Das Leben dieses Altvaters, der in gänzlicher Entäußerung und Beschränkung aller Lebensbedürfnisse wohl am weitesten gegangen ist unter alle ägyptischen Einsiedlern, ist ja in den späteren Zeiten reichlich ausgemalt worden, indessen darf doch als geschichtlicher Kern gelten, was der einzige Zeuge seines überaus strengen Lebens und heiligen Todes, der Anachoret Paphnutius, in dem ehemals viel gelesenen „Leben der Väter“ erzählt. Ohne Zweifel hat es Gott bekannt werden lassen als mächtiges Vorbild und Beispiel für die dem sinnlichen Leben ergebenen Christen damaliger und späterer Zeiten.
Paphnutius, der Einsiedlermönch, durchwanderte einmal die Wüste, um die Wohnplätze der Einsiedler und ihren frommen Lebenswandel zu erkunden. Öfters war er in Gefahr, dem Hunger und der Ermüdung zu erliegen, Hilfe von oben rettete ihn. Einst nun, so erzählt er, da ich von meiner Ermüdung ausruhte, sah ich von fern einen Mann mit schrecklichem Aussehen, der wie ein Tier auf allen Seiten mit Haaren überwachsen war, und seine Haare waren so lang, dass sie ihm zu einer Decke dienten. Statt eines Kleides war er nur um die Lenden mit einigen Blättern und Kräutern umgürtet. (In der christlichen Kunst wird deshalb die Darstellung des heiligen Onuphrius als „wilder Mann“ bezeichnet.) Furcht und Staunen ängstigten mich. Schnellen Laufes floh ich auf den nächsten Berg. Da rief der Mann mir zu: „Mann Gottes, steige vom Berg herab! Fürchte dich nicht, denn ich bin auch ein sterblicher Mensch, dir ähnlich.“ Dadurch getröstet, stieg ich herab und warf mich furchtsam dem heiligen Mann zu Füßen. Er aber ließ nicht zu, dass ich kniete. „Steh auf,“ sprach er, „steh auf! Du bist ein Diener Gottes und heißest Paphnutius, ein Freund der Heiligen!“ Ich glühte vor Verlangen zu erfahren, wer er wäre, welche Lebensart er führte. So erzählte er:
„Ich Unwürdiger heiße Onuphrius (Onophrius, Sohn eines abessinischen Stammesfürsten). Nicht weniger als 70 Jahre lebe ich schon mühselig in dieser Wildnis. Ich habe oft mit wilden Tieren zusammengelebt. Statt des Brotes aß ich immer nur genießbare Wurzeln, auf Bergen, in Höhlen und Tälern beherbergte ich meinen elenden Körper. So viele Jahre sah ich niemand als nur dich. Nahrung erhielt ich von keinem Menschen. Ich wurde in einem Kloster der Thebais, in Hermopolis, erzogen. Dort lebten fast hundert Mönche. Ihr Leben war so beschaffen, dass sie in Sinn und Tat einander glichen, mit einem Herzen und dem nämlichen Geist sich dem Joch und der Zucht der heiligen Regel unterwarfen. Was dem einen gefiel, das gefiel allen. Mit heiligem Herzen, reinem Glauben und vollkommener Liebe wandelten sie vor Gott. Sie ließen Tag und Nacht nicht ab, ihm zu dienen in Sanftmut und Geduld. Ihre Enthaltsamkeit und ihr Stillschweigen war so groß, dass keiner es wagte, ein Wort mehr zu reden, als er aus gutem Grund fragen und antworten musste.“
Wie ist es so schön, wo Brüder in Eintracht beisammen wohnen. Und doch entsagte Onuphrius der lieben Gemeinschaft. Die Brüder rühmten das Leben des Propheten Elias, der in großer Enthaltsamkeit in der Wüste sich aufhielt. Auch das Beispiel des seligen Johannes des Täufers stellten sie ihm vor, leuchtend in besonderem Glanz. „Sind die, die in der Wüste leben, stärker oder schwächer als ihr“, fragte der opferbegierige junge Mann. Und die Brüder bekannten: „Stärker sind sie, mein Sohn, weil sie ohne menschliche Hilfe leben. Wir sehen einer auf den anderen und feiern vereint den göttlichen Dienst. Wenn wir manchmal Speise wollen, so finden wir sie bereitet. Wenn uns je eine Krankheit oder menschliche Gebrechlichkeit befällt, unterstützt uns die Sorgfalt der Brüder mit aller Emsigkeit. Wir wohnen in hellen Gebäuden. Sie bedecken uns vor der Hitze der Sonne und schützen uns gegen den Strom des Regens und gegen die Unbilden des Windes und Gewitters. Aber die Einsiedler in der Wüste empfangen keinen Trost, außer von Gott. Wenn sie bisweilen Angst und Trübsal leiden, wenn sie mit dem Teufel, dem Feind des Menschengeschlechtes, kämpfen, wer steht ihnen bei? Es ist kein Zweifel, dass es in der Wüste, wo jedes Bedürfnis mangelt, recht viel Mühsal gebe.“
