die wahrhaft einzig großen, weil wahrhaft vollkommenen Menschen. Sie haben jenen Endzweck erreicht, von dem der Heiland sagte: "Das ist der Wille Gottes, eure Heiligung."

 

Der freigeistige Geschichtsforscher Ferdinand Gregorovius nennt die Heiligen: "Riesen des Katholizismus".