Die strenge Römertugend war im Altertum sprichwörtlich geworden, zur Zeit der Kaiser aber längst erloschen. Die Sprösslinge der alten Senatorengeschlechter mussten durch eigene Entwürdigung büßen, was ihre Ahnen durch Stolz und Härte gegen die unterjochten Völker Roms gesündigt hatten. Da war es im Laufe der Zeiten das Christentum, das wieder eine Seelenstärke und Opfergröße in die entnervten Herzen goss, die alle alte Tugend an Glanz weit übertrafen. Es ist schwer, sich eine Vorstellung von dem Luxus zu machen, der besonders von der römischen Frauenwelt getrieben wurde. Ihre überfeinerte Prunkliebe und Weichlichkeit, die durch keinen sittlichen Zügel in Schranken gehalten wurde, artete in völlige Barbarei gegen das zahlreiche Heer ihrer Sklaven aus. Zu Hunderten, ja Tausenden hatten diese Armen jedem Wunsch ihrer Herrinnen zu dienen, die gleich Göttinnen der Erde schalteten. Für die geringsten Verrichtungen, die den römischen Weltdamen freilich eine Lebensfrage waren, für das Halten und Blankhalten des Toilettenspiegels, für das Reinigen und Schneiden der Nägel waren eigene kunstverständige Sklavinnen aufgestellt. Von dem Wert eines Spiegels sagt ein heidnischer Schriftsteller mit Unwillen: „Die Mitgift, die einst der Römische Sena der Tochter des Scipio gab, reicht jetzt nicht hin zu einem Spiegel für die Tochter eines Freigelassenen.“ Dieser enorme Reichtum der alten vornehmen Geschlechter war wohl auch einer der Gründe, warum sie sich noch immer nur in geringer Zahl dem so viel Verzicht fordernden Sittengesetze Christi, des freiwillig die arme Krippe wählenden Gotteskindes, ergaben. Nun aber kam der Tag, wo der stolze, in Üppigkeit schwelgende Hochadel Roms, der die Welt besiegt und beherrscht hatte, vom christlichen Geist besiegt und beherrscht wurde, einem Geist, der in der Demut und Entsagung seine Größe sieht.
Melania die Ältere war eine jener heilsdurstigen, feurigen Seelen, die gleich dem Apostel Paulus „alles zum Schaden sich rechnen, was nicht Christus ist“. Sie war von Gott ausersehen, der Welt das große Beispiel der Entsagung zu geben. Um 343 geboren, war Melania die Tochter oder Enkelin des Marcellinus, der im Jahr 341 Konsul war. Auch mit dem Geschlecht des heiligen Felix von Nola war sie verwandt, der ebenfalls an Adel und Reichtum niemanden in Aquitanien und Spanien, wo auch Melaniens Familie große Besitzungen hatte, nachgestanden war. Die Sorgen und Freuden eines frühen Ehestandes erstickten nicht das Verlangen ihres Herzens nach einer höheren Vollkommenheit. Noch nicht dreiundzwanzig Jahre alt, verlor sie in einem Jahr ihren Mann und zwei Söhne durch den Tod. Tief betrauerte sie diesen Verlust, sah darin aber Gottes Willen, der sie auf den langersehnten Weg vollster, uneingeschränkter Hingabe an ihn wies. „Herr,“ so betete sie, „nun ist es mir gestattet, ohne Rückhalt und Zerstreuung deinem Dienst mich zu weihen.“ Ein Sohn, Publicola, war ihr geblieben, „zum Andenken eines ehemaligen Glücks“. Da sie seine Erziehung in tatkräftigen Händen frommer, weiser und erfahrener Männer für gesicherter als in den ihren hielt, brachte sie seinetwegen das Opfer, sich von ihm zu trennen und übergab ihn ihrem Verwandten, dem Präfekten von Rom. Sie bestimmte ihm ihr großes Vermögen, das schon durch das väterliche Erbe außerordentlich reich war, behielt sich selber aber noch gewaltige Einkünfte daraus vor, zu deren Mitgenuss sie die ganze leidende Christenheit an Kindes Statt annahm.