Diese Mühsal und ihren herrlichen Himmelslohn suchte der Heilige. In stiller Nacht brach er auf und zog fort, auf die Vorsehung vertrauend. Gottes Engel erschien ihm als Führer. Nach langem Marsch stand der Wanderer vor einer Grotte, aus der auf Anruf ein ehrwürdiger Greis hervortrat. Er bot dem Ankömmling den Friedenskuss und sprach: „Du bist mein Bruder, Teilnehmer am Einsiedlerleben. Komm herein, mein Sohn! Gott gewähre dir, dass seine Frucht in dir bleibe! Dein Werk möge seinen Augen wohlgefällig sein!“ Nachdem der weise Altvater den neuen Novizen mehrere Tage liebevoll belehrt hatte, gab er ihm die Weisung: „Mein Sohn, stehe auf und geh mit mir fort! Du sollst in das Innere der Wüste eindringen und einsam in einer anderen Höhle wohnen. Wenn du da als Mann kämpfst, wirst du die Versuchungen Satans überwinden. Gott will in dieser Wüste dich prüfen, ob du seinen Geboten treu gehorchen willst. „Getreu sind alle seine Gebote, bestätigt auf immer und ewig, gemacht in Wahrheit und Gerechtigkeit.“ (Psalm 111,7-8) Sprachs und stand auf und ging mit seinem Schüler vier Tage lang immer tiefer in die Wüste hinein, bis sie an einen Ort kamen, der Kalidiomea hieß. Da standen auch Palmen mit ihrer Frucht. „Siehe da den Ort, den dir der Herr zur Wohnung bereitet hat“, belehrte ihn der Mann Gottes. Noch dreißig Tage blieb er bei ihm, mit aller Sorgfalt ihn mahnend, die Lehre der Gebote Gottes zu halten. Dann befahl er den Onuphrius in einem Gebet dem Herrn und schied von dannen. Alljährlich einmal pflegte er wieder zu kommen und in unvergleichlichen Zusprüchen ihn zu ermuntern, wie er mit Eifer und in Einfalt leben sollte. So kam er ein letztes Mal und starb vor den Augen des betrübten Schülers, der nun lange, lange Jahre allein blieb, ohne einem Menschen zu begegnen. Jetzt nun sollte auch seine beschwerliche, der Welt verborgene Pilgerfahrt enden. Gottes Geist hatte ihm den Paphnutius zugeführt.
Dieser sprach, als der heilige Mann Onuphrius diese ganze Erzählung geendet hatte: „Heiliger Vater, jetzt erkenne ich schon, dass du in dieser Wüste keine geringe Mühsal ausgestanden hast.“ Der Vielgeprüfte antwortete: „Glaube mir, geliebtester Bruder, ich habe in der Wüste geduldet, dass ich oft glaubte, der Tod würde mich überwältigen. Ich habe oft alle Hoffnung zum Leben aufgegeben und fühlte kaum mehr einen Atem mit mir. Am Tag sengte mich die Hitze und das Feuer der flammenden Sonne. Bei Nacht wurde ich vom Tau und dem Reif gequält und vom Hunger und Durst entkräftet. O, wie Vieles und Großes habe ich gelitten! Es geziemt sich nicht die Leiden und Beschwerden zu erzählen, die der sterbliche Mensch aus Liebe zum ewig lebenden Gott ertragen muss. „Der Herr wird den Heiligen ihr Leiden vergelten“ (Weisheit 10). Er ist mächtig genug, mich dafür mit himmlischen Reichtümern unter den Scharen der Engel zu trösten. Körperliche Nahrung habe ich verachtet, um würdig zu werden, geistige dafür zu erlangen. Der heilige Engel brachte mir täglich Brot und ein gewisses Maß Wasser, um meinen Körper zu stärken, damit er nicht erlag und unablässig im Lobe Gottes ausharrte. Ich sammelte auch die Frucht von den Palmen und aß sie statt des Brotes und fügte dazu Blätter von Kräutern, und sie waren in meinem Mund süß wie Honig. Mein Bruder, wenn du dich befleißest, Gottes Willen zu tun, so wird er dir alles Notwendige gewähren.“
