Das Leben schlägt manchmal Purzelbäume. Richtig bunt geht es manchmal zu.
Da lebte einmal im 13. Jahrhundert irgendwo in Italien ein armer Bauernjunge, dessen einzige Sehnsucht es war, Priester zu werden. Viel hat er darum gebetet, und sein Gebet fand auch insofern Erhörung, dass er unter großen Opfern der Familie studieren konnte. Selten mag es wohl einen fleißigeren Studenten gegeben haben als diesen Jungen, der Peter hieß. Tag und Nacht lernte er, und so konnte es nicht ausbleiben, dass seine Nerven unter dem Übermaß an Arbeit litten. Peter benahm sich also unvernünftig, und die Folgen blieben nicht aus. Denn als er beinahe ausstudiert hatte, verlor er die Gewalt über die Nerven, schreckte vor der Verantwortung, die mit dem Priestertum verbunden ist, zurück, verließ die Welt und wurde Einsiedler.
Man muss es allerdings als ein Glück bezeichnen, dass Peter in die Einsamkeit ging, denn in der freien Natur kamen die Nerven zur Ruhe. Bald sah er wieder klarer und ließ sich auch die heilige Priesterweihe erteilen. Er blieb aber nicht in der Welt, sondern kehrte in die Einöde zurück, um als Einsiedler Gott zu dienen und den Mitmenschen zu helfen, die in wachsender Zahl Trost, Rat und Hilfe bei ihm suchten. Allmählich geriet Peter in den Ruf, dass er ein heiliger Mann sei. Und so kam es, dass sich ihm Gleichgesinnte anschlossen, um bei ihm die Heiligkeit zu erlernen. Damit war der Grundstock zu einem neuen Orden gelegt.
Die Zeit verging. Jahr reihte sich an Jahr. Peter wurde älter und älter. Mit Freude und Sehnsucht dachte er an den Tod, der nicht mehr in weiter Ferne war, denn schon lagen achtzig Jahre hinter ihm.
Da geschah etwas Merkwürdiges. Eines Tages näherte sich Peters weltferner Klause auf dem Berg Morrone ein festlicher Zug. Zwei Könige ritten feierlich voran. Kardinäle und Bischöfe, Fürsten und Ritter und eine unübersehbare Menge Menschen strömten hinterher. Der Einsiedler glaubte zu träumen, er bekam es mit der Angst zu tun und rannte in den tiefsten Wald hinein. Die Leute liefen aber hinter ihm her und fingen ihn ein. Da stand nun der weltfremde alte Mann vor den hohen Herren. Plötzlich traten die Könige, die Kardinäle, Bischöfe, Fürsten und Ritter vor ihn hin, verbeugten sich tief und machten ihm die Mitteilung, dass er zum Papst gewählt worden war.
Der alte Mann war fassungslos, aber nicht etwa aus Freude, sondern aus Verwirrung, denn wie konnte er, der nur die kleine Welt seiner Einsamkeit kannte, die weltweite Kirche leiten. Das konnte nicht gut gehen, und es ging auch nicht gut. Zwar wurde Peter trotz seines Sträubens zum Bischof geweiht und unter dem Namen Cölestin V. zum Papst gekrönt, hielt aber seinen Einzug in Rom allen Vorstellungen zum Trotz auf einem Esel. Bald leuchtete es allein Einsichtigen ein, was er selbst von Anfang an wusste, dass er nämlich als achtzigjähriger Mann, der die Welt nicht kannte, der großen Aufgabe des päpstlichen Amtes nicht gewachsen war. Aus dem glücklichen Einsiedler entwickelte sich ein unglücklicher Papst, der sich, von Heimweh verzehrt, aus dem Glanz, der ihn umgab, nach der armen Klause auf dem stillen Berg Morrone zurücksehnte.
Nach fünf Monaten rief Papst Cölestin alle Kardinäle zusammen, setzte sich, mit der dreifachen Krone geschmückt, in vollem päpstlichen Ornat vor ihnen auf den Thron und las ein Schriftstück ab, das er selbst geschrieben und unterschrieben hatte. In dem Schriftstück stand, dass Papst Cölestin abdanke. Kaum hatte der Papst die Lesung beendet, da erhob er sich, schritt die Stufen des Thrones hinab, nahm die dreifache Krone vom Haupt, entkleidete sich der päpstlichen Gewänder, stand da plötzlich vor den Kardinälen im alten zerrissenen Einsiedlergewand und lachte laut vor seliger Freude. Achtzehn Monate später, am 19. Mai 1296, starb der Heilige.