So von allem frei, unternahm Melania, nachdem sie schon in Rom fünf Jahre lang ein streng aszetisches, alle erbauendes Leben geführt hatte, als erste vornehme Römerin eine Pilgerfahrt ins Heilige Land. Der gelehrte und verdienstvolle Rufinus, Priester von Aquileja, war ihr Begleiter. Zuerst suchten sie die gottseligen Einsiedler und berühmten Aszeten in Ägypten auf, um durch ihr Wort und Beispiel die Losschälung vom Irdischen, die Sammlung in Gott und die Fertigkeit in den Tugenden eines gottgefälligen Lebens zu lernen. Gerade als Melania in Ägypten weilte, wurden diese unschuldigen Lämmer der Herde Christi und treuen Bekenner des katholischen Glaubens von dem arianisch gesinnten Kaiser Valens hart verfolgt. Da dankte die mitleidsvolle Frau dem Herrn für den Reichtum, den er ihr gegeben hatte, und für die Gelegenheit, mit ihrem Gut das nach Ägypten flüchtende Jesuskind in seinen verfolgten Dienern beherbergen und nähren zu können. Für fünftausend aus ihren Zellen verjagte Mönche sorgte nun die edle Matrone wie eine pflichttreue Mutter. Elf ägyptische Bischöfe, viele Priester und Einsiedler, im Ganzen 126, wurden nach Palästina verbannt. Man wollte sie nicht gerade öffentlich, aber doch gerne heimlich zum Tod befördern. Deshalb war vom Statthalter das Verbot erlassen worden, ihnen irgendwie Beistand zu leisten. Melania jedoch war ihnen gefolgt und wusste immer Mittel und Wege zu finden, die Wachen zu bestechen und die Gefangenen zu erquicken. In Sklavenkleider gehüllt, schlich sie sich selbst nachts zu den heiligen Bekennern. Als der Statthalter von dem vielen Gold hörte, das diese Frau für diese Gefangenen hingab, hoffte er, ihr ein ansehnliches Lösegeld erpressen zu können; deshalb ließ er sie einkerkern. Da bekannte sie mit Ruhe und erhabener Würde: „Ich heiße Melania, war die Tochter eines römischen Konsuls und die Gattin eines römischen Senators, bin aber jetzt eine Magd Christi und trage deshalb, nicht aus Furcht und um mich zu verstecken, die Gewänder der Armut. Glaube also nicht mich schrecken zu können. Ich mache dir diese Mitteilung, damit du weißt, mit wem du es zu tun hast.“ Der Statthalter behandelte sie nun mit großer Ehrfurcht und gewährte ihr Freiheit für ihr Liebeswerk an den Bekennern.
Nach Beendigung der Verfolgung ging Melania nach Jerusalem und stiftete dort eine klosterähnliche Vereinigung, in der sie mit fünfzig Jungfrauen und gottseligen Witwen arm und abgeschieden in Gebet und Arbeit Gott diente. In einer dabei errichteten Herberge wurden Fremde, Pilger, Arme und Reiche, Gesunde und Kranke verpflegt. Aus allen Ländern kamen die Pilger hierher und kehrten sie wieder in ihre Heimat zurück, so rühmten sie neben den Sehenswürdigkeiten der heiligen Stätten auch die unvergesslichen Liebeswerke dieser gebenedeiten Frau, der viele nicht bloß leibliches Wohlsein, sondern gar oft auch Rettung und Wiederaufrichtung bei seelischer Verirrung verdankten. Wie Öl in die Ampel fürs ewige Licht, so strömten ihr ununterbrochen königliche Einkünfte aus Rom zu, und aus ihren Händen strömten sie wieder hinaus in alle Länder, wo irgendein Hilfsbedürftiger, ein Kloster, eine Kirche, ein Spital in Not war. Selber sich mit dem Notwendigsten begnügend, wurde diese edle Matrone über zwanzig Jahre lang die „Trösterin der Betrübten“ im ganzen christlich-römischen Kaiserreich.
Die Sorge um das Wohl ihrer Enkelin Melania, die sie an Heiligkeit noch übertreffen sollte (siehe 31. Dezember), veranlasste die treffliche Frau, die von einem guten Werk zum anderen eilte, nochmals nach Rom zurückzukehren, im Jahr 397. Hatte sie bei ihrem Scheiden von Rom manchen Tadel wegen ihres Vorhabens hinnehmen müssen, so glich jetzt ihr Empfang zu ihrer Genugtuung und als Erweis ihrer allgemeinen Verehrung einem großen Triumphzug. Ihre ganze Verwandtschaft, darunter Senatoren mit allem Glanz ihres Ranges und Reichtums waren ihr in vergoldeten Wagen mit prächtigen Pferden bis Neapel entgegengeeilt und empfingen mit heiliger Freude und Ehrfurcht die arme Dienerin Christi. Es zeigt sich, wie Gott gerade die Demütigen zur allein wahren Größe führt.
Melaniens Leben, das danach wieder in die Abgeschiedenheit des vom armen Erdenleben des Heilands geheiligten Landes niedertauchte und in Jerusalem erlosch, hat in allem etwas ungemein Strahlendes an sich. Es ist gerade dadurch verschieden von dem ihrer heiligen Zeitgenossinnen, aber darum nicht weniger lehrreich und erbauend. Wie vollkommen musste sie sein, dass sie, auf die das Augenmerk der ganzen Welt gerichtet war, durch Geist und Tugend die berühmteste Frau des Jahrhunderts, verehrt und bewundert von den Vätern der Kirche, einem Hieronymus, Augustin und einem heiligen Paulinus von Nola, dennoch sich zu jener wundervollen Ablösung von allem Irdischen zu erheben und darin zu erhalten wusste, die der Altvater Ammois seinen Mönchen empfahl mit den Worten:
„Wenn der Mensch nicht im innersten Herzen zu sich selbst spricht: Gott und ich, wir sind allein auf der Welt, so wird er nie Ruhe haben.“ O köstliche Ruhe, die aus der Verähnlichung und Vereinigung mit dem Emmanuel, das ist „Gott mit uns“, fließt, der nur um deiner Seele allein willen in diese Welt gekommen ist!