Auf besonderes Befragen gestand noch der selige Altvater: „Jeden Sonntag oder Sonnabend finde ich den Engel des Herrn bereit, der mir den hochheiligen Leib und das Blut unseres Herrn Jesus Christus bringt. Von seiner Hand werden mir diese köstlichen Gaben zum ewigen Heil meiner Seele gereicht. Diese Freude wird auch anderen Einsiedlern zuteil.“
Paphnutius, der mit vieler Verwunderung die Geschichte des würdigen Dieners Gottes gehört hatte, schätzte sich glücklich, ihn gefunden zu haben. Die folgende Nacht brachten sie im Lob Gottes hin, beinahe ohne zu schlafen. Am Morgen nach der Stunde des Gebetes schien des Onuphrius Antlitz durch Blässe ganz verändert. „Erschreck nicht, Bruder Paphnutius“, erwiderte der Greis auf Befragen. „Der allmächtige Gott hat dich geraden Wegs in diese Einöde geleitet, damit du ehrenvoll meinen Leib der Erde übergibst; denn noch in dieser Stunde wird meine Seele von den Fesseln dieses Leibes gelöst und zu ihrem Schöpfer in das himmlische Reich getragen. Liebevollster Bruder, wenn du wieder nach Ägypten zurückkommst, so gedenke meiner in Gegenwart meiner Brüder und im Angesicht aller, die Christus ehren. Dies ist mein Verlangen, dessen Gewährung ich von Gott dem Herrn erhalten habe. Wenn jemand aus Liebe zu meinem Namen vor dem Angesicht unseres Herrn Jesu Christi und zu seinem Lob ein Opfer bringt, so wird er von aller Versuchung des Teufels frei und der ewigen Erbschaft im Himmelreich teilhaftig. Wenn jemand kein Opfer bringen, auch den Armen kein Almosen geben kann, so strecke er seine Hände aus zum Herrn und bete dreimal mit aufmerksamem Gemüt und im Namen der heiligen Dreifaltigkeit das Gebet des Herrn, nämlich das Vaterunser, so werde ich für ihn beim Herrn fürbitten, dass er das himmlische Leben mit allen Heiligen Gottes erlangen möge.“
So sprach der Sterbende noch manchen Segenswunsch für den vor ihm liegenden Jünger, betete dann unter Tränen zu Gott, beugte die Knie und rief: „In deine Hände, o Herr, empfehle ich meinen Geist!“ Ein glänzendes Licht umstrahlte ihn, und im Glanz dieses Lichtes ward die heilige Seele vom Körper gelöst. Die himmlischen Heere, von deren Gesängen die Luft widerhallte, führten den bewährten Kämpfer in den Himmel ein.
Die Verehrung des heiligen Onuphrius ist in der griechischen wie römischen Kirche groß und hat sich besonders seit den Kreuzzügen in Italien, Spanien, Frankreich und Deutschland ausgebreitet. In Rom ist auf dem Janikulusberg eine ihm geweihte, bekannte Kirche, in der Reliquien von ihm verehrt werden. Als im Jahr 1171 der bayerische Herzog Heinrich der Löwe die Einsiedeleien der ägyptischen Wüste besuchte und von der Macht der Fürbitte des Heiligen hörte, wählte er ihn zu seinem besonderen Schutzpatron und erbat sich ein Bildnis und eine Reliquie, einen Teil der Hirnschale, die er nach München brachte. Von seiner Verehrung daselbst legt das große Bild des Heiligen auf dem Eiermarkt Zeugnis ab.
Der allmächtige Gott verlässt die nicht, die auf ihn hoffen, und umgibt sie mit den Waffen seiner Allmacht. Der Anfall Satans kann sie nicht niederwerfen, da die Höhe der göttlichen Barmherzigkeit sie schützt. Sie schöpfen aus dem Felsen, der Christus ist, denn es steht geschrieben: „Die Heiligen, die auf den Herrn hoffen, erneuern ihre Kraft, befiedern sich wie Adler, fliegen und ermatten nicht, laufen und ihre Schritte werden nicht ausgleiten.“ (Jesaja 40,31)