Es geht also manchmal kunterbunt zu. Aber alle Purzelbäume, die das Leben schlägt, haben nichts zu bedeuten, wenn man wie Papst Cölestin mit dem letzten Purzelschlag im Himmel landet.
* * *
Der heilige Cölestin V., Mönch, Einsiedler, Papst, + 19.5.1296 – Fest: 19. Mai
Von Herzog Antoine de Levis-Mirepoix, Mitglied der Académie francaise, aus „Ecclesia“, Paris 1957
Der Papst, der wieder Einsiedler wurde
Die Geschichte der Kirche kennt manche Wechselfälle, da auch sie von menschlicher Schwäche nicht frei ist. Doch birgt sie ein dauerndes Licht in sich, das es uns erlaubt, auch ihre Krisenzeiten als letztlich sinnvoll zu begreifen. Das gilt auch für den kurzen Pontifikat des hl. Cölestin V., des einzigen Papstes, der wieder abdankte.
Wie erlangte dieser heilige Einsiedler die Papstwürde? Strenggenommen, lässt sich eigentlich nicht sagen, dass er sie erlangt hätte; denn er selbst dachte in gar keiner Weise daran. Die Nachricht von seiner erfolgten Wahl zum Papst erreichte ihn völlig unerwartet.
Es war zu Ausgang des 13. Jahrhunderts. Papst Nikolaus IV. war gestorben. Das Konklave zur Wahl eines neuen Papstes wurde eröffnet, während sich mehrere Herrscherhäuser um die europäischen Throne stritten und dabei die römische Kurie um Vermittlung anriefen. Weltliche Einflüsse bedrohten dadurch in schwerer Weise die Beratungen, die zur Wahl des neuen Papstes führen sollten.
Zwölf Kardinäle versammelten sich zunächst in Rom, bedrückt von den weltlichen Sorgen, mit denen die Vertreter der europäischen Staatskanzleien sie belastet hatten. Plötzlich brachen auch noch Unruhen in der Stadt aus und zwangen die Versammelten im Jahr 1293, in Perugia Zuflucht zu suchen.
Das Konklave dauerte an, immer wieder durch Interessen und Alltagsstreitigkeiten aufgehalten. Ein Jahr verging, und die Kardinäle hatten sich noch immer nicht einigen können.
Eines Tages berichtete einer der Kardinäle von einer Warnung, die ein alter Einsiedler wegen der Verzögerung ausgesprochen hätte: man dürfe die Christenheit nicht so lange ohne Oberhaupt lassen. Eine Angst, die beinahe Gewissensbissen gleichkam, überfiel die Hüter der Geschicke der Kirche. Sie mussten zu einem Ergebnis kommen! Doch trotz des neu entfachten Eifers blieben ihre Bemühungen auch diesmal vergebens.
Wieder sprach man von dem Eremiten. Es war dies ein alter Mann von 72 Jahren, der, in einer engen Zelle eingeschlossen, in den Bergen lebte. Die Bauern der Gegend brachten ihm große Verehrung entgegen. Das Ansehen der ersten Einsiedler des Christentums schien ihm anzuhaften.
Die Idee, ihn als Papst zu wählen, tauchte sehr bald im Geist der Kirchenfürsten auf. Doch jeder fürchtete sich, dadurch bei den anderen als verrückt zu gelten. Aber wie sollte man sonst mit den politischen Intrigen fertig werden? Der Plan reifte schnell, und plötzlich entfaltete er sich. Der Einsiedler wurde mehr als gewählt, er wurde zum Papst „erhoben“.
Woher kam dieser Mann? 1215 war er in Isernia als Kind einer armen, kinderreichen Familie geboren worden. Man sagte, seine Mutter sei durch Zeichen auf die Berufung ihres Kindes aufmerksam gemacht worden. Jedenfalls brachte sie schwere Opfer, um ihn für den Priesterstand vorzubereiten.
Er selbst war von vornherein gegen jede menschliche Wissbegierde und wollte nur so viel Unterricht nehmen, dass er die unentbehrlichsten Kenntnisse zum Lesen der Heiligen Schrift besitze. Dem Stolz und den Gefahren der Wissenschaft misstraute er. Sein Ideal änderte sich von der frühesten Kindheit bis zum höchsten Greisenalter nicht. Es hieß Entsagung, Einsamkeit und Betrachtung.
So kam er zu einem ähnlichen Ruf wie der hl. Antonius in der Wüste. Zuerst zog er sich auf einen bewaldeten Berg der Abruzzen zurück, den Monte Morone, weshalb er den Namen Peter von Morone erhielt. Doch auch hier fühlte er sich noch nicht weit genug von der Welt entfernt und suchte sich eine noch einsamere Behausung inmitten von Felsen. Um aber nicht gegen das Gebot der Nächstenliebe zu verstoßen, wenn er allein diese mystische Erhebung genoss, ließ er einige Gefährten kommen, die von den gleichen Idealen beseelt waren, und gründete eine Gemeinschaft, die zuerst dem Orden der Benediktiner angeschlossen, schließlich aber auf dem Konzil von Lyon 1274 als unabhängig anerkannt wurde. Anfangs nannte man sie Eremiten des hl. Damian, später Cölestiner.
Peters innere Berufung zum Einsiedler aber war so stark, dass er sich schließlich, nachdem er seine Gefährten in zwei kleinen Dorfklöstern untergebracht hatte, in einer Grotte völlig von den Menschen abschloss und nur noch durch die Gitterstäbe eines niedrigen Fensters mit der Außenwelt verkehrte.
1251 wurden zwei Kardinäle vom Konklave beauftragt, ihm seine Wahl zum Papst mitzuteilen. Mühsam kletterte die Abordnung den Pfad hinan, der zu seiner Zelle führte. Die kostbaren Gewänder zerrissen an Steinen und Dornen. Dann erreichte ein Hymnus, wie er ihn noch nie gehört hatte, die Ohren des Einsiedlers.
Man kann sich seine Überraschung, ja seinen Schrecken vorstellen, als ein Kardinal vortrat, ihn als Papst grüßte und ihm das Dekret seiner Wahl reichte.
Es kostete unendliche Mühe, ihm seine Zustimmung zu entringen. Der Kardinal musste ihn in allem Ernst auf die Folgen hinweisen, die seine Weigerung haben konnte. Sie würde die Christenheit in ein Chaos stürzen.
So wurde er zum Bischof gesalbt und in Aquilea zum Papst geweiht. Nun war er das Haupt der Kirche. Auf seiner mageren Stirn erhob sich die Tiara, die er als drückende Last empfand. Ein von Schmuck und Edelsteinen schweres Gewand hatte die raue Kutte ersetzt, aber der zum Papst Cölestin V. gewordene Einsiedler hatte sich nicht geändert. Seine Augen schweiften über die Welt, und er verstand sie nicht. Er hatte die Armut gelobt und behielt seine Vorliebe für Zurückgezogenheit und Entsagung bei. In seinem Palast ließ er eine armselige Zelle aus Holz errichten und bedachte den Orden, den er unter den einfachsten Umständen gegründet hatte, als Oberhaupt der Christenheit mit vielen Zeichen der Gunst.
Die Verantwortung für die Leitung der Kirche jedoch drückte ihn nieder, und so dauerte dieses Experiment mit einem Oberhaupt der Kirche, dem die Dinge der Welt völlig fremd waren, noch nicht einmal ein Jahr. Der Gedanke an eine Abdankung allein vermochte ihm ein wenig Ruhe zu geben. Skrupel hielten ihn jedoch immer wieder zurück. Hatte man je so etwas erlebt? Nach einem Gesetz der Kirche musste der Geistliche, der sein Amt niederlegte, dies in die Hände eines Oberen tun. Aber dieser Arme, der die Demut selbst war, befand sich in einer Lage, in der er keinen Oberen, ja nicht einmal seinesgleichen in dieser Welt mehr fand. Er befragte einige Kardinäle, besonders den gelehrtesten unter ihnen, den berühmten Benedikt Gaetani. (Daraus erhellt, wie wenig der Vorwurf begründet ist, den man gegen diesen, den kommenden Papst Bonifaz VIII., erhob, er habe den Papst zur Abdankung gedrängt. Ein Peter von Morone hatte bestimmt nicht nötig, dass man ihn dazu drängte!)
Die Lage der Kirche war überaus schwierig. Die Kardinäle gehorchten ihrer Pflicht und der Weisung des Papstes, als sie sie überprüften. Schließlich traf Cölestin V. nach ihrer einstimmigen Meinung seine Entscheidung. Wenige Tage zuvor erließ er eine Verordnung, die den Papst zur Abdankung ermächtigte. Hierauf wollte er sich, in der Absicht, seinen Entschluss um so feierlicher und von vornherein unanfechtbar zu machen, ein letztes Mal mit der ganzen Pracht seines Amtes umgeben.
Auf dem päpstlichen Thron sitzend, mit dem vollen Ornat bekleidet, sprach er angesichts des zahlreichen Hofstaats die feierlichen Worte: „Ich gebe freiwillig und ungezwungen die Papstwürde auf.“
Die Abdankung Cölestins V. beschleunigte zwar die Wahl Bonifaz` VIII., machte aber seine Regentschaft nicht leicht. Dieser bedeutende römische Adelige, der Neffe Papst Nikolaus` III., Orsini, hatte sich als päpstlicher Legat und als Gelehrter in einem Jahrhundert ausgezeichnet, da Wissenschaft und Philosophie einige der großen Leuchten des menschlichen Geistes hervorbrachten. Die Namen Roger Bacon und Thomas von Aquin mögen als Beispiele genügen. Die Kardinäle, die über die Rolle, die ein unwissender, wenn auch heiligmäßiger Mann auf dem Thron Petri spielen konnte, besorgt waren, wählten diesmal den gelehrtesten von allen.
Der Heilige aber, der, wie man sagen möchte, der Bürde des Papsttums entronnen war, sollte seinem Nachfolger bald schwere Sorgen bereiten. Dieser konnte den Greis, auf den die Augen ganz Europas gerichtet waren, in seiner geistigen Schlichtheit und Weltfremdheit nicht allein lassen. So schlug er ihm vor, an seinem päpstlichen Hof zu leben. Dies jedoch lehnte Peter von Morone ab. Er wurde dem Abt von Monte Cassino anvertraut. Doch er kannte nur ein Ziel: in seine Einsiedelei zurückzukehren, zu jenem Felsen, nach dem er einst vor seiner Papstwahl benannt worden war. Die Bevölkerung dort empfing ihn wie einen Wundertäter, während er selbst sich nur in das Schweigen der Einsamkeit vergraben wollte. Bonifaz VIII., um den greisen Eremiten besorgt, schickte seinen Kämmerer mit dem Auftrag, ihn zu beobachten. Dieser fand ihn ruhig beim Gebet in seiner Zelle. Plötzlich aber meldete man dem Papst, der heiligmäßige Einsiedler habe seine Klause verlassen und wolle sich zum Hl. Land einschiffen. Einige Meilen vor der Küste wurde er eingeholt und zum hl. Kardinalskollegium zurückgebracht.
Ein Konsistorium trat zusammen, um über sein Schicksal zu entscheiden. Einige Kardinäle waren dafür, ihn frei ziehen zu lassen. Die Mehrheit aber entschloss sich, ihn im Schloss von Fulmone in der Campagna unterzubringen. Auf seinen Wunsch errichtete man inmitten des Gebäudes eine Zelle, die ganz der vom Monte Morone glich. Zwei Brüder seines Ordens waren die einzigen Menschen, die mit ihm verkehrten. Was konnte der hl. Einsiedler noch mehr wünschen?
Peter von Morone starb im Alter von 73 Jahren. Aber weder sein Tod noch seine Heiligsprechung durch den französischen Papst Clemens V. beruhigten die Gemüter völlig. Weil Bonifaz VIII. noch zu Lebzeiten seines Vorgängers zum Papst gewählt worden war, herrschte lange Zeit ein gewisses Unbehagen. Aus eben diesem Grund wurde Cölestin V. auch von vielen seiner Zeitgenossen angegriffen. Einer der berühmtesten darunter war Dante, der es ihm nie verzieh, dass er sein Amt aufgegeben hatte.
Dieses einzige und dramatische Beispiel eines so großen Verzichtes blieb nicht ohne Einfluss auf die Verfassung der Kirche, so dass heute (1957 geschrieben) die Meinung gilt, dass derjenige, der einmal den Thron Petri besteigt, damit das Recht verliert, ihn je wieder zu verlassen.
Papst Benedikt XVI. am Sarg seines hl. Vorgängers Papst Cölestin